Die Energiemärkte brachten die für das Endkundengeschäft zuständige Wien Energie Vertrieb in schwere Nöte. Sie brauchte trotz massiver Preiserhöhungen ein Attest, dass ihr Überleben gesichert ist.
Die Turbulenzen auf den Energiemärkten mit Preisausschlägen in noch nie dagewesener Höhe nach dem russischen Überfall auf die Ukraine brachten die Wien Energie im Vorjahr nicht nur in erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten, die letztlich nur mittels Notkompetenz des Wiener Bürgermeisters und eines Notkredits der Republik Österreich planiert werden konnten. Wie eng es war, zeigt der Jahresabschluss der für Vertrieb zuständigen Wien Energie Vertrieb GmbH & Co KG.
Die fürs Endkundengeschäft verantwortliche Gesellschaft brauchte im ersten Halbjahr des bis Ende September 2023 laufenden Geschäftsjahres eine Fortbestehensprognose. Die für den Handel aus der Stromproduktion zuständige Wien Energie GmbH hingegen kam bereits unmittelbar nach den Liquiditätsengpässen Ende August 2022 zurück in ruhigeres Fahrwasser, sie schrieb dank teilweise exorbitanter Preiserhöhungen bei Strom und Gas „ein gutes Ergebnis“, also Gewinne.
Wie angespannt die Lage war, erschließt sich aus dem Ende Juni 2023 im Firmenbuch hinterlegten Jahresabschluss der Wien Energie Vertrieb per 30. September 2022. Die über die Energieallianz mit der niederösterreichischen EVN und der burgenländischen Bewag aufs Engste verbundene Wien Energie Vertrieb wies im Geschäftsjahr 2021/22 eine buchmäßige Überschuldung aus. Das Eigenkapital war mit rund 140 Millionen Euro negativ, der Verlust belief sich auf rund 205 Millionen. Rückstellungen für Drohverluste in der Größenordnung des Jahresfehlbetrags runden das Bild ab.
Die saftigen Preiserhöhungen, unter denen Gewerbe- wie Privatkunden bis heute stöhnen, reichten offenbar ebenso wenig aus wie die vielgepriesene Trading-Strategie. Man habe die massiven Preissteigerungen erst zeitverzögert und auch nicht in vollem Umfang an die Endkunden weitergeben können, begründete eine Sprecherin von Wien Energie das Vorgehen. Einen Gutteil der Preiserhöhungen in der Beschaffung musste der Versorger schlucken. Das führte zu den heuer im April veröffentlichten 143 Millionen Euro Verlust.
Die Fortbestehensprognose ist nicht zu verwechseln mit den vom Finanzministerium Anfang September 2022 für den Schutzschirm verlangten Erklärungen. Dabei erstellt der Wirtschaftsprüfer ein qualitatives Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der vorhersehbaren Zukunft. Das kommt bei einem Energieversorger im Eigentum der öffentlichen Hand nicht alle Tage vor. Wie die Verluste abgetragen werden sollen und welche Garantien und Finanzierungszusagen es gab, dazu gibt es keine Auskunft.
Der Standard