Deutschland will Mitte April endgültig Abschied von der Atomkraft als Energiequelle nehmen. Ganz anders sieht die Sache im Nachbarland Tschechien aus: Dort will das liberalkonservative Kabinett den Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion bis 2040 auf mehr als die Hälfte erhöhen. Eine Schlüsselrolle könnten dabei „Mini-AKWs“ – neue Kernkraftwerke im Kleinformat – spielen.
Petr Zavodsky ist innerhalb des teilstaatlichen Energiekonzerns CEZ für die AKW-Ausbaupläne verantwortlich. Fotos von Kühltürmen schmücken sein Büro in der Firmenzentrale in einem Prager Büroviertel.
„Es handelt sich um Druckwasserreaktoren mit dem gleichen Funktionsprinzip wie bei größeren Reaktoren, aber mit geringerer Leistung“, erläutert der Vorstandsvorsitzende der zuständigen Tochtergesellschaft. Auch hier entstehe Dampf, der eine Turbine und einen Generator antreibe, der wiederum Strom erzeuge. Nicht nur die Leistung sei geringer, niedriger seien auch die Investitionskosten.
Das neue Zauberwort der Nuklearindustrie heißt „Small Modular Reactor“ (SMR), also kleine modulare Reaktoren. „Wir reden hier nicht von Reaktoren aus Russland oder China, sondern nur von den Produkten westlicher Hersteller“, betont Zavodsky. Sieben SMR-Entwicklungsprojekte hat er im Blick, darunter den BWRX-300 von GE Hitachi und den Nuward des französischen EDF-Konzerns. Die tschechische Industrie soll, wenn möglich, beteiligt werden.
Zunächst will man in Prag die Erfahrungen mit der neuen Technik in einem anderen Land abwarten. „Im Jahr 2032, 2033 oder 2034 könnten wir dann unseren Reaktor im Betrieb nehmen“, sagt Zavodsky. Als erster Standort kommt für ihn eigentlich nur das AKW-Gelände im südböhmischen Temelin infrage. Es liegt nur rund 60 Kilometern von den Grenzen zu Bayern und Österreich entfernt.
In Temelin verfüge man über Personal und Sicherungssysteme, betont man bei CEZ. Zudem kenne man den Standort am besten im Hinblick auf Seismologie, Geologie und Hydrologie. Zavodsky verspricht, dass in jedem Fall eine neue grenzüberschreitende Prüfung der Umweltverträglichkeit Pflicht sein werde. „Auch die deutsche Öffentlichkeit wird das Recht haben, an öffentlichen Anhörungen teilzunehmen“, betont der Atomkraft-Manager.
Doch die Pläne gehen viel weiter. In der CEZ-Konzernzentrale sieht man die kleinen, modularen Reaktoren bereits als künftigen Ersatz für Kohlekraftwerke. Diese gelten aufgrund der Klimaschutzpläne als Auslaufmodell. Der Vorteil wäre, so die Planer, dass dann ganze Städte mit Fernwärme aus einem lokalen AKW versorgt werden könnten. Mehr als ein Drittel der Haushalte in Tschechien nutzt diese Form der Heizung.
Werden in Tschechien also in wenigen Jahrzehnten mehr als ein Dutzend SMR-Reaktoren ihren Dienst tun? Zwar fehlt noch eine verbindliche Entscheidung des Kabinetts in Prag, doch im benachbarten Bayern sorgt diese Vorstellung für Verunsicherung. Dort wird bereits die tschechische Suche nach einem Standort für ein Atommüll-Endlager mit großer Sorge verfolgt.
Der Bezirkstagspräsident Niederbayerns, Olaf Heinrich, erfuhr von den tschechischen Mini-AKW-Plänen vor kurzem bei einem Treffen der Partnerregionen. Man wisse nichts über die Sicherheit dieser neuen Reaktoren, wendet der CSU-Politiker ein. „Selbst wenn jemand die Atomkraft befürwortet, muss er die Sicherheit mitdenken“, betont der Bürgermeister der Grenzstadt Freyung. Hier müsse es einheitliche europäische Standards geben.
Um Unterstützung in der eigenen Bevölkerung muss sich die Atom-Lobby in Tschechien nicht groß bemühen. In einer im Vorjahr durchgeführten „Eurobarometer“-Umfrage gaben 79 Prozent der Tschechen an, die Atomkraft werde in den nächsten 20 Jahren positive Auswirkungen haben. Das war die höchste Zustimmung unter allen EU-Staaten. In Deutschland rechnete indes eine klare Mehrheit von 69 Prozent der Befragten mit negativen Folgen.
APA/dpa