Transformation statt Depression

27. April 2022, Salzburg

Man könnte Untersuchungsausschüsse darüber abhalten, wer Österreich die große Abhängigkeit von russischem Gas eingebrockt hat, sagt Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler im SN-Interview.

Am kommenden Samstag halten die Grünen in Villach ihren Bundeskongress ab, bei dem Werner Kogler wieder als deren Bundessprecher kandidieren wird.

Beim letzten Wahl-Bundeskongress der Grünen vor vier Jahren lautete Ihr Motto: Rudern statt Sudern. Welche Parole geben sie diesmal aus? Kogler: Es ist gut und richtig, dass die Grünen in der Regierung sind. Es sind in unserer Lebenszeit noch nie so viele Krisen zusammengekommen wie jetzt. Wir können als stabiler Faktor in der Regierung einen Beitrag leisten, noch dazu, da die grünen Antworten und Fragen noch nie so zutreffend waren wie jetzt. Rudern statt Sudern war damals mein persönliches Motto. Im Prinzip gilt es auch heute noch. Nicht nur bei uns, in ganz Europa geht es um eine riesengroße Transformation. Wir sind nicht in die Regierung gegangen, um es uns einfach zu machen. Es muss Zuversicht, Hoffnung und Orientierung geben auch in schwierigsten Zeiten. Das Motto könnte daher diesmal lauten: Transformation statt Depression. Welchen Wandel meinen Sie? Der größte hat mit dem Ausstieg aus dem fossilen und dem Einstieg in das solare Zeitalter bereits begonnen. Was viele bisher bloß als grüne Mission abgetan haben, ist so etwas wie eine Staatsräson geworden.

Fürchten Sie nicht gerade jetzt einen Rückschlag? Pandemie, Teuerung, Krieg, muss da nicht die Klimapolitik zurückstehen? Nein. Es muss mehreres gleichzeitig gelingen. Es geht auch um die Entlastung jener, die nicht so viel leisten können. Die Teuerung ist auch wegen der fossilen Energien so groß. Sie sind das Problem und nicht die Lösung. Wir haben quasi eine fossile Inflation. Deshalb müssen wir da schnell raus. Natürlich müssen wir absichern, dass unsere Wirtschaft und Industrie weitermachen können. Aber dass wir jetzt den Klimaschutz hintanstellen, das wäre die verkehrte Antwort. Wir müssen uminvestieren. Je mehr erneuerbare Energieträger, umso größer wird die Unabhängigkeit. Das sind Freiheitszeichen.

Aber gerade da hapert es. Die Umsetzung von Windrädern, Solarparks oder Wasserkraftwerken dauert oft mehr als zehn Jahre. Dort, wo das sinnvoll ist und halbwegs großer Konsens herrscht, da muss das so rasch wie möglich passieren. Da haben wir Engpässe. Manche Bundesländer haben noch nicht einmal Eignungsflächen für Windenergieparks ausgewiesen. Da fehlt mir das Verständnis. Auch die Verfahren müssen schneller abgewickelt werden. Da und dort sind die Projektbetreiber selber schuld, weil sie unzureichende Unterlagen einreichen. Und da und dort ist auch die Beamtenschaft nicht auf dem letzten Stand. Das wird verbessert. Aber wir dürfen nicht die Kinder Natur- und Umweltschutz mit dem Bad ausschütten und die allerletzte Schmetterlingswiese zubetonieren oder die schützenswerten Bachläufe zubauen. Wir haben Wasserkraftpotenzial, aber das ist begrenzt. Wir können auch keine zweite Donau graben.

Sind Sie für einen sofortigen Lieferstopp von russischem Gas, wie das Politiker in Europa und der Ukraine fordern? Erstens muss man ernsthaft darüber diskutieren, ob ein solches Embargo den Krieg überhaupt stoppen könnte. Die über Jahre ausgebaute Kriegsökonomie von Putin endet nicht, nur weil wir kein Gas mehr ins Land reinlassen. Und zweitens müssen wir auch überlegen, ob diejenigen, die ein Embargo verhängen, dies tatsächlich länger aushalten würden als der betroffene Lieferant. Im Übrigen kann es ja sein, dass Putin selbst das Gas abdreht oder die Leitung durch die Ukraine zerstört wird. Das kann sich niemand wünschen. Aber vorbereiten müssen wir uns darauf. Und das geschieht auch. Da kommen harte Zeiten auf uns zu, wenn es so kommt. Da müsste das Gas dann rationiert und den einzelnen Betrieben zugeteilt werden.

Wer ist denn Ihrer Meinung nach schuld an der großen Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas? Da gibt es viele Verdächtige. Schon aus sicherheitspolitischen, aber auch ethischen Gründen hätte man spätestens 2014 die Gaslieferungen aus Russland schrittweise zurücknehmen müssen. Aber weil es billig war, wurde sogar ausgeweitet. Über die Frage, wer uns das eingebrockt hat, könnte man auch Untersuchungsausschüsse abhalten. Man muss sich die Rolle der OMV-Manager und der Verwalter der staatlichen Anteile an dem Unternehmen genau anschauen. Ein Manager, der eine andere Linie verfolgt hätte, wurde 2015 durch einen ersetzt, der nur das Lied von Gazprom singt. Die hohe Inflation liegt den Menschen im Magen. Was kann man noch gegen die Teuerung tun? Wir haben schon vier Milliarden in Entlastungen und Förderungen investiert. Jetzt müssen wir vor allem auf die Lebensmittelpreise schauen. Bei einer Senkung der Mehrwertsteuer auf bestimmte Produktgruppen muss gesichert sein, dass das europarechtlich hält und dass der Handel die Senkung auch weitergibt. Dann wäre das gescheit. Man muss den Menschen ehrlich sagen, dass es Wohlstandsreduktionen geben wird. Wir müssen diejenigen entlasten, die es schon am schwersten haben. So zu tun, als könnte man die Teuerung wegzaubern, wie das die FPÖ oder die SPÖ sagen, ist ökonomischer Unfug. Man streut den Leuten Sand in die Augen.

von Manfred Perterer


Salzburger Nachrichten

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