Machen wir unser Grätzl klimafit

29. März 2023

Unsere Lebensqualität hängt stark davon ab, wie grün die Städte sind. In den Wiener Bezirken Mariahilf und Neubau startet das Projekt Grätzltransformer: Bewohner und Eigentümer investieren in Maßnahmen zu vereinbarten Klimazielen. Werden diese erreicht, kommt es zur Rückzahlung – plus Zinsen.

Der Klimawandel wird für Österreich sehr teuer. Das Überschreiten der EU-Klimaziele wird den Staat laut Prognosen des Rechnungshofes aus dem Jahr 2021 rund neun Milliarden Euro an Kompensationszahlungen kosten — Geld, das besser in Projekten zu Klimaschutz oder Klimawandelanpassung angelegt wäre, da diese nicht nur Strafzahlungen obsolet machen, sondern auch die Klimafolgen abschwächen könnten. Die Klimakrise verursacht gigantische Folgekosten, die vom Rechnungshof mit jährlich rund einer Milliarde Euro beziffert werden. Während die Klimapolitik nach wie vor keine klaren Ansagen macht und schon von erwartbaren 2°C-plus-Szenarien die Rede ist, betont der Weltklimarat IPCC in seinem soeben veröffentlichten Synthesebericht die Bedeutung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Eine dieser Maßnahmen ist die Begrünung von Städten: Pflanzen kühlen ihre Umgebung und binden CO2, zudem sind Begrünungsmaßnahmen recht unkompliziert und mit überschaubaren Mitteln umsetzbar. Dennoch nimmt die grüne Transformation unserer Städte nur langsam Fahrt auf. Besonders in der Bestandsstadt scheint der grüne Umbau ein kaum zu stemmender Kraftakt. „Strukturelle, organisatorische und rechtliche Hindernisse geben sich in der Praxis die Hand“, weiß Doris Schnepf von Green4Cities, einem Planungsbüro, das sich auf die Forschung, Entwicklung und Umsetzung klimawirksamer grüner Infrastruktur in Städten spezialisiert hat. Natürlich sind auch die Kosten ein allgegenwärtiges Problem, doch sollten gerade Investitionskosten kein Hindernis darstellen. Zumal es vonseiten der Wissenschaft klare Aussagen gibt: Nichthandeln ist immer die teuerste Variante, Folgeschäden sind langfristig wesentlich kostspieliger.

Investitionen in den Ausbau grüner Infrastruktur rechnen sich daher, jedenfalls volkswirtschaftlich, denn die zahlreichen positiven Effekte vermeiden Klimafolgekosten auf unterschiedlichen Ebenen. Doch das Problem, das Freiraumprojekte seit jeher begleitet, ist: Die positiven Effekte von Grün bilden sich monetär nicht dort ab, wo die Errichtungs- und Erhaltungskosten anfallen.

CO2-Bepreisung als Schlüssel

Begrünungsmaßnahmen im öffentlichen Raum werden derzeit gerne aus EU-Sonderfördertöpfen teilfinanziert, einen Teil trägt die Stadt. In Wien werden etwa über das Förderprogramm „Lebenswerte Klimamusterstadt“ bis 2025 jährlich 20 Millionen Euro an grüne Infrastrukturprojekte vergeben. Die Grünraumoffensive sieht bis 2025 mehrere Hunderttausend Quadratmeter neuer Parkflächen und 25.000 neue Stadtbäume vor. Das ist erfreulich, doch punkto Kosten ist die Sache damit noch nicht erledigt. Denn die eigentliche Belastung der kommunalen Haushaltsbudgets sind nicht die Herstellungskosten, sondern jener der Pflege- und Erhaltung — diese machen über den Lebenszyklus der Grünanlage gerechnet den größeren Teil aus. Handelt es sich um Grün im öffentlichen Raum, trifft diese Kosten die Stadtgartenämter. Dass die ohnehin notorisch knappen Haushaltsbudgets der Kommunen die Finanzierung der Klimatransformation nicht werden stemmen können, scheint offensichtlich. Wer soll das also bezahlen?

Mit dem Green Deal und der Einführung der EU-Taxonomie wurden neue Green-Finance-Systeme angestoßen, die uns auch bei der grünen Transformation der Städte helfen können. Die Bundespolitik verfügt über zahlreiche Steuerungsinstrumente, allen voran ein klimaschutzorientiertes Steuer- und Subventionssystem. Österreich hat bereits im Oktober 2022, als Kernstück der ökosozialen Steuerreform, die CO2-Bepreisung eingeführt, um die Kosten klimaschädlichen Verhaltens an die Verursacher weiterzugeben. Die CO2-Bepreisung gilt als einer der wesentlichen Schlüssel zur Klimawende, denn der Staat hat damit auch die Möglichkeit, aus Teilen der Einnahmen Investitionen zur Abwendung der Klimakrise zu finanzieren. Zudem zeigt die Kurswende der EU erste Wirkungen. Ein Drittel der 1,8 Billionen Euro schweren Investitionen aus dem Aufbauplan „Next Generation EU“ und dem siebenjährigen Haushalt der EU dienen der Finanzierung des Green Deals und somit auch nationalen Klimainvestitionen.

In Wirkungen investieren

„Bei der Stadtbegrünung auf Quartiersebene gilt es vor allem Private und Liegenschaftseigentümer:innen mit ins Boot zu holen“, so Doris Schnepf von Green4Cities. Schließlich besteht eine Stadt bei Weitem nicht nur aus öffentlichen Flächen, sondern ist ein kleinteiliges Stückwerk mit unterschiedlichen Besitzverhältnissen und vielfältigen behördlichen Zuständigkeiten. „Um die daraus entstehenden Hürden zu überwinden, müssen wir neue Planungs- und Finanzierungskonzepte standardisieren, die liegenschafts- und sogar quartiersübergreifend wirken sowie die Energiewirtschaft und Mobilitätsplanung einbeziehen. Gemeinsam mit Partnern haben wir daher das Konzept des Grätzltransformers entwickelt“, berichtet die Forscherin.

Dabei handelt es sich um ein organisatorisches Instrument der Entwicklungsplanung, bei dem möglichst viele Bürger:innen und Liegenschaftseigentümer:innen eingebunden werden, um ihr eigenes Grätzl in nur wenigen Jahren klimafit zu machen. Grundlage dafür sind neue Finanzierungsinstrumente wie etwa Environmental Impact Bonds. „Anders als bei herkömmlichen Anleihen stellen Investor:innen Geld für die Umsetzung von Klimamaßnahmen zur Erreichung bestimmter, vertraglich vereinbarter Wirkungen zur Verfügung. Werden diese nachweislich erreicht, kommt es zur Rückzahlung, einschließlich Zinsen.“

Die silo- und liegenschaftsübergreifende Wirkung ist dabei der Schlüssel, denn nur so können Synergien entstehen, und nur so bekommen die Wirkungserreichung- und Payback-Modelle überhaupt erst den nötigen Hebel. „Statt in bauliche Umsetzungen wird in Wirkungen investiert. Das zu finanzierende Ziel ist also nicht etwa die Anzahl von gepflanzten Bäumen, sondern die Erreichung der Reduktion der Temperatur — beispielsweise um gefühlte zehn Grad. Und das funktioniert natürlich nur liegenschaftsübergreifend“, erklärt Doris Schnepf das Konzept, das gerade für Private und auch für weniger finanzstarke Eigentümer:innen eine interessante Option darstellen könnte.

Für den Grätzltransformer, der in einem Pilotgebiet in den Wiener Gemeindebezirken Mariahilf und Neubau gestartet werden soll, gilt es freilich erst ausreichend Beteiligte zu überzeugen, um den beschriebenen Ansatz zu erfüllen. Doch das sollte bei dem verlockenden Kernanreiz kein Problem sein: ertragreich in eine klimataugliche Zukunft mit hoher Lebensqualität im eigenen Grätzl zu investieren.

von Stephanie Drlik

Die Presse

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