Schweizer entscheiden über CO2-Neutralität bis 2050

15. Juni 2023, Genf

Die rasch schmelzenden Gletscher in den Alpen führen den Schweizern den Klimawandel deutlich vor Augen. Am Sonntag stimmen sie in einem Referendum darüber ab, ob ihr Land bis 2050 CO2-neutral werden soll. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Verbrauch von Erdöl und Erdgas schrittweise zu reduzieren, erneuerbare Energien auszubauen und klimafreundliche Heizungen zu fördern. Umfragen sehen eine klare Mehrheit für das so genannte Klima- und Innovationsgesetz.

Die Schweiz und ihr alpines Ökosystem sind besonders stark von der Erderwärmung betroffen. Die Gletscher verloren zwischen 2001 und 2022 ein Drittel ihres Eisvolumens. Den Befürwortern der Gesetzesvorlage geht es jedoch nicht nur darum, den CO2-Ausstoß zu senken. Sie setzen sich auch für eine größere Energieunabhängigkeit der Schweiz ein. 75 Prozent der verbrauchten Energie, vor allem Erdöl- und Erdgas, werden importiert. Diese Abhängigkeit wurde infolge des Überfalls Russlands auf die Ukraine besonders deutlich.

Die Abkehr von fossilen Energien soll ohne Verbote und neue Steuern erreicht werden. Der Gesetzestext ist der Gegenentwurf zur so genannten Gletscher-Initiative, die Klimaaktivisten 2019 eingereicht hatten. Regierung und Parlament lehnten deren Vorschläge ab, da sie Gas und Öl ab 2050 verbieten wollten.

Das Gesetz, über das am Sonntag abgestimmt wird, sieht über zehn Jahre jährlich bis zu 200 Millionen Franken (205 Millionen Euro) vor, um Hausbesitzer beim Umstieg auf klimafreundliche Heizsysteme, zum Beispiel Wärmepumpen, zu unterstützen. Auch Industrien, die in innovative Technologien wie CO2-Filter investieren, sollen gefördert werden.

Alle maßgeblichen Parteien und die Bundesregierung befürworten das Klima- und Innovationsgesetz – außer der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Zustimmung in der Bevölkerung ist groß, auch wenn sie in den vergangenen Wochen sank und nun laut dem Forschungsinstitut gfs.bern bei 63 Prozent liegt.

Die SVP bezeichnet den Entwurf als „Stromfresser-Gesetz“, das die Energiesicherheit gefährde und die Stromrechnung der Haushalte in die Höhe schnellen lassen werde. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die SVP gegen ein Klimagesetz stellt. 2021 brachte die Partei eine Vorlage zur Senkung der Treibhausgasemissionen zum Scheitern.

Bei den Volksabstimmungen am Sonntag können die Schweizer auch über eine Verfassungsänderung entscheiden, die den Plan der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der G20 umsetzen soll, große international tätige Unternehmen mit einem Steuersatz von mindestens 15 Prozent zu besteuern.

Umfragen zufolge befürworten 73 Prozent der Wahlberechtigten die geplante Mindestbesteuerung, die für Konzerne ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro gelten soll. Bisher besteuerten die meisten der 26 Schweizer Kantone Unternehmen niedrig, um trotz der hohen Arbeitskosten wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Regierung rechnet im ersten Jahr mit zusätzlichen Einnahmen zwischen einer und 2,5 Milliarden Franken, die sie zum Teil zur Förderung des Wirtschaftsstandorts Schweiz verwenden will.

Als drittes wird am Sonntag auch über das Covid-19-Gesetz abgestimmt, das Corona-Maßnahmen erleichtert, falls die Pandemie erneut aufflammen sollte.

APA/AFP