Weiter zähes Ringen im Finale der Klimakonferenz in Ägypten

18. November 2022, Sharm el-Sheikh
Gewessler sieht kleine Fortschritte - Wien, APA/HELMUT FOHRINGER

Kurz vor dem geplanten Abschluss des Weltklimagipfels COP27 in Ägypten liegt den Vertretern aus rund 200 Staaten erstmals ein offizieller Entwurf für eine Abschlusserklärung vor. In dem zehnseitigen Papier der ägyptischen Konferenzleitung vom Freitagmorgen wird ein schrittweiser Kohleausstieg gefordert. Die Forderung etlicher Staaten und Klimaaktivisten, auch den Abschied von Öl und Gas festzuschreiben, wird aber nicht aufgegriffen.

Ebenfalls noch ungeklärt ist die Streitfrage, ob unter dem Dach der Vereinten Nationen ein Fonds eingerichtet wird, der arme Länder für unabwendbare Klimaschäden entschädigt. Gemeint sind fatale Folgen der Erderwärmung wie Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürme, aber auch der steigende Meeresspiegel.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sah im neuen Entwurf einen kleinen Schritt nach vorne. „Allerdings fehlen nach wie vor wesentliche Punkte. So bleibt der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen unerwähnt. Er ist aber eine Grundvoraussetzung, um die Klimakrise langfristig zu bewältigen“, so Gewessler. Im Bereich der Anpassung würden die Formulierungen im derzeit vorliegenden Entwurf nicht mit dem aktuellen Verhandlungsstand übereinstimmen.

Es ist der erste förmliche Textentwurf, bisher hatte es nur Eckpunkte gegeben. In dem neuen Dokument werden die Staaten aufgefordert, ihre größtenteils unzulänglichen Klimaschutzpläne bis spätestens zur nächsten Klimakonferenz nachzubessern, die Ende 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet. Experten kritisieren das Dokument als zu wenig weitreichend. Die Staatengemeinschaft wird im Text zu einer tiefgreifenden und raschen Emissionssenkung aufgefordert. Ebenso soll die Umstellung auf saubere Energien noch in den 2020er-Jahren deutlich schnell geschehen. Die Welt dürfe keine Rückschritte im Kampf gegen die Klimakrise machen.

Eine sehr ungewöhnliche Formulierung gibt es im Bezug auf fossile Brennstoffe: Im Text heißt es, es solle eine „Rationalisierung ineffizienter Subventionen“ geben. Entwicklungsbanken werden aufgefordert, ihre Finanzierungen an das Pariser Abkommen anzupassen. Zudem müsse ein „Fahrplan“ zur Verdoppelung der Anpassungsfinanzierung bis 2025 auf 40 Milliarden Dollar (rund 38,7 Milliarden Euro) vorgelegt werden. Im Entwurf fehlen jedoch Hinweise für die Notwendigkeit einer UN-Vereinbarung über die biologische Vielfalt, die auf dem sogenannten Weltnaturgipfel (COP15) im Dezember in Montreal erfolgen soll.

Das UN-Treffen COP27 in Sharm el-Sheikh mit etwa 34.000 Teilnehmern soll planmäßig am späten Freitagnachmittag enden, doch ist eine Verlängerung ins Wochenende sehr wahrscheinlich. Aus Kreisen der österreichischen Delegation wird ein Ende vor Sonntag nicht erwartet.

Bewegung gab es zuletzt aber im Streit über Ausgleichszahlungen an ärmere Länder für klimabedingte Schäden. Die Teilnehmer präsentierten nach Beratungen am späten Donnerstagabend einen fünfseitigen Entwurf mit drei möglichen konkreten Schritten bei dem Thema – im UNO-Jargon als „Loss and Damage“ bezeichnet. Genannt werden die sofortige Einrichtung eines neuen Fonds, alternativ die Einrichtung des neuen Fonds bei der nächsten Klimakonferenz Ende 2023 in Dubai sowie eine eher allgemein gehaltene „Finanzierungsvereinbarung“.

„Wir haben gestern Nacht einen großen Schritt gemacht“, sagte die deutsche Verhandlungsführerin, Außenministerin Annalena Baerbock, im ZDF-„Morgenmagazin“. Allerdings waren sowohl hier als auch zu anderen Punkten Freitagfrüh weiterhin Fragen offen.

Mit dem Entwurf zu „Loss and Damage“ scheint eine Einigung beim größten Streitpunkt der diesjährigen Konferenz ansatzweise greifbar. Unter dem Begriff der Schäden und Verluste wird diskutiert, wie die Folgen des Klimawandels in ärmeren Ländern, die laut Wissenschaft kaum oder deutlich weniger zu den Schäden beigetragen haben, gemeinsam geschultert werden können. Mehr als 130 der rund 200 Teilnehmer fordern die feste Einrichtung eines Finanztopfs.

Greenpeace Österreich sprach in einer ersten Reaktion von einem klaren Schritt nach vorne. „Jetzt liegt es an den Staaten, sich nicht in der Diskussion rund um Kleingedrucktes zu verlieren und sich für einen starken Finanzierungstopf einzusetzen, der noch auf dieser Klimakonferenz beschlossen wird“, sagte Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace.

Die österreichische Menschenrechtsorganisation Südwind sah erste positive Impulse. „In einer von zähen Verhandlungen geprägten Klimakonferenz ist es ein Lichtblick, dass ein Ausgleich von Schäden und Verlusten ernsthaft auch vonseiten der EU diskutiert wird“, sagte Joachim Raich, Klimagerechtigkeits-Sprecher von Südwind. Der weitere Prozess müsse sich nun an den Bedürfnissen der Empfänger-Länder orientieren.

In dem Papier ist die Rede vom „dringenden und umgehenden Bedarf für neue, zusätzliche, berechenbare und angemessene finanzielle Mittel“ bei dem Thema. Damit sollten Entwicklungsländer unterstützt werden, die am meisten verwundbar sind bei durch den Klimawandel bedingte Schäden.

EU-Klimakommissar Frans Timmermans machte im Plenum seinerseits ein Angebot für einen Fonds, finanziert von einer „breiten Geber-Basis“. Der Fonds solle Teil eines „Mosaiks von Lösungen“ sein, zu dem auch ein Blick auf Schulden und eine Reform der Entwicklungsbanken zähle. Ebenso wichtig seien Fortschritte bei der Verringerung klimaschädlicher Emissionen, sagte Timmermans. Diese Maßnahmen und das Thema Schäden und Verluste seien „zwei Seiten derselben Medaille“.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) zeigte sich Donnerstag noch überzeugt davon, dass reichere Industrieländer Gelder geben müssen. Die Einrichtung eines eigenen Fonds – unter anderem wegen zu viel Bürokratie und zu langsamer Auszahlung – sah sie aber kritisch.

Eine genaue Definition für Schäden und Verluste gibt es nicht. Meist werden darunter aber Schäden von Extremwetterereignissen – etwa Dürren oder Überflutungen – sowie von langsamen Veränderungen im Zuge der Erderwärmung verstanden, etwa steigende Meeresspiegel oder Wüstenbildung. Es geht um Folgen jenseits dessen, woran Menschen sich anpassen können, oder um Situationen, in denen die Mittel für eine Anpassung fehlen.

UN-Generalsekretär António Guterres flog nach dem G20-Gipfel auf Bali extra erneut nach Ägypten ein, um Druck zu machen. „Die Klima-Uhr tickt und das Vertrauen schwindet weiter“, warnte er. Die Teilnehmer der Klimakonferenz könnten etwas ändern, hier und jetzt. „Ich rufe sie zum Handeln auf – und zwar schnell“, mahnte er rund 24 Stunden bevor das Treffen im ägyptischen Sharm el-Sheikh am Freitagabend nach offiziellem Zeitplan enden sollte.

APA/ag

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