Strom. Wie grün ist Ökostrom, der in Österreich verkauft wird, wirklich? Ein neues Gesetz soll mehr Klarheit schaffen. Doch es gibt Widerstand: Stromhändler rufen nach Hilfe aus Brüssel.
Am Donnerstag war es so weit: An der europäischen Strombörse Epex kostete eine Megawattstunde (MWh) Strom zur Lieferung in Österreich den Rekordpreis von 355 Euro. Zum Vergleich: Vor einem Jahr war eine MWh im Schnitt noch um 45 Euro zu haben. Die Auswirkungen sind gewaltig: Viele Lieferanten kommen zunehmend in Schieflage und ihre Kunden sehen deftigen Preiserhöhungen entgegen.
Während es auf dem Strommarkt zu so grundsätzlichen Verschiebungen kommt, muss sich der heimische Energieregulator E-Control auch einem Luxusproblem zuwenden, nämlich der Frage, woher der Strom, der hierzulande verkauft wird, eigentlich kommt. Das Angebot an sauberem Ökostrom „made in Austria“ ist zwar enorm, doch nicht immer steckt auch das dahinter, was sich Konsumenten erwarten. Um das zu ändern, sollen die Regeln für Lieferanten verschärft werden. Doch dagegen regt sich Widerstand in der Branche.
Norwegen liefert Zertifikate
An sich hat die EU bereits für Transparenz gesorgt: Schon heute sind Stromversorger verpflichtet, für jede verkaufte Kilowattstunde Elektrizität ein Zertifikat über die jeweilige Erzeugungsart vorzuweisen. Das haben die heimischen Lieferanten auch getan, wie aus dem Strom- und Gaskennzeichnungsbericht der E-Control abzulesen ist. Demnach waren in Österreich 2020 fast 86 Prozent aller Herkunftsnachweise „grün“. „Der Anteil der Erneuerbaren in der Stromkennzeichnung ist damit im Vergleich zum Vorjahr neuerlich gestiegen“, sagt E-Control-Co-Vorstand Alfons Haber.
Ob deshalb aber auch mehr Ökostrom geliefert wurde, ist allerdings nicht so sicher. Das gilt rein physikalisch, weil sich Strom technisch kein Mascherl umhängen lässt und daher stets auch ein gewisser Anteil an Kohle- und Atomkraft im Strommix dabei sein wird. Das gilt aber auch rechnerisch, da die EU den getrennten Handel von Strom und Herkunftszertifikaten erlaubt. So könnten fossile Erzeuger ihren Strom um wenig Geld grün einfärben, kritisieren Umweltschutzorganisationen. Besonders beliebt sind Zertifikate von norwegischen Wasserkraftwerken. Im Vorjahr lieferte Norwegen 13 Prozent aller Herkunftsnachweise nach Österreich, mit denen dann etwa thermisch erzeugter Strom in marketingtauglicheren Ökostrom „umgewandelt“ werden konnte.
All das sei gelebte Praxis und kein Problem, versichert die E-Control. Es seien nicht mehr Ökostrom-Zertifikate auf dem europäischen Markt, als tatsächlich sauberer Strom erzeugt wurde. Dennoch will Österreich die Nachweispflichten für heimische Versorger deutlich verschärfen. Sie sollen künftig nicht nur ihre Zertifikate vorzeigen müssen, sondern auch offenlegen, wie viele dieser Zertifikate sie gemeinsam mit dem verkauften Strom erworben haben. Das bringe noch mehr Transparenz, betont die E-Control. Andere sehen darin einen Anschlag auf legale Geschäftsmodelle und das Ende des freien Warenverkehrs.
Ein Hilferuf nach Brüssel
Ein heimischer Stromhändler hat sich deshalb kürzlich hilfesuchend an EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gewandt. Durch die geplante Novelle des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes und die geplante neue Stromkennzeichnung sei der „diskriminierungsfreie Handel nicht mehr gewährleistet“, heißt es in dem Schreiben, das der „Presse“ vorliegt. Denn wer künftig seine grünen Zertifikate an der Börse zukauft, muss dafür Abstriche beim Herkunftssiegel in Kauf nehmen, mit dem er seine Produkte beim Kunden bewirbt. „Der getrennte Handel von Strom und Herkunftsnachweisen wird ausgehöhlt“, heißt es weiter. Die EU werde aufgefordert, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich einzuleiten. „Wer die Börse mit ,böse‘ gleichsetzt und eine Branche unter Generalverdacht stellen will, schadet besonders den vielen kleinen Stromanbietern“, sagt Thomas Eisenhuth, Geschäftsführer von Alpenenergie und Betreiber einer Onlinebörse für Herkunftsnachweise. Zudem sei es „diskriminierend und EU-rechtswidrig“.
Das zuständige Klimaschutzministerium sieht sich naturgemäß im Recht und preist die Novelle als großen Schritt für mehr Transparenz im Stromhandel. Erstmals werde „lückenlos nachvollziehbar, wie sich der Strommix zusammensetzt“. Auch Harald Proidl von der E-Control beruhigt: „Es gibt keine Verpflichtung, dass Herkunftsnachweise und Strom gemeinsam gehandelt werden müssen. Es muss nur die Information weitergegeben werden, wie viel gemeinsam gehandelt wurde.“Also keine Einschränkung des Handels, sondern nur etwas mehr Transparenz.
Mehr Transparenz ohne Börse?
Der Stromhändler Eisenhuth kann der Argumentation wenig abgewinnen. Die Kunden wüssten nicht mehr als heute, müssten dafür aber vielleicht noch einmal mehr bezahlen, warnt er. Denn an den Börsen wird Strom grundsätzlich ohne Herkunftsnachweis gehandelt. Wer Zertifikate und Strom aus einer Hand haben will, muss dies außerbörslich direkt mit den Produzenten aushandeln. Größe Ökostrom-Erzeuger wie etwa der heimische Verbund wären dabei klar im Vorteil: Nur sie könnten Stromhändlern künftig in großem Stil Ökostrom aus Österreich verkaufen, den diese dann auch so bewerben dürften. Der Handel an der Börse würde hingegen ausgebremst. Das schade der Transparenz und treibe letztlich auch die Strompreise weiter nach oben.
Die Presse