Rohstoffe. Die Opec+ denkt nicht daran, den Ölhahn weiter aufzudrehen, obwohl die globale Nachfrage durchaus vorhanden ist. Das treibt den Preis nach oben. 100 Dollar pro Fass sind deshalb nicht mehr ausgeschlossen.
Wien. Es gibt Situationen, da prallen Wunsch und Wirklichkeit aufeinander. Auf dem Rohölmarkt ist genau das der Fall. Nicht gerade zur Freude all jener, die auf das schwarze Gold angewiesen sind. Und das ist praktisch die ganze Welt.
Als sich das Ölkartell Opec am Montag in seiner erweiterten Runde mit Russland (Opec+) traf, hofften viele Marktteilnehmer darauf, in naher Zukunft eine weitaus höhere Ölproduktion als bisher zu sehen. Doch die Erwartungen wurden schnell im Keim erstickt. Das Kartell sagte nur zu, was es bisher ohnehin schon kommuniziert hatte: Ab November werden erneut 400.000 Fass Öl pro Tag mehr zur Verfügung gestellt.
Die Reaktion des Marktes darauf war denkbar schlecht. Der Preis der US-amerikanischen Sorte WTI stieg nach dem Entscheid zeitweise auf über 78 Dollar und damit den höchsten Stand seit November 2014. Auch die nordeuropäische Sorte Brent zog auf über 81 Dollar an. Am Dienstag ging die Kurve für beide Preise noch einmal weiter nach oben.
Dass Öl erneut teurer wurde, ist einem Problem geschuldet, das die Märkte dieser Tage schwer belastet: Die Nachfrage nach dem Schmiermittel der Weltwirtschaft ist angesichts der konjunkturellen Erholung wesentlich größer als das Angebot. Schon zu Jahresende oder spätestens am Beginn des kommenden Jahres dürfte der globale Ölhunger bereits wieder das Vorkrisenniveau von rund 100 Millionen Barrel täglich erreicht haben. Bisher war man davon ausgegangen, diese Marke erst deutlich später zu durchbrechen. Hinzu kommt, dass Länder wie Nigeria, Angola oder Kasachstan mit ihrer Produktion am Anschlag sind, obwohl sie den Vereinbarungen zufolge deutlich mehr liefern dürften. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern.
Angebotsdefizit im vierten Quartal
Gleichzeitig spielt der Gaspreis verrückt, was in einigen Ländern, allen voran in Asien, dazu führt, dass für die Stromproduktion auf das vergleichsweise günstigere Rohöl zurückgegriffen wird. Der Chef des saudiarabischen Ölkonzerns Aramco, Amin Nasser, beziffert die durch den gestiegenen Gaspreis angeheizte Ölnachfrage mit 500.000 Barrel pro Tag – zusätzlich. Das übersteigt die angekündigte Ausweitung der Opec somit deutlich.
Schon im August lag die Produktionsmenge der Opec um 860.000 Barrel täglich unterhalb des vereinbarten Levels. Für September deutet sich laut einer Analyse der Commerzbank „ebenfalls eine beträchtliche, wenn auch nicht ganz so große Abweichung nach unten an“. Im vierten Quartal ist ebenfalls kaum Besserung in Sicht. Die Experten gehen für die Zeit zwischen Oktober und Ende Dezember jedenfalls von einem „beträchtlichen Angebotsdefizit“ aus.
Weshalb die Opec schon in den vergangenen Wochen Zurufe seitens der USA, aber auch Indiens erhielt, mehr Öl aus dem Boden zu holen. Immerhin haben sich die Preise allein in diesem Jahr um mehr als die Hälfte erhöht. „Wir werden die Situation beobachten“, kommentierte der russische Ministerpräsident, Alexander Novak, die Situation zu Wochenbeginn. Denn normalerweise falle die Ölnachfrage im vierten Quartal. Doch weil die Kartellmitglieder Angst vor einer vierten Corona-Welle haben, sind sie zurückhaltend, größere Schritte zu machen.
Die Opec+ hatte sich im Juli darauf verständigt, die Ölproduktion ab August monatlich um 400.000 Barrel aufzustocken. Dies würde aber erst ab September 2022 dazu führen, dass die im Zuge der Coronakrise beschlossenen Produktionskürzungen vollständig auslaufen.
Doch ein kalter Winter und die Öffnung der US-Grenzen (und damit ein Anstieg des internationalen Reiseverkehrs) könnten laut Bank of America nun dafür sorgen, dass der Ölpreis schon bald auf über 100 Dollar ansteigt. Das würde nicht nur die globale Inflation weiter anheizen, sondern birgt auch die Gefahr, eine wirtschaftliche Krise auszulösen, weil zu hohe Ölpreise die Konjunktur abzuwürgen drohen. Neben den steigenden Öl- und Gaspreisen könnten auch die US-Dieselpreise nach oben klettern. Dessen Lagerbestände sind gefallen, weil die Produktion in den vergangenen Monaten zugunsten von Benzin vernachlässigt worden war. Propan befindet sich wiederum auf einem Siebenjahreshoch. Da außerdem zu wenig investiert werde, sei ein „mehrjähriger Anstieg der Rohölpreise in Sicht“.
Die Presse