„Mitten im Umbruch des Energiesystems“

16. November 2021

Energieexperte Johannes Benigni über hohe Energiepreise, die Energiewende und Greta Thunberg.

Johannes Benigni ist einer der bekanntesten Energie-Analysten Österreichs. Er plädiert für einen realistischen Zugang zur Energiewende und hält den sofortigen Kohleausstieg für essenziell.


„Wiener Zeitung“: Die Energiepreise sind derzeit ein wichtiger Inflationstreiber. Warum sind die Gaspreise so hoch?
Johannes Benigni: Dafür gibt es mannigfaltige Gründe. Schon im vergangenen Jahr gab es in Japan wegen kaltem Wetter einen sehr hohen Gaspreis. Das hat damals schon den Markt ziemlich durcheinandergewirbelt – nicht nur bei uns, sondern auch in Teilen Asiens und Ostasiens. Seither haben die Einkäufer in Asien darauf geachtet, nicht mehr so schnell in eine Lage zu kommen, zu wenig eingekauft zu haben. Dazu muss man wissen, dass die Gaslagerkapazitäten und damit die Gasbestände in Asien viel geringer sind als in Europa. Die Gasnachfrage aus Asien ist in den vergangenen Jahren auch im Sommer beständig gestiegen, weil dort immer mehr Energie für die Kühlung von Gebäuden aufgewendet wird. Das sind einige der Gründe, warum Japan, Südkorea und China immer mehr Gas eingekauft haben, die Steigerungsraten betragen zwischen 10 und 13 Prozent. Ein weiterer Grund: die Verlagerung des Energie-Portfolios in Richtung Gas. Auch von Brasilien wurde aufgrund der Dürre und weniger Stromgewinnung aus der Wasserkraft mehr Flüssiggas nachgefragt.

In welcher Weise ist Europa betroffen?
Europa hatte einen recht harten Spätwinter. Die Lagerbestände sind stark beansprucht worden – diese hätten über den Sommer wieder aufgebaut werden sollen, aber da war schon wieder relativ starke Nachfrage aus Asien zu spüren. Russland hat weniger geliefert – übrigens nicht weniger, als in den Verträgen vereinbart war –, aber die Liefermengen waren geringer als das, was man benötigt hätte. Russland hält sich immer penibel an die Verträge, das möchte ich betonen, aber das Gaskonsumentenportfolio Russlands ist heute deutlich differenzierter als früher: Von der Türkei bis China wird heute deutlich mehr Gas aus Russland importiert.


Eines der Schlagworte der vergangenen Wochen war „Versorgungssicherheit“. Ist diese gewährleistet?
Erstens: Versorgungssicherheit hat höchste Priorität. Zweitens: Wir wollen die CO₂ -Emissionen senken, um die Klimaziele zu erreichen. Wir stecken schon mitten im Umbruch des Energiesystems. Sehen wir uns die kommenden Jahre an: Deutschland will schon bis Ende 2022 vollständig aus der Atomenergie aussteigen. Nun steht man in Berlin vor der Herausforderung, auch bis 2038 aus der Kohle auszusteigen. Atomkraft hätte den Vorteil gehabt, dass kein CO₂ ausgestoßen wird. Letztlich geht es bei der Diskussion um Atomstrom um folgende Frage: Wovor ist die Angst größer? Vor Atommüll? Oder vor der Klimakatastrophe? Was mir Sorge macht: Politiker verkünden gerne in den Medien allerlei Großartiges, scheitern aber an der Umsetzung. Dabei ist zum Beispiel der Kohleausstieg machbar: Amerika hat es geschafft, sich von der Kohle abzuwenden. Damit es zu einem Ersatz von Kohle durch Gas kommt, muss Gas aber als Energieträger preislich mit Kohle mithalten können.


Gas soll also in einem ersten Schritt Kohle ersetzen, um das Klima zu schützen?
Genau. Dabei muss man in Asien anfangen. Dort spielt Kohle noch eine viel zu große Rolle. Leider ist es derzeit noch völlig unrealistisch, die ganze Welt mit Strom aus Wind oder Photovoltaik zu versorgen. Die Energiewende muss also so vollzogen werden, dass es zu keinen Versorgungsengpässen kommt und auch zu keinen Wohlstandsverlusten. Sonst sind die Menschen nicht bereit, das mitzutragen. Bei der Verbrennung von Gas entsteht pro produzierter Energieeinheit nur halb soviel CO₂ wie bei der Verbrennung von Kohle.


Aber es entsteht bei der Gasverbrennung eben auch CO₂ .
Ich bin voll dafür, dass jeder, der kann, in erneuerbare Energieträger investiert. Nur das wird fürs Erste nicht reichen. Was jetzt passiert, ist: Investoren bekommen bei Investitionen in Gas- oder Ölprojekte kalte Füße. Die Klimaschützer sagen: Die Banken sind die Bösen, wenn sie fossile Energieträger-Projekte finanzieren. Was man aber der „Fridays for Future“-Bewegung ganz klar sagen muss: Wenn man die Investitionen in alle solche Projekte einstellt, dann gibt es einen Zusammenbruch der Betreiber von Gas-Kraftwerken und es erwartet uns eine massive Krise am Strommarkt, bei der Mobilität und der Wärmebereitstellung. Greta Thunberg und die „Fridays for Future“-Bewegung haben einen wichtigen Beitrag für zur Sensibilisierung beim Thema CO₂ -Reduktion geschafft, aber wir müssen es hinkriegen, von einer Emotionalisierung zu konkreten und machbaren Umsetzungsschritten zu kommen.


Wie geht es mit dem Ausbau der Erneuerbaren weiter?
Lassen Sie mich bei dem Thema über Österreich sprechen: Wenn man will, dass die Menschen auf Erneuerbare umsteigen, dann muss man das so gestalten, dass es sich lohnt, Fotovoltaik aufs Dach zu montieren und Strom einzuspeisen. Die mächtigen Landesgesellschaften müssen daher motiviert werden, vernünftige Einspeisetarife anzubieten. Was mir hierzulande gut gefällt, ist die Entwicklung von sogenanntem grünem Gas beziehungsweise grünem Wasserstoff. Es ist zwar nicht leicht, die notwendigen Mengen bereitzustellen, aber die Forschung ist in diesem Bereich in Österreich fortgeschritten und vorbildlich.


Welche geopolitischen Änderungen zieht der schrittweise Ausstieg aus Öl und Gas nach sich?
Bei den optimistischen „Wir schaffen das“-Energiewendeprognosen muss man berücksichtigen, dass auch die Internationale Energieagentur zugibt, dass es circa die Hälfte der Technologien, die man braucht, um die CO₂ -Emissionen bis 2050 zu halbieren, noch gar nicht gibt. Das sind also „zukünftige Technologien“. Daher ist Realismus angebracht.


Die Gas- und Öl-exportierenden Länder werden die nächsten 10 oder 20 Jahre noch auf der Gewinnerseite sein. Denn die derzeitigen Diskussionen führen dazu, dass sich die internationalen Energiekonzerne aus der Ölförderung mehr und mehr zurückziehen. Dieses Terrain besetzen dann die nationalen Ölfirmen jener Länder, die in der Opec+ organisiert sind. Die verfügen derzeit über rund vier Millionen Barrel an Überschusskapazitäten – die Abhängigkeit des Ölmarkts von der Opec und Russland wird weiter steigen. In etwas fernerer Zukunft wird die Sache dann anders aussehen: Wir erwarten, dass die Ölnachfrage 2027 und die Gasnachfrage 10 Jahre später einen Höhepunkt erreicht. Länder wie Libyen oder der Irak werden dann Probleme bekommen, denn für diese Förderländer sind die Öl- und Gaseinnahmen essenziell. Das wird unweigerlich die Migrationsdynamik aus diesen Ländern anheizen. Für die reicheren Förderländer wird es leichter sein, einen wirtschaftlichen Transformationsprozess zu finanzieren.


Auf der Gewinnerseite werden jene Volkswirtschaften stehen, die ein State-of-the-art-Stromnetz, E-Mobilität, gut ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel, eine Bahn, die dem Lkw-Verkehr Konkurrenz macht, Photovoltaik- und Windkraftanlagen wie auch die effizientesten Gaskraftwerke haben werden. Dabei sind auch Länder wie Österreich, die noch dazu mit Wasserkraft gesegnet sind. Ich bin lieber Realist und nicht Fantast. Machen wir uns nichts vor: In diesem Transformationsprozess wird es innerhalb der Gesellschaften teils zu massiven Spannungen kommen: Auf der einen Seite werden jene stehen, die ihr Konsumverhalten an die neuen Gegebenheiten anpassen können – das werden eher jene sein, die über entsprechende finanzielle Mittel verfügen. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich – die „Gilets jaunes“ – waren ein erster Vorgeschmack auf die sozialen Konflikte, die uns erwarten.


Johannes Benigni ist Spezialist für Öl und Gas beim Energie- und Rohstoff-Consultingunternehmen JCB Energy. Benigni hat in den vergangenen Jahren in Singapur gelebt und gearbeitet, kehrt nun aber wieder ins Headquarter nach Wien zurück.


Johannes Benigni von JBC Energy. Verlagsgruppe News / Michael Heidi

Von Thomas Seifert

Wiener Zeitung