Energiegemeinschaften eröffnen viele Chancen

27. Juli 2022

Warum Strom vom Energieanbieter kaufen, wenn man auch den überschüssigen Sonnenstrom des Nachbarn beziehen kann? Energiegemein- schaften wachsen, eine große läuft schon in Schnifis in Vorarlberg.

Hinter dem etwas sperrigen Begriff Energiegemeinschaften verbirgt sich ein neues Modell, das den Energiemarkt einerseits stärker für Privathaushalte und Firmen öffnet, andererseits aber eben einen direkten Austausch von Ökostrom zwischen den einzelnen Anbietern ermöglicht. Die gesetzliche Grundlage dafür wurde vor einem Jahr mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz geschaffen, nun kommen die ersten Projekte ins Laufen.

Als eines der Vorzeigeprojekte gilt die Energiegemeinschaft „Schnüfner Strom“ im kleinen Ort Schnifis in Vorarlberg. In der Gemeinde im Walgau (Bezirk Feldkirch) leben rund 800 Menschen. Mehr als 30 Familien, Unternehmen und die Gemeinde selbst haben sich zusammengetan, um gemeinsam Strom zu erzeugen und untereinander zu tauschen bzw. zu verkaufen. Zur Gemeinschaft gehört auch der Landwirtschaftsbetrieb der Familie Stachniss, die neben der Milchwirtschaft auch eine kleine Biogasanlage betreibt, die auch Strom erzeugt. Trotz der derzeit hohen Einspeisetarife liefert der Landwirt den Strom seinen Partnern in der Energiegemeinschaft, weil ihm die lokale Versorgung wichtig ist. Auch eine Sennerei (Käserei) ist angeschlossen.

Bürgermeister Simon Lins (Dorfliste), der 2020 gewählt wurde, erklärt: „Wir kommen von einer Konsumentenrolle in eine gestalterische Erzeugerrolle. Das sind beste Voraussetzungen für die Energiewende und eine gute Antwort auf die blutige Putin-Gaskrise.“ Die Konzeption der Energiegemeinschaft Schnifis stammt vom Unternehmer Mátyás Scheibler, der sich mit erneuerbaren Energien beschäftigt. Der gesetzliche Rahmen erlaube jetzt erstmals „eine Demokratisierung des Energiemarktes“, sagt er, denn der überschüssige Strom aus Sonne, Wind, Kleinwasserkraft oder Biogas muss nicht mehr zwingend ins allgemeine Netz eingespeist werden, sondern kann in einem abgegrenzten Bereich verkauft werden. Dabei handelt es sich zum Beispiel um den Einzugsbereich eines Umspannwerks oder einer Trafostation.
„Derzeit stürzen sich alle auf das Thema, doch die Digitalisierung fehlt zum Teil noch“, sagt Scheibler. Für die Abrechnung benötigen die Teilnehmer einer Energiegemeinschaft nicht nur intelligente digitale Stromzähler (sogenannte Smart Meter). Diese werden derzeit in Österreich von den Netzbetreibern ausgerollt. In Vorarlberg gebe es noch wenige Smart Meter, „das Burgenland ist da viel weiter“, so Scheibler.

Derzeit ist eine „scharfe Abrechnung“ (Scheibler) nur für die Stromlieferung von einem Erzeuger an diverse Abnehmer möglich (der Fachausdruck lautet: one to many), aber für die gegenseitigen Stromlieferungen untereinander (many to many) noch nicht. In Schnifis liefert die PV-Anlage der Gemeinde elektrische Energie an acht Abnehmer. An dem Projekt der Energiegemeinschaft sei auch der Versorger Illwerke vkw interessiert, dieser entwickle ein Abrechnungsmodell, das nun in Schnifis getestet werden dürfe.

„Wir lernen dabei, weil es noch viel zu tun gibt“, erklärt Energieberater Scheibler. Die weiteren Schritte zum Ausbau der Energiegemeinschaft in dem kleinen Dorf sind bereits skizziert. Bis 2025 sollen 200 Haushalte in das Modell eingebunden sein und es sollen laufend weitere „PV-Bürgerkraftwerke“ entstehen, sodass eine Maximalleistung von 500 Kilowatt (kW Peak) erzielt werden könne. Im Halbjahrestakt sollen weitere Anlagen mit der Möglichkeit der Bürgerbeteiligung ausgeschrieben werden. Als Nächstes soll der Kindergarten einbezogen und zum „Sonnenkindergarten“ werden. Die Anlage der Gemeinde, die von 19 Personen mitfinanziert wurde, hat 50 kWp Maximalleistung. „Große Anlagen sind vergleichsweise günstiger“, betont Scheibler. Koste ein PV-Paneel auf einem kleinen Carport zum Beispiel etwa 1600 Euro pro kWp, sei ein kWp bei größeren Anlagen auf Stalldächern um etwa 1100 Euro zu haben. „Hier gibt es ein riesiges Potenzial, ohne Grünland antasten zu müssen“, so Scheibler.
Schnifis wurde 2021 mit einem Energy Globe Austria in der Kategorie Gemeinde ausgezeichnet. Der Vorarlberger Grünen-Vorsitzende Daniel Zadra, der sich das Projekt kürzlich mit Klubchefin Sigrid Maurer ansah, bezeichnet es als Beispiel eines lokalen Green Deals.

von Gerald Stoiber Schnifis

Salzburger Nachrichten

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