„Mit dem Tempo geht sich das nicht aus“

24. Juli 2023, Wien

Verbund-Chef Michael Strugl über die Energiewende, Strompreise und die Wahl zwischen Buhmann und Gefängnis

„Wir brauchen jede Kilowattstunde Strom, die wir selbst erzeugen können“, sagt der Chef des größten österreichischen Stromkonzerns Verbund, Michael Strugl, und redet damit auch dem Ausbau der Windkraft in ganz Österreich das Wort. Denn wenn der Ausbau der Erneuerbaren so langsam weitergehe, schaffe Österreich die Energiewende nicht.

OÖNachrichten: Wenn ich beim Tarifkalkulator nach dem billigsten Strom für mich suche, ist der Verbund-Strom um rund 40 Prozent teurer als der billigste Anbieter und um gut 20 Prozent teurer als die Linz AG. Warum sind Sie so teuer?

Michael Strugl: Erklärbar ist das mit unserer Beschaffungsstrategie. Wir beschaffen längerfristig, damit wir auch die Versorgungssicherheit gewährleisten können. Wir haben im Vorjahr teurer eingekauft, das schlägt sich im Preis nieder. Davor hatte diese Beschaffungsstrategie den Vorteil, dass wir billiger beschafft hatten und die Preissteigerung nicht oder nur teilweise beim Kunden ankam. Derzeit liegen wir im Mittelfeld. Wir haben derzeit ein Angebot draußen mit 19,7 Cent netto je Kilowattstunde mit einer Preisbindung unsererseits, aber ohne Vertragsbindung für die Kundinnen und Kunden.

Derzeit sind wieder jene günstig, die nur vom Handel leben und die sich bei den massiven Preissteigerungen aus dem Markt zurückgezogen haben.

Als wir diese wilde Preisrallye hatten, haben einige Anbieter ihren Kunden gekündigt und die beschafften Strommengen teuer auf dem Spotmarkt verkauft, und die Kunden standen ohne Anbieter da. Jetzt fangen sie von vorne an. Das halte ich für problematisch. Die Frage ist, wie man das in Zukunft handhabt. Die EU-Kommission hat ja eine Hedgingpflicht vorgeschlagen (die Anbieter müssen sich auf dem Markt gegen Schwankungen absichern; Anm.).
Der Durchschnittskunde fragt sich aber, wieso der Verbund mit abgeschriebenen Wasserkraftwerken nicht gleichzeitig niedrige Preise und Versorgungs- sicherheit garantieren kann.

Wir haben einen Strommarkt, die Preise sind Grundlage für die Kalkulation. Die Tarife für die Haushaltskunden haben die hohen Preisausschläge gar nicht reflektiert. Im Herbst 2022 lag der durchschnittliche Großhandelspreis bei 44 Cent, unser höchster Tarif durchschnittlich bei 13 Cent. Erst im März haben wir auf 23,9 Cent angepasst, und wir bieten seit 1.7. einen Tarif von 19,7 Cent. Unser Hedging hat das geglättet. Aber der Endkundenvertrieb des Verbund macht heuer einen Verlust von 365 Millionen Euro, auch weil der Sommer im Vorjahr zu trocken war, wir mussten zukaufen. Aber: Meine Erzeugungsgesellschaft muss an meine Vertriebsgesellschaft Strom zum Marktpreis verkaufen. Die Erzeugungsgesellschaft gehört nicht Verbund allein, und Verbund selbst gehört verschiedenen Aktionären. Würde hier unter Markt gezahlt, wäre das eine verdeckte Einlagenrückgewähr, die verboten ist, und schließlich wäre es Untreue, ein strafrechtlicher Tatbestand. Ich verstehe, dass man das nicht gern hört und dass es kompliziert ist, aber das ist unser Rechtsraum, und der gilt.

Sie konnten es sich also aussuchen: Buhmann oder Gefängnis.

Das ist sehr zugespitzt, aber dass die gesamte Branche an den Pranger gestellt wird, ist bedauerlich und entspricht nicht den Fakten. Die 20.000 Beschäftigten in dieser Branche haben gewährleistet, dass das ganze Land mit Strom versorgt wurde und weiterhin wird. Und das war keineswegs selbstverständlich. Und wenn wir die Energiewende schaffen und die Klimaneutralität erreichen wollen, braucht man diese Unternehmen und ihre Investitionen. Das sind bis 2030 60 Milliarden Euro.

Und bis 2040 noch um einiges mehr.

Bis dahin werden wir die Menge verdoppeln und die Kapazitäten verdreifachen müssen. Da brauchen wir den Rückhalt in der Bevölkerung. Ein Bashing der Konzerne hilft da nicht weiter.

Hat die Politik hier den Schuldigen für das eigene Versagen gesucht?

Das haben Sie gesagt.

Wird Energie wieder billiger?

Ich bin mit Prognosen zurückhaltend. Der Gaspreis ist deutlich gesunken, weil es Europa gut geschafft hat, sich von russischem Gas unabhängiger zu machen. Aber das hatte auch seinen Preis. Diese Preise vor der Krise werden wir nicht mehr sehen, aber im Vergleich zum Vorjahr sehen wir eine Entspannung. Das Gas hat auch den Strom verteuert, dieser Einfluss sinkt, dafür wird der CO2-Preis eine Rolle spielen. Dagegen wirkt der Preis für Strom und PV, der ist wegen Überkapazitäten an manchen Wochenenden sogar negativ, was dazu führt, dass wir zum Beispiel Wasserkraftwerke runterregeln müssen. Wir nutzen nicht die gesamte Erzeugungskapazität.

Was sollten wir daraus lernen?

Wir brauchen einen koordinierten Ausbau von Erzeugung und Netzen. Das wäre Thema einer Energieraumplanung unter Einbeziehung von Bund, Ländern und Unternehmen. Derzeit ist alles zersplittert und nicht abgestimmt. Das Energiesystem ist alles andere als trivial.

In Westösterreich gibt es keine Windräder, in Oberösterreich wehrt sich die Landesregierung dagegen. Kommen wir ohne Windräder aus?

Wir brauchen 2040 140 Terawattstunden Strom, derzeit liegen wir circa bei der Hälfte. Wir müssen also jede Kilowattstunde erzeugen, die möglich ist. Der Ausbau muss in einem nationalen Schulterschluss rasch und koordiniert erfolgen. Aber auch wir haben diesbezüglich frustrierende Erlebnisse. Eines unserer Windprojekte, das an sich schon genehmigt war, wurde so lange beeinsprucht, bis die Windturbine auf dem Markt nicht mehr verfügbar war. Und eines unserer Windprojekte mit acht Windrädern ist in einer Gemeinde von 72 Prozent abgelehnt wurden, obwohl es den betroffenen Bürgern bis zu 50 Prozent Stromrabatt gebracht hätte. Das lässt einen schon ein wenig ratlos zurück. Das Thema Akzeptanz ist also ein großes. Mit diesem Tempo geht sich die Energiewende nicht aus.

Das Thema Speicherung ist eines der wichtigsten. Allerdings steigen die Kosten etwa für Pumpspeicherkraftwerke wegen der Bau- und Finanzierungskosten massiv, wie das Beispiel Energie AG in Ebensee zeigt. Scheitert die Speicherung von Strom an den Kosten?

Unser größtes Projekt ist das Pumpspeicherkraftwerk Limberg III in Kaprun mit 480 Megawatt und 570 Millionen Euro Kosten. Wenn sich das nicht rechnen würde, hätte es der Aufsichtsrat nicht genehmigt. Beim Speicher Riedl (Grenze Bayern/Oberösterreich) haben wir alle Unterlagen eingereicht und warten auf den Erörterungstermin. Pumpspeicher sind eine großtechnische Möglichkeit der Energiespeicherung, und wir sind überzeugt, dass sie in Zukunft gebraucht werden und wirtschaftlich sind. Wegen des Zubaus gigantischer Kapazitäten von Sonnen- und Windstrom müssen wir zwischen Sommer und Winter zehn Terawattstunden ausgleichen. Es braucht aber nicht nur Hydro- und Pumpspeicher, sondern auch gasförmige wie etwa Wasserstoff in unterirdischen Speichern, wir haben da ein Pilotprojekt mit der RAG in Oberösterreich. Dazu braucht es viele Kurzfristspeicher wie zum Beispiel Großbatterien, langfristig gedacht können das irgendwann auch E-Autos sein.

„Dass die gesamte Branche an den Pranger gestellt wird, ist bedauerlich und entspricht nicht den Fakten.“
Michael Strugl,CEO Verbund und Präsident Oesterreichs Energie

Oberösterreichische Nachrichten