Lukrative Klimapolitik

24. August 2021

Strom Spekulation um CO2-Zertifikate treibt den Strompreis in die Höhe. Schweizer Anbieter sahnen ab.

Lange war es still um den Strompreis. Langweilig schon fast. Vielen ist noch das Klagen von Axpo und Co.in den Ohren, dass die Preise nicht kostendeckend seien und die heimische Produktion infrage stellen würden. Seit Jahren wird denn auch eine längst fällige Marktöffnung hinausgeschoben, weil man den Versorgern nicht zumuten will, die garantierten Margen aus dem Monopol zu verlieren. Dabei hat der Wind bereits gedreht. Und zwar so richtig.


Seit Monaten findet am Strommarkt eine Bonanza statt. Von wenigen Rappen pro Kilowattstunde ist der Peis auf mehr als 10 Rappen angestiegen (siehe Grafiken). Im Juli kostete Strom für die Schweiz an der Leitbörse EEX im Schnitt 8,7 Rappen pro Kilowattstunde. Mehr als doppelt so viel wie jeweils in den beiden Jahren zuvor. „Unternehmen, die jetzt Strom fürs nächste Jahr beschaffen müssen, haben ein grösseres Problem“, sagt Andreas Tresch vom Beratungsunternehmen Enerprice. Ein Kunde bezahle etwa 9 Rappen für die Lieferung im kommenden Jahr. Mehr als das, was die im Monopol gefangene Kleinkundschaft bezahlen müsse.


Es geht um viel Geld. Insgesamt verbraucht die Schweiz pro Jahr rund 60 Milliarden Kilowattstunden Strom. Steigt der Preis nur um 1 Rappen, sind das bereits 600 Millionen Franken. Zwar wird nur etwa die Hälfte des Stroms direkt am Markt gekauft, weil Kleinkunden keinen Zugang dazu haben. Viele gefangene Kunden beziehen den Strom jedoch über Versorger, die sich selber zu Marktpreisen eindecken müssen – und diese weiter verrechnen können. Irgendwann spüren daher wohl auch Kleinkunden den Preisanstieg.


Damit stellt sich die Frage: Wie lange bleiben die Preise so hoch? Und warum ist das überhaupt passiert? Für die Preiserhöhung gibt es verschiedene Gründe: Die Rohstoffkosten für Gas und Erdöl haben angezogen und damit den fossilen Strom verteuert. Zudem sind die Erdgasspeicher in Europa knapp gefüllt, weil sich der Start der umstrittenen Nord-Stream-Pipeline für russisches Gas verzögert.

Umweltverschmutzung kostet etwas
Deutlich wichtiger ist etwas, über das man sich eigentlich freuen sollte: Der Preis für CO2-Zertifikate hat deutlich angezogen, nachdem diese Verschmutzungsrechte jahrelang praktisch gratis zu haben waren. Auslöser war die Ankündigung der EU, die CO2-Emissionen schneller absenken zu wollen. Das hat einen Run auf die Papiere ausgelöst. Mittlerweile spekulieren sogar Finanzinvestoren mit CO2-Zertifikaten, was den Preis zusätzlich angetrieben hat. Und wohl weiter hochhalten dürfte.


Zertifikate benötigt, wer bei der Produktion von Strom CO2 ausstösst. Von 20 Euro pro Tonne Anfang Jahr stieg der Preis auf zuletzt etwa 55 Euro. Oder anders gesagt: auf etwa 7 Rappen pro Kilowattstunde Kohlestrom. Hinzu kommt eine Besonderheit des Strommarktes: Wenn die Nachfrage gross ist, bestimmen die teuersten Kraftwerke im Netz den Preis für den ganzen Markt. Derzeit sind das die Kohlekraftwerke.


Und von diesem Effekt profitiert auch die Schweiz. Weil die Betreiber der Wasser- und Atomkraftwerke, die die Schweiz zu 90 Prozent versorgen, keine Zertifikate benötigen, bedeutet die Preiserhöhung für sie mehr Gewinn. Ein Beispiel: Knapp 10 Milliarden Kilowattstunden produziert das von der Axpo betriebene AKW Leibstadt in einem guten Jahr. Ein um 5-Rappen höherer Preis bedeutet da eine halbe Milliarde Franken zusätzlich.


Die Stromkonzerne Alpiq, Axpo und BKW wollen die finanziellen Auswirkungen nicht kommentieren – teilweise mit Verweis auf anstehende Halbjahresberichte. Alpiq schreibt aber, es sei „nicht auszuschliessen“, dass aufgrund der Preiserhöhungen Wertberichtigungen auf Kraftwerksbeteiligungen rückgängig gemacht werden könnten. Offenbar versuchen die Hersteller derzeit, möglichst viele Kunden über langfristige Verträge an sich und das Preisniveau zu binden, wie Berater Tresch erzählt. Das bestätigt auch Alpiq. Es gebe da durchaus auch eine gestiegene Nachfrage von den Kunden.

Revival des Pumpspeichergeschäfts
Die Stromkonzerne profitieren noch von einem zweiten Effekt: Nicht nur die Preise sind ausserordentlich hoch, auch die Schwankungen. Das zeigen Beispiele von Anfang August: Unter der Woche – vor allem am Morgen und am Abend – lag der Strompreis teilweise bei mehr als 11 Rappen. Am Sonntag hingegen erhielt sogar Geld, wer Strom kaufte. Die Preise waren negativ. Von diesen Differenzen profitiert, wer Strom speichern und später wieder abfragen kann. Und darin sind die Schweizer Experten.


Etwa 30 Prozent des Stroms wird in Kraftwerken mit Stauseen produziert. Sie können den Strom dann ins Netz einspeisen, wenn er besonders teuer ist. Ein Teil dieser Kraftwerke verfügt zudem über Pumpen, um Wasser wieder in den Stausee zu pumpen, wenn der Strom besonders billig ist. Die noch unlängst ausgebauten Axpo-Kraftwerke Linth-Limmern im Glarnerland sind voll auf dieses Geschäft ausgerichtet. Lange als Milliardengrab verschrien, dürften sie derzeit von den Preisschwankungen profitieren. Mit einer Leistung von 1000 Megawatt können sie zeitweise gleich viel Strom ins Netz einspeisen wie ein Atomkraftwerk.


Die hohen Preise könnten denn auch, wenn sie Bestand haben, die Energiewende erleichtern. „Mit 9 Rappen pro Kilowattstunde können Sie heute auf der grünen Wiese ein Solarkraftwerk bauen, das ohne Subventionen auskommt“, sagt Tresch. Auch das eine oder andere Wasserkraftprojekt wäre wohl finanziert. Und vielleicht sorgen die hohen Preise sogar dafür, dass zwanzig Jahre nach dem ersten Versuch in der Schweiz endlich die Strommarktöffnung abgeschlossen wird, wie es im Juni mal wieder angekündigt wurde – diesmal von Energieministerin Simonetta Sommaruga. Denn Marktpreise, die über den Produktionskosten liegen, versüssen auch den altmodischsten Regionalmonopolisten den Verlust ihrer Pfründe.


Mehr zum Thema in unserer Podcast-Reihe „HZ Insights“ unter: www.handelszeitung.ch/hzinsights
30 Prozent des Stroms kommt von Stauseekraftwerken.

Rekordhohe Strompreise Durchschnittlich bezahlter Börsenpreis für kurzfristige Lieferungen (in Rp./KWh)
Je nach Zeitpunkt ist der Strom teuer oder billig Marktpreis pro kWh Strom, der kurzfristig am Vortag bestellt wurde, nach Uhrzeit und Tag der Lieferung (in Rp./KWh)


Kleinkunden zahlen weniger Monopolpreise 2021 für Energie (ohne Netzkosten und Förderabgaben; in Rp./KWh)

von MICHAEL HEIM

Handelszeitung

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