Die deutsche Energiewende auf der Kippe

25. Mai 2023, Berlin

Deutschland. Die FDP verzögert den Ausstieg aus Heizen mit Öl und Gas. Das Klima-Projekt sorgt für Ärger in der Ampelkoalition.

Dass Robert Habeck schon einfachere Tage hatte, ist kein Geheimnis. In der vergangenen Woche musste er sich von einem seiner engsten Vertrauten, Patrick Graichen, trennen, dem Vetternwirtschaft vorgeworfen wurde. Am Montag präsentierte er mit Philipp Nimmermann dessen Nachfolger als Staatssekretär — einen in der grünen Szene kaum vernetzten Finanzexperten. Am Dienstag musste sich der deutsche Wirtschaftsminister dann mit dem nächsten Riesenproblem beschäftigen.

Habecks wichtigstes Klima-Projekt sorgt für Verwerfungen: jenes Gesetz, mit dem er den Ausstieg Deutschlands aus dem fossilen Heizen einleiten wollte. Eine komplexe Operation, von der in den kommenden zwei Jahrzehnten rund 30 Millionen deutsche Haushalte betroffen sind, die mit Öl und Gas heizen. Habecks Weg, das zu bewerkstelligen, wird infrage gestellt. Blockiert wird er dabei nicht nur von der Opposition — sondern auch vom Regierungspartner FDP.
Eigentlich hätte das Gebäudeenergiegesetz diese Woche im deutschen Parlament eingebracht und in erster Lesung behandelt werden sollen. Doch die Wirtschaftsliberalen verweigerten und verzögern so den Zeitplan. Weil damit eine Sitzungswoche ungenutzt verstreicht, ist fraglich, ob das Gesetz noch vor dem Sommer beschlossen werden kann, wie sich das die beiden anderen Regierungsparteien, SPD und Grüne, wünschen. Am 7. Juli beginnt die Sommerpause, davor gibt es nur noch drei Sitzungswochen.

„Dieses Gesetz ist bekloppt“

Geht es nach SPD und Grünen, soll das Gesetz mit Anfang 2024 in Kraft treten. Dann müsste jede neu eingebaute Heizung in Deutschland zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Kaputte Gasthermen oder Ölheizungen dürfen repariert werden. Nur Totalausfälle müssen mit einer Heizung ersetzt werden, die mit erneuerbarer Energie wärmt.

Um das Heizungsgesetz hat sich längst ein politischer Machtkampf entwickelt. Die Stimmung zwischen den Regierungsparteien ist hitzig: Die grüne Co-Fraktionsvorsitzende, Britta Haßelmann, warf der FDP „Arbeitsverweigerung“ vor. Wirtschaftsminister Habeck sagte, er „nehme zur Kenntnis, dass sich die FDP nicht an das gegebene Wort hält“. Der sozialdemokratische Kanzler, Olaf Scholz, lässt seine beiden Juniorpartner wie so oft streiten. Er rechne aber mit einer Einigung vor der Sommerpause, ließ er wissen.

Die Liberalen hatten dem Gesetzesentwurf zwar im Ministerkabinett zugestimmt, aber einen Zusatz ans Protokoll anfügen lassen. Die Umsetzung solle „praxistauglich und finanzierbar“ sein. Im Parlament stellt die FDP auf Blockade. „Die Frage ist: Ist es jetzt schon in dem Status, dass der Bundestag in aller Breite darüber beraten kann? Und das sehe ich derzeit noch nicht“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Dienstag.
Die oppositionelle Union wiederum möchte das ungeliebte Gesetz diese Woche im Gespräch halten und beantragte eine parlamentarische Debatte. Wie sie zu den Plänen steht, ist klar. „Dieses Gesetz ist bekloppt, die Koalition ist zerstritten, und die Bürger sind verängstigt“, sagte Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der Abgeordneten der bayerischen CSU.

„Darf man nicht wegwerfen“

Zwar hatte Wirtschaftsminister Habeck das Gesetz zusammen mit Bauministerin Klara Geywitz (SPD) ausgearbeitet und vorgestellt. Der Unmut darüber scheint aber hauptsächlich an ihm hängen zu bleiben. Seine Umfragewerte sinken genauso wie jene der Grünen. Als Architekt des Gesetzes gilt ausgerechnet der in Ungnade gefallene Staatssekretär Graichen.

Die FDP stößt sich vor allem an einer Bevorzugung von Wärmepumpen, die sie im Gesetz erkennen will. Die Liberalen selbst bringen immer wieder Gasthermen ins Spiel, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können. So ließe sich auch ein Vermögen für die Gasindustrie retten: In Deutschland seien rund eine halbe Million Kilometer Gasleitungen im Wert von rund 270 Milliarden Euro verbaut. „Das darf man nicht einfach so wegwerfen“, sagte FDP-Fraktionschef Dürr.
Die Regierungspartei hat aber noch andere Kritikpunkte: Der derzeitige Gesetzesentwurf sieht Subventionen von bis zu 50 Prozent der Kosten eines Heizungstausches vor, die Finanzierung sei aber unklar. Über 80-Jährige sollen weiterhin fossile Heizungen einbauen dürfen, was laut Meinung einiger FDP-Politiker nur schwer sachlich begründbar sei und deswegen gegen das deutsche Grundrecht verstoßen könnte.

Mitten in der emotionalen Debatte brachte die deutsche Ökonomin und Sachverständige der Bundesregierung Veronika Grimm eine alte Idee auf: Statt bestimmte Heizungen zu verbieten, solle einfach der CO2-Preis schneller angehoben werden. Dadurch bekämen Hausbesitzer mehr Druck, könnten aber selbst entscheiden, wann und wie sie umstellen.

von unserem Korrespondenten Christoph Zotter

Die Presse

Ähnliche Artikel weiterlesen

Der schrittweise Ersatz von Öl und Gas

10. April 2024

Millionen für die Energiewende

3. April 2024

„Niemand darf in einer dunklen, kalten Wohnung zurückgelassen werden“

21. März 2024

Hohe Strompreise und viel Wasser brachten Verbund Rekordergebnis

18. März 2024