
Die Schäden an einer Ostsee-Erdgas-Pipeline zwischen Finnland und Estland sind nach Angaben des estnischen Verteidigungsministers durch schwere Gewalteinwirkung entstanden. „Es ist deutlich zu erkennen, dass diese Schäden durch eine ziemlich starke Kraft verursacht wurden“, so Hanno Pevkur am Mittwoch. „Was es also genau ist, müssen wir noch präzisieren, aber im Moment sieht es eher danach aus, dass es sich um mechanische Einwirkungen bzw. mechanische Zerstörung handelt.“
Ähnlich äußerte sich auch Estlands Staatspräsident Alar Karis: „Mittlerweile wissen wir, dass die Ursache nicht in der Natur, sondern vermutlich in menschlichem Handeln begründet liegt. Wer, warum und wie? Fahrlässigkeit oder Vorsatz? Diese Fragen müssen noch beantwortet werden“, schrieb Karis auf Facebook nach seiner Ankunft zu einem Besuch in Südkorea. „Meine Gedanken sind immer noch zu Hause, wo weiterhin neue Informationen über die Beschädigung eingehen“. Die Verantwortlichen müssten identifiziert und ans Licht gebracht werden, unabhängig von ihren Motiven, betonte er.
Der Staatschef des baltischen EU- und Nato-Landes versicherte, dass die Sicherheit der Gasversorgung und die grenzüberschreitende Internetverbindung Estlands nicht gefährdet seien. „Es ist jedoch klar, dass mehr Wachsamkeit, mehr Zusammenarbeit und mehr Ressourcen erforderlich sind, um die Sicherheit der Ostsee und unserer Verbindungen sowie der kritischen Infrastruktur zu gewährleisten“, schrieb Karis. „Das ist ein wichtiges Thema der nationalen Sicherheit Estlands, das jetzt im Fokus unserer Aufmerksamkeit bleiben muss.“
Ähnlich äußerte sich Litauens Energieminister Dainius Kreivys. Er sprach sich für einen stärkeren Schutz der Energie-Infrastruktur in der Ostsee aus. „Die am stärksten gefährdete Infrastruktur befindet sich vor der Küste und ist schwer zu schützen“, sagte er am Mittwoch im litauischen Rundfunk. „Wir brauchen wahrscheinlich ein noch höheres Maß an Überwachung, ein noch höheres Maß an Schutz. Und wir brauchen, wie der Außenminister erwähnte, wahrscheinlich gemeinsame Vereinbarungen und eine Arbeitsteilung darüber, wer was tut.“
Litauens Außenminister Gabriel Landsbergis hatte die Schaffung gemeinsamer Instrumente von EU und NATO gefordert, um den Schutz von Energieanlagen zu gewährleisten. In Reaktion auf den Vorfall hat der Baltenstaat zudem angekündigt die Überwachung seiner strategischen Infrastruktur zu verstärken. Dazu gehören das schwimmende Flüssiggas-Terminal im Ostsee-Hafen von Klaipeda und das Starkstrom-Seekabel Nordbalt zwischen Litauen und Schweden.
Norwegens Polizei hat bereits die Sicherheitsvorkehrungen an den Öl- und Gasstationen verstärkt. „Wir haben uns verstärkt auf präventive Patrouillen bei Öl- und Gasanlagen in unserem Gebiet konzentriert“, sagte Einsatzleiter Helge Blindheim vom Polizeidistrikt West in Norwegen gegenüber der Zeitung BA.
Seismologen haben zum Zeitpunkt der Beschädigung der Ostsee-Pipeline Anzeichen für eine mögliche Explosion in der Nähe der Leitung verzeichnet. Eine Station im Süden Finnlands habe eine wahrscheinliche Explosion entdeckt, die sich in der Nacht zum Sonntag um 1.20 Uhr finnischer Ortszeit ereignet habe, teilte die norwegische seismologische Forschungseinrichtung Norsar mit. Das Ereignis habe eine Stärke von schätzungsweise 1,0 gehabt, was deutlich geringer sei als bei den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines im September 2022. Lokalisiert wurden die seismischem Signale demnach ungefähr 40 Kilometer nördlich von Paldiski in Estland. Die Daten seien jedoch mit großen Unsicherheiten verbunden, weitere Analysen liefen, schrieb das Institut am Dienstagabend in einer Mitteilung.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte am Mittwoch für den Fall eines Sabotageaktes eine „entschiedene Antwort“ des Bündnisses an. Es gelte nun festzustellen, wie es zu dem Leck an der Ostsee-Pipeline kommen konnte, sagte Stoltenberg am Mittwoch bei einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel. Die Pipeline war am Sonntag wegen eines ungewöhnlichen Druckabfalls geschlossen worden. Das Militärbündnis untersuche, ob es sich um einen „gezielten Angriff auf kritische NATO-Infrastruktur“ gehandelt habe. Sollte sich der Verdacht der Sabotage bestätigen, werde es „eine vereinte und entschiedene Antwort der NATO“ geben, erklärte Stoltenberg.
Die 77 Kilometer lange Pipeline Balticconnector verbindet Inkoo in Finnland und Paldiski in Estland. Sie führt durch den Golf von Finnland, einen Teil der Ostsee, der bis in russische Hoheitsgewässer reicht. Der Betreiber verzeichnete am Sonntag um 02.00 Uhr (Ortszeit; 01.00 Uhr MESZ) einen plötzlichen Druckabfall und legte die Leitung still. Die finnische Energie-Gesellschaft Gasgrid erklärte inzwischen, es könnte Monate dauern, die Schäden zu beheben. Den zuständigen Betreibern zufolge kann der Erdgas-Bedarf in beiden Staaten aus anderen Quellen gedeckt werden, auch im Winter.
Russland hat Berichte über die Beschädigung der Ostsee-Pipeline Balticconnector zwischen Finnland und Estland als „alarmierend“ bezeichnet. „Ich habe keine technischen Informationen (…), aber das ist natürlich eine ziemlich alarmierende Neuigkeit, denn wir wissen, dass es bei der Ausführung von Terroranschlägen gegen kritische Infrastruktur bereits Präzedenzfälle im Baltikum gegeben hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Er spiele damit auf die aufsehenerregende Sabotage an den Nord-Stream-Gasleitungen vor rund einem Jahr an, so Peskow. Die Pipelines brachten russisches Gas nach Deutschland.
APA/ag