Annähernd jeder zweite Haushalt in Deutschland beheizt seine Wohnung mit Gas. Das könnte diesen Winter teurer werden, denn die Großhandelspreise für Erdgas sind seit Monaten auf einem Höhenflug. Vielerorts bekommen die Verbraucher und Verbraucherinnen das bereits zu spüren. Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox haben 32 regionale Gasanbieter für September und Oktober Preiserhöhungen von durchschnittlich 12,6 Prozent angekündigt.
Beim Beheizen eines Einfamilienhauses führe das zu Mehrkosten von 188 Euro im Jahr. Gas ist auf den Energiemärkten ein knappes Gut geworden. Im Frühjahr 2020, nach Beginn der Corona-Pandemie, waren die Gaspreise im Keller, Haushalte konnten sich über sinkende Kosten freuen. Doch seit dem vergangenen Winter hat sich das geändert. Die Einfuhrpreise für Erdgas, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ermittelt werden, sind allein von Jänner bis Juli um 42 Prozent gestiegen. An den Spotmärkten, wo Gas kurzfristig gehandelt wird, haben sich die Preise für Erdgas seit Jahresbeginn sogar mehr als verdoppelt. Das Energienachrichtenportal „Montelnews“ schrieb jüngst sogar von „Panik“ am Gasmarkt.
Experten sehen einen ganzen Strauß von Gründen für den heftigen Preisanstieg. Nach dem Wiederanlaufen der Wirtschaft habe sich die weltweite Nachfrage wieder normalisiert, erläutert Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool. Das gelte vor allem für Asien. Der dortige Bedarf an Flüssigerdgas (LNG) beeinflusse auf den eng verflochtenen Erdgasmärkten auch das Preisniveau in Europa.
Hinzu kommt, dass die Gasspeicher in Europa nach dem vergleichsweise kalten Winter 2020/21 noch nicht wieder komplett aufgefüllt sind. In Deutschland sind sie aktuell zu weniger als zwei Drittel gefüllt, wie auf der Datenplattform der Betreiber zu sehen ist. Vor einem Jahr betrug der Füllstand gut 94 Prozent. Auch in den meisten Jahren zuvor waren die Speicher vor Beginn der Heizsaison deutlich besser gefüllt als derzeit.
Die über ganz Deutschland verteilten unterirdischen Speicher gleichen vor allem im Winter Verbrauchsspitzen aus. An kalten Tagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus inländischen Speichern abgedeckt, heißt es beim Branchenverband Initiative Erdgasspeicher. Rund 23 Milliarden Kubikmeter Gas können in den Speichern gelagert werden. Das ist etwa ein Viertel der jährlich in Deutschland verbrauchten Erdgasmenge.
Warum in den Speichern derzeit weniger Gas ist als üblich, lässt sich nicht eindeutig sagen. Ausfälle und Wartungsarbeiten an der Gas-Infrastruktur in Europa hätten zur Folge gehabt „dass die Gasspeicher nicht so stark wie sonst üblich über den Sommer gefüllt werden konnten“, sagt etwa Eren Çam vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln. Der Essener Energiekonzern RWE verweist zudem auf das Auslaufen der Erdgasproduktion in den Niederlanden.
Auch der derzeit hohe Preis könnte eine Rolle spielen, weil die Unternehmen sich scheuen, zu viel teures Gas vorrätig zu halten. So hätten „die Annahmen des Marktes zur weiteren Entwicklung der Preise dazu geführt, dass in der bisherigen Einspeisesaison weniger Gas eingelagert wurde“, sagt ein Sprecher des Energiekonzerns Uniper, der über die größte Speicherkapazität in Deutschland verfügt, die derzeit zu etwa 88 Prozent gefüllt ist.
Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Deutschen Bundestag, hat eine andere Erklärung. „Die Situation bei den leeren Gazprom-Speichern in Deutschland und Europa dürfte bewusst herbeigeführt worden sein“, vermutet er. Gazprom betreibt über seine Tochterfirma Astora unter anderem den Speicher im niedersächsischen Rehden, der mit einem Volumen von 4 Milliarden Kubikmetern einer der größten in Europa ist. Zuletzt (15. September) wies die Datenplattform für Rehden einen Füllstand von weniger als 5 Prozent aus. Deutschland rutsche damit „in eine Situation mit Erpressungspotenzial“, warnt Krischer mit Blick auf das Genehmigungsverfahren für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies in der vergangenen Woche Vermutungen zurück, dass die Energiegroßmacht Russland irgendetwas mit der derzeitigen Preisrally zu tun habe. Gazprom Germania hält sich bei der Frage nach den Gründen für den weitgehend leeren Speicher Rehden bedeckt. Ein- und Ausspeichermengen erfolgten durch die Kunden, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. „Daher können wir auch nicht prognostizieren, wie die Entwicklung in der Zukunft aussehen wird.“ Laut RWE ist Gazprom vertragstreu. „Alle unsere Lieferanten und Handelspartner, darunter Gazprom, erfüllen ihre Lieferverpflichtungen“, betont ein Sprecher.
Droht Deutschland ein Gasmangel im Winter? Krischer hält das für möglich: „Wenn es richtig kalt wird im Februar, wichtige Speicher leer sind und Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wurde, können regional Engpässe auftreten. Dann bleiben Wohnungen kalt und Gaskraftwerke müssen abgeschaltet werden“, befürchtet der Grünen-Politiker.
Auch der Speicher-Branchenverband warnt. „Wenn die Gasspeicher nicht ausreichend befüllt sind, kann es zu Zeiten hoher Nachfrage zu Gas-Versorgungsunterbrechungen kommen“, sagt Geschäftsführer Sebastian Bleschke. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe allerdings keine Gefahr einer Versorgungslücke.
Bei den Preisen gibt es für die Verbraucher keine Entwarnung. Ganz im Gegenteil: „Wir erwarten in diesem Herbst eine größere Gaspreiswelle“, sagt Verivox-Energieexperte Thorsten Storck.
APA/dpa