Nur neun schaffen EU-Klimaziele

1. März 2024, Wien

Studie. Die wenigsten EU-Staaten dürften die Klimaziele bis 2030 erreichen. Für den Rest – mit Österreich – gibt es nicht einmal genug Zertifikate, um sich „freikaufen“ zu können.

Österreich wird die EU-Vorgaben zur Emissionsreduktion bis 2030 aus heutiger Sicht verpassen. Am Mittwoch haben Wissenschaftler daher eine lange Liste an Maßnahmen vorgelegt, wie das Land das Ruder herumreißen könnte (S.11). Das Problem: Egal wie sinnvoll Tempo100 oder eine Reform des Bodenverbrauchs für das Klima sind – all das braucht wohl mehr Zeit, als das Land realpolitisch hat. Die Republik muss sich also auch damit auseinandersetzen, welche Wege es noch gibt, um die Lücke zu schließen – und was sie kosten würden.

Die Ausgangslage ist klar: Die EU-Staaten müssen ihre Emissionen bis 2030 um 40Prozent gegenüber 2005 verringern. Reiche Länder wie Österreich oder Deutschland sollen mehr zu dem Ziel beitragen als ärmere. Während die meisten Staaten Osteuropas also kaum Vorgaben haben, muss Österreich seine Emissionen um 48Prozent senken – und hat damit so seine Probleme. Aber es ist nicht das einzige Land, das sich mit den ambitionierten EU-Zielen schwertut.
Laut einer aktuellen Studie dürften nur neun Staaten die Ziele auf Anhieb erreichen. Mitgezählt hat Studienautor Günther Oswald dabei alle Maßnahmen, die bereits in Kraft sind oder aber zumindest eine „realistische Chance“ auf Umsetzung haben. In Summe schafft die EU (inklusive Norwegen und Island) nur 33 statt der angepeilten 40Prozent Reduktion bis 2030. In Österreich klafft eine Lücke von 21Millionen Tonnen CO2.

Doch selbst wenn keine zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden, kann das Land nachjustieren: Österreich kann sich etwa nicht verbrauchte CO2-Zertifikate aus dem Emissionshandel der Industrie gutschreiben lassen. Und auch Wälder, Äcker und Wiesen können Gutschriften bringen, wenn sie netto mehr Kohlendioxid binden als ausstoßen. Unter dem Strich könnten diese Flexibilitätsmechanismen das heimische Defizit von 21 auf knapp 14Millionen Tonnen CO2 senken, heißt es in der Studie im Auftrag von Oecolution. Drei Viertel der gesamten Zielverfehlungen der EU gingen hingegen auf das Konto von nur drei Staaten. Frankreich, Deutschland und Italien sind aus heutiger Sicht auch nach Nutzung von Gutschriften mit Abstand am weitesten von der Ziellinie entfernt (siehe Grafik).

1,1 Milliarden Euro teure Lücke

Gelingen nicht noch überraschend große und schnell wirksame Würfe bei der Emissionsreduktion, bleibt der Mehrheit der Staaten nur noch der Zukauf von Zertifikaten, um ihre Ziele zu erreichen. Spart ein Land in einem Jahr mehr CO2 ein als vorgesehen, kann es diese Gutschrift entweder in die nächsten Jahre mitnehmen oder aber damit handeln. Bei einem Preis von 80 bis 100Euro je Tonne CO2 müsse Österreich bis 2030 mit 1,1 bis 1,4Milliarden Euro an Kosten rechnen, so die Studie. Bisherige Schätzungen des Wifo lagen mit zuletzt 4,7Milliarden Euro weit darüber.
Voraussetzung dafür ist aber, dass überhaupt genug Zertifikate auf dem Markt sind. Der Handel ist nur unter EU-Vertragsparteien erlaubt. Da diese aber mehrheitlich ihre Ziele verpassen, fehlen unter dem Strich Zertifikate über 290Millionen Tonnen CO2. „Der Kauf und Verkauf von CO2-Rechten wird nicht genügen, um die Klimaziele zu erreichen“, so Oswald. Umso weniger, als viele Staaten ihre Gutschriften wohl lieber behalten dürften, um sich einen Puffer für die noch schärferen Ziele bis 2040 zu verschaffen.

Länder, die ihre Ziele auch über den Zukauf von Zertifikaten nicht erreichen können, müssen damit rechnen, dass die EU-Kommission zunächst weitere Maßnahmen einfordert. Als schärfstes Instrument bliebe die Einleitung eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens. Angesichts der Tatsache, dass just die EU-Schwergewichte Deutschland, Frankreich und Italien 2030 zu den größten Klimasündern zählen dürften, ist jedoch fraglich, wie hart die Kommission die Umsetzung der Ziele einfordern wird (können).

Die EU sollte es den Staaten einfacher machen, die Ziele grundsätzlich erreichen zu können, ohne dabei den Nutzen für das Klima zu schmälern, heißt es in der Studie. Bis 2020 war es EU-Ländern etwa erlaubt, auch Gutschriften für nachgewiesene Emissionsreduktionen in Staaten außerhalb der EU auf ihr eigenes Konto anrechnen zu lassen. Ein ähnlicher Mechanismus könnte verhindern, dass die Klimaziele dasselbe Schicksal erleiden wie die Fiskalregeln. Seit es die Maastricht-Regeln gibt, werden sie regelmäßig von EU-Ländern ungestraft gebrochen. Alle Drohungen und Vertragsverletzungsverfahren änderten daran nichts, Geldstrafen gab es bis heute noch nie.

EU-KlimazielBis 2030 müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40Prozent gegenüber 2005 reduzieren. Österreich muss sogar ein Minus von 48Prozent schaffen.

von Matthias Auer

Die Presse