Blauer Wasserstoff ist nicht zu bremsen

8. Juli 2021

Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, den Import von aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff aus anderen EU-Staaten zu verhindern. Auch Wasserstoff, der mit Atomstrom produziert wird, hat freie Bahn. Die Grünen sehen das kritisch.

Die Bundesregierung verfügt nicht über Instrumente, bei der Einfuhr von Wasserstoff nach verschiedenen Herstellungsmethoden zu differenzieren oder gar die Einfuhr zu unterbinden. „Eine gezielte Verhinderung bestimmter Importe aus legaler Erzeugung im Herkunftsmitgliedstaat wäre mit den geltenden Binnenmarktregeln nicht vereinbar“, heißt es in einer dem Handelsblatt vorliegenden Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl.


Über die verschiedenen Herstellungsmethoden von Wasserstoff wird in Deutschland seit Monaten gestritten. Dabei steht besonders blauer Wasserstoff im Fokus. Er wird auf konventionellem Weg durch Dampfreformierung auf Erdgasbasis hergesellt. Das dabei frei werdende CO2 wird abgeschieden und unterirdisch gespeichert (Carbon Capture and Storage, kurz CCS).


In der Wasserstoffstrategie spielt blauer Wasserstoff nur eine Nebenrolle. Auf Druck des Bundesumweltministeriums und des Bundesforschungsministeriums fokussiert sich die Strategie auf grünen Wasserstoff. Er wird mittels Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse hergestellt und ist annähernd klimaneutral. In Frankreich wird für die Elektrolyse auch Atomstrom eingesetzt.


Wichtige Brückenfunktion
Im Bundeswirtschaftsministerium hätte man blauem Wasserstoff in der Wasserstoffstrategie gern größere Bedeutung beigemessen. Dort herrscht die Überzeugung vor, dass blauer Wasserstoff auf dem Weg zur Klimaneutralität für die Industrie eine wichtige Brückenfunktion übernehmen kann – schon allein aus Gründen der schnellen Verfügbarkeit. Länder wie Norwegen oder die Niederlande treiben den Aufbau einer Infrastruktur voran und sind dabei im Gespräch mit potenziellen Abnehmern aus Deutschland.


Rückendeckung bekamen die Befürworter von blauem Wasserstoff vor wenigen Tagen vom Nationalen Wasserstoffrat, einem Expertengremium, das die Bundesregierung bei der Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie berät. In einem Anfang Juli veröffentlichten Aktionsplan werden „Erzeugung beziehungsweise Import von blauem Wasserstoff als Brückenoption“ ausdrücklich erwähnt.

Zugleich mahnt der Rat „die Etablierung eines robusten Zertifizierungs- und Trackingsystems“ für Erzeugung und Import von Wasserstoff an. Dies sei eine „notwendige Voraussetzung für Wasserstoffanwendungen in Deutschland“, schreibt der Rat.


Die Bundesregierung ist indes noch weit davon entfernt, diese Voraussetzung zu erfüllen. Zwar hat sie mit ihren Anforderungen an die inländische Erzeugung von grünem Wasserstoff sichergestellt, dass importierter Atomstrom bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff in Deutschland nicht zum Einsatz kommt. Wenn es aber um den Import von Wasserstoff selbst geht, sieht es anders aus.

In der Wasserstoffstrategie hat die Bundesregierung Nachweisverfahren angekündigt, um die Herkunft und die Herstellungsmethode von Wasserstoff überprüfen zu können. Man berate weiterhin intern über die Umsetzung eines Nachweisverfahrens, heißt es in der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums. Eine rechtliche Umsetzung werde aber erst in der nächsten Legislaturperiode erfolgen.


Mögliche Folgen für Projekte
Das könnte Folgen für die vom Bundeswirtschaftsministerium initiierten Wasserstoffprojekte haben, die von der EU-Kommission als „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) für besonders förderungswürdig befunden werden. Unter diesen Projekten befinden sich auch deutsch-französische Vorhaben. In der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin heißt es, bei den grenzüberschreitenden Projekten „beschränkt sich die Förderung durch die Bundesregierung auf der Erzeugungsseite“ auf grünen Wasserstoff. „Die Bundesregierung fördert keine Erzeugung von Wasserstoff aus Atomstrom“, heißt es darin. „Eine Förderung von Erzeugungskapazitäten durch Frankreich auf französischer Seite“ sei „derzeit nicht bekannt“.
Aus Sicht der Grünen ist diese Antwort unbefriedigend. Es werde seitens der Bundesregierung nicht ausgeschlossen, dass bei grenzüberschreitenden Projekten Wasserstoff zum Einsatz komme, der mit Atomstrom hergestellt werde. Die Bundesregierung wisse schlicht nicht, welche Art von Wasserstoff auf französischer Seite überhaupt eingespeist werde. Es müsse daher dringend die Möglichkeit der Kennzeichnung geschaffen werden.


„Eine Energiewende mit Wasserstoff aus Atomstrom zeigt die ganze Widersprüchlichkeit der Großen Koalition in Energiefragen auf“, sagte Kotting-Uhl dem Handelsblatt. „Gerade weil die Bundesregierung stark auf Wasserstoffimporte setzt, darf sie keine umweltschädliche Herstellung zulassen.“ Klaus Stratmann

Handelsblatt