Windkraft sorgt für Milliardenverlust

10. August 2023, München

Siemens Energy prognostiziert den Fehlbetrag durch die Tochterfirma Siemens Gamesa mit 4,5 Milliarden Euro. Rotorblätter werden ausgetauscht.

Eigentlich sollte das Geschäft mit der Windkraft einen Schub für die Zukunft bringen. Die Windturbinentochter Siemens Gamesa wurde erst im Februar von Siemens Energy vollständig übernommen. Nun stellt sich diese Übernahme für den DAX-Konzern immer weiter als ein Fass ohne Boden heraus. Im abgelaufenen Quartal verbuchte Siemens Energy wegen Rückstellungen und operativer Verluste ein Minus von knapp drei Milliarden Euro, wie der Konzern am Montag mitteilte.


Damit hat Siemens Energy mehr Verlust gemacht als je zuvor seit der Abspaltung von Siemens. Für das noch bis Ende September laufende Geschäftsjahr erwartet Energy nun laut neuer Prognose insgesamt einen Rekordverlust von 4,5 Milliarden Euro.


Fehleranfällige Rotorblätter
Aber wie konnte es so weit kommen? Bereits im Juni wurden die ersten Probleme mit den Windrädern der Tochterfirma öffentlich. Teile an den Windrädern fielen gehäuft aus, Gamesa stellte eine knappe halbe Milliarde Euro für Garantie- und Wartungskosten zurück. Doch das reichte bei Weitem nicht aus. Mittlerweile wurde die Prognose bereits auf 1,6 Milliarden Euro erhöht.


Die drohenden Belastungen klar zu beziffern fiel dem Unternehmen lange nicht leicht, es ist noch unklar, wie viele Turbinen in Zukunft ausfallen könnten und ausgebessert werden müssen. Betroffen sind vor allem die Rotorblätter und Lager bei den Onshore-Plattformen 4.X und 5.X von Gamesa. Die Turbinen laufen zwischenzeitlich, Kunden hätten keine Ausfälle gemeldet – sie seien aber absehbar. Die Reparaturen sollen größtenteils 2024 und 2025 stattfinden. Als Konsequenz will sich Gamesa von einigen Lieferanten trennen.


Mit Bekanntwerden dieser Nachrichten Ende Juni hatten die im DAX notierten Papiere an nur einem Tag 37 Prozent ihrer Marktkapitalisierung eingebüßt und waren damit in die Liste der größten Tagesverlierer im deutschen Leitindex gerutscht. Mit 13,775 Euro hatten die Anteilsscheine den tiefsten Kurs seit November 2022 markiert.


Siemens Energy war 2020 von Siemens ausgegliedert und an die Börse gebracht worden. Seither hat der Konzern noch kein Geschäftsjahr und nur wenige Quartale mit einem Gewinn abgeschlossen. Immer wieder sorgten dabei Probleme mit Gamesa für Gewinnwarnungen und drückten die Zahlen tief ins Minus.

Um das Sorgenkind besser in den Griff zu bekommen, hat Energy seine Windkrafttochter, die lange Zeit nur eine Mehrheitsbeteiligung war, inzwischen komplett übernommen. Daran, ob und wie schnell die Probleme nun gelöst werden, dürfte dabei auch die Zukunft von Konzernchef Christian Bruch hängen.


Aktie dennoch mit Gewinnen
Den Börsianern fiel es schwer, die Nachrichten einzuordnen. Die gebeutelte Siemens-Energy-Aktie fiel zunächst um sieben Prozent, lag zeitweise aber auch sieben Prozent im Plus. „Die Zahlen sind negativ, aber nicht so schlecht, wie einige Anleger befürchtet hatten“, schrieben die Analysten von JPMorgan. Die Schätzungen für die Belastungen reichten vorher bis zu fünf Milliarden Euro. Mit der Steuerabschreibung habe Siemens Energy nun wohl „reinen Tisch“ machen wollen, so JP Morgan. Beruhigend für die Anleger war, dass Finanzchefin Maria Ferraro eine Kapitalerhöhung ausschloss: Das angestammte Geschäft mit Gaskraftwerken und Stromnetzen sei profitabel und bringe genug Geld ein.

Hohe Kosten sind ein Problem
Bei Windturbinen, die auf hoher See und damit Offshore eingesetzt werden, kämpft Siemens Gamesa zusätzlich an zwei Fronten: Zum einen laufen die Kosten für Stahl und andere Materialien davon, wodurch das Unternehmen plötzlich auf einem Berg unrentabler Aufträge sitzt.


Zum anderen dauert es länger, um die Fabriken hochzufahren oder umzurüsten und Mitarbeiter anzulernen, um die riesige Nachfrage zu bewältigen. Man habe da wohl zu optimistisch kalkuliert, sagte Gamesa-Chef Jochen Eickholt, der als Sanierer zu Gamesa geschickt worden war. „Wir sind die Opfer unseres eigenen Anspruchs.“ Auf rund 600 Millionen Euro veranschlagt er die Probleme bei Offshore-Anlagen.

Dazu kommen negative Steuereffekte: Siemens Energy kann Verlustvorträge von 700 Millionen Euro nicht nutzen, solange nicht absehbar ist, wann der Konzern wieder schwarze Zahlen schreibt. Für das laufende vierte Quartal geht der Konzern nochmals von operativen Verlusten von mindestens 600 Millionen Euro aus, weil bei Siemens Gamesa Umsatz fehlt. Im Geschäftsjahr dürften allein bei der Tochter 4,3 Milliarden Euro Verlust auflaufen. Trotz eines riesigen Auftragseingangs rechnet Siemens Gamesa im Geschäftsjahr allenfalls mit stagnierendem Umsatz.


Gewinne jenseits von Gamesa
Jenseits von Gamesa lief es für Energy deutlich besser. Die drei anderen Bereiche – Gas Services, Grid Technologies und Transformation of Industry – konnten ihre Ergebnisse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verbessern. Und auf Konzernebene legten auch Auftragseingang und Umsatz zu.

Die Presse