Nach einjähriger Unterbrechung geht der Bau der umstrittenen deutsch-russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 weiter, an deren Finanzierung die österreichische OMV beteiligt ist. Das unter russischer Flagge fahrende Verlegeschiff „Fortuna“ habe am Freitag die Arbeiten etwa 70 Kilometer nordöstlich der deutschen Anlandestation in Lubmin bei Greifswald aufgenommen, teilte ein Unternehmenssprecher mit.
Dort solle in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Bundesrepublik Deutschland ein 2,6 Kilometer langer Leitungsabschnitt verlegt werden. Die rechtliche Genehmigung für dieses Stück läuft Ende 2020 aus. Allerdings hat die Nord Stream 2 AG bereits eine neue Erlaubnis für den Weiterbau 2021 beantragt.
Trotzdem: Die US-Regierung sieht keine Chance mehr auf eine Fertigstellung. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter teilte am Freitag auf dpa-Anfrage mit, das Nord-Stream-2-Konsortium mache „eine furchtbar große Sache“ um den Bau eines 2,6 Kilometer langen Leitungsabschnitts. Es handle sich um ein „Rohr, das niemals russisches Gas transportieren wird. Wenn Nord Stream 2 das Projekt wirklich fertigstellen könnte, hätten sie es schon längst getan.“ Es sei nicht einmal klar, wer den Bau versichere. Das Unternehmen mache dazu keine Angaben.
Wie die bereits seit 2012 vollständig genutzte Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 soll auch Nord Stream 2 auf rund 1200 Kilometern Länge als Doppelstrang durch die Ostsee verlegt. Bis zur Fertigstellung fehlen noch etwa 75 Kilometer, die vor allem südlich der dänischen Insel Bornholm verlaufen. Ende 2019 waren die Bauarbeiten dort gestoppt worden, nachdem die USA ein Sanktionsgesetz gegen die Spezialschiffe in Kraft gesetzt hatten, die die Rohre verlegten. Die beiden Schweizer Verlegeschiffe wurden daraufhin abgezogen. Sanktionsdrohungen gab es auch gegen den deutschen Hafen Sassnitz-Mukran auf Rügen, wo Rohre für Nord Stream 2 lagern.
Die etwa 9,5 Milliarden Euro teure Pipeline ist zu 94 Prozent fertig. Durch die beiden Leitungsstränge sollen künftig jedes Jahr zusätzlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland gepumpt werden. Die USA sind gegen das Projekt und begründen dies mit zu großer Abhängigkeit ihrer europäischen Partner von russischem Gas. Kritiker werfen den USA dagegen vor, nur ihr Flüssiggas in Europa besser verkaufen zu wollen. Widerstände gegen das Projekt gibt es allerdings auch innerhalb der EU, insbesondere aus Polen und den baltischen Staaten.
Die USA halten den Druck auf am Bau beteiligte Firmen hoch. So stimmte das US-Repräsentantenhaus erst am Dienstag (Ortszeit) dem Gesetzespaket zum Verteidigungshaushalt zu, das auch eine Ausweitung der angedrohten Sanktionen im Zusammenhang mit dem Nord-Stream-2-Projekt vorsieht. Schon jetzt können gegen betroffene Personen Einreiseverbote in die USA verhängt werden. Etwaiger Besitz von Personen oder Firmen in den Vereinigten Staaten kann eingefroren werden. Die US-Botschaft hat die Bundesregierung jüngst dazu aufgerufen, einen Weiterbau der umstrittenen Pipeline zu verhindern. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter in Washington nannte Nord Stream 2 „ein geopolitisches Projekt, das Russland dazu nutzen wird, europäische Länder zu erpressen“.
Die Führung in Moskau vermutet hinter dem Vorgehen Washingtons ein politisches Kalkül, mit dem russisches Gas von den europäischen Märkten verdrängt werden soll. Der Kreml hatte sich aber ungeachtet der fortwährenden Drohungen zuversichtlich gezeigt, dass die Pipeline zu Ende gebaut wird. Um die Leitungen auf den letzten Metern fertigzubauen, hatte Russland zwei eigene Spezialschiffe in die Ostsee geschickt, neben der „Fortuna“ noch die „Akademik Tscherski“. Für die Rohstoff-Großmacht Russland ist das Projekt von größter wirtschaftlicher Bedeutung.
Die Aktien des russischen Gasmonopolisten Gazprom, der die Leitung nutzen wird, kletterten am Freitagnachmittag an der Moskauer Börse auf den höchsten Stand seit Juli. Zu den Pipeline-Investoren gehören neben einer Gazprom-Tochter als Hauptgesellschafter und der OMV die deutschen Konzerne Wintershall Dea und Uniper, die niederländisch-britische Shell sowie Engie (einst GDF Suez) aus Frankreich. Die Nord Stream AG hat ihren Hauptsitz in Zug in der Schweiz.
APA/dpa