Ein Urteil des Handelsgerichts Wien schlug Anfang 2023 hohe Wellen. Die Preiserhöhungen für Strom aus Wasserkraft seien unzulässig. Eine große Revolution dürfte nach dem nunmehrigen Urteil zweiter Instanz aber ausbleiben.
Im Februar dieses Jahres hat ein erstinstanzliches Urteil für Furore gesorgt: In einem Verfahren des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) kam das Handelsgericht Wien zum Ergebnis, dass die von Verbund in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verwendete Preisanpassungsklausel unzulässig sei. Nun bestätigte das Oberlandesgericht Wien dieses Urteil. Das Verfahren hat Potenzial zum „Courtroom-Thriller“, schwingt dabei doch auch immer ein Thema mit, das die Menschen zuletzt sehr bewegt hat: Energiekosten und die Frage nach dem fairen Preis.
Adressatin des Unterlassungsbegehrens des VKI war die Verbund AG, ihres Zeichens größte Energieversorgerin Österreichs. Auf der sprichwörtlichen Anklagebank saß aber vor allem der – bislang durchaus branchenübliche – Modus zur Anpassung von Strompreisen der Kundinnen und Kunden. Die Tarife wurden nämlich an den Österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) und damit im Wesentlichen an den Börsenpreis geknüpft.
Wasserkraft zum Gaspreis
Nun ist seit der Energiekrise gemeinhin bekannt, dass die Börsenpreise von der sogenannten Merit-Order bestimmt werden. Das letzte für die Deckung des Strombedarfs benötigte Kraftwerk bestimmt den Großhandelspreis. Und jene „Grenzkraftwerke“ nutzen als Energieträger Erdgas, welches preislich durch die Decke schoss. Die Diskrepanz liegt vermeintlich auf der Hand: Der Preis für „100 % österreichische Wasserkraft“ soll vom Preis fossiler Energieträger bestimmt werden?
In genau diese Kerbe schlug das Handelsgericht Wien in erster Instanz: Steigende Börsenpreise seien keine legitimen „maßgebenden Umstände“, die eine automatische Änderung des vertraglichen Entgelts rechtfertigen könnten. Die zu wahrende subjektive Äquivalenz eines Vertrages verhindere es, dass ein Versorger mit Eigenerzeugungsportfolio den Strompreis an den allgemeinen Marktpreis knüpft. Zufallsgewinne aufgrund des gaspreisgetriebenen Börsenpreises für Strom dürfe es bei der billigeren Wasserkraft nicht geben.
Was zunächst nachvollziehbar klingt, lässt sich bei näherer Betrachtung schwer mit einem liberalisierten Strommarkt und den ökonomischen Realitäten vereinbaren: Ein Versorger muss immer dann Strom liefern, wenn der Kunde den Lichtschalter umlegt. Produzieren die eigenen Anlagen nicht genug, um den Bedarf zu decken, muss der Versorger an der Börse einkaufen, wo Strom aus Wasserkraft so viel kostet wie Strom aus Gas. Dass der gesamte Strom bilanziell dennoch aus Wasserkraft stammt, gewährleisten beim Verbund Herkunftsnachweise, die die „grüne“ Bezugsquelle quasi amtlich bestätigen.
Die Schlussfolgerungen des Handelsgerichts Wien hatten durchaus Potenzial, den Endkundenmarkt ordentlich durchzurütteln. Die ganz große Revolution blieb aber in zweiter Instanz aus. Zwar folgte das Oberlandesgericht dem Handelsgericht darin, dass die Preisänderungsklausel unzulässig sei, begründet dies jedoch weniger spektakulär (nur) mit dem AGB-Recht.
Die Klausel habe einen ungewöhnlichen Inhalt, weil der maßgebliche Index, der ÖSPI, aufgrund seiner speziellen Berechnungsart dazu führen könne, dass es bereits kurz nach Vertragsschluss zu erheblichen Preiserhöhungen komme. Solche Änderungen seien zudem überraschend, weil ein durchschnittlicher Verbraucher bei der beworbenen „100 % Wasserkraft“ nicht mit der Relevanz von Preisen anderer Erzeugungsquellen rechnen müsse. Schließlich sei die Preisänderungsklausel auch nachteilig für den Kunden, weil der Versorger aufgrund der langfristigen Bezugsverträge von Preiserhöhungen zeitlich versetzt betroffen werde. Dass sich der Index auch zugunsten des Kunden auswirken kann, zog das Gericht allerdings nicht in seine Bewertung der Nachteiligkeit ein.
Bestätigt der OGH die Entscheidung, ergibt sich folgendes Bild: Eine ÖSPI-Indexierung kann zwar weiter vereinbart werden, allerdings nur unter erhöhten Standards. So muss sichergestellt sein, dass die Klausel von den Kundinnen und Kunden gelesen und zur Kenntnis genommen wird. Bei der Lieferung von 100 Prozent Ökostrom ist auf die Relevanz der Großhandelsmärkte für die Preisanpassung hinzuweisen. Auf die elektrizitätsrechtliche Spezialbestimmung zur Preisanpassung alleine wird man sich hingegen nicht mehr verlassen können.
Rechtssicherheit fehlt
Kundinnen und Kunden können auf unzulässige Preiserhöhungen beeinspruchen und gegebenenfalls Geld zurückfordern. Wirklich befriedigend ist die Situation aber für keinen Beteiligten. Mangels Rechtssicherheit bei der vertraglichen Preisänderung erwägen Versorger zunehmend radikalere Schritte: die Kündigung der Lieferverträge mit dem Angebot zum Neuabschluss zu geänderten Bedingungen.
Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit, die vor allem Versorger mit grüner Eigenerzeugung treffen würde, könnte der Energiewende aber mehr schaden als Vorteile für Abnehmer bringen. Es bleibt zu hoffen, dass die anstehende Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes genutzt wird, um einen rechtssicheren Rahmen für berechtigte Preisanpassungen zu schaffen.
Florian Stangl ist Partner bei NHP Rechtsanwälte, CELIN GUTSCHI juristische Mitarbeiterin ebendort.
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