Geheimpläne für dutzende Windräder

3. September 2024

Windparks im Bregenzerwald: VN-Recherche bringt ans Licht, was hinter verschlossenen Türen vorbereitet wird.
Damüls, Andelsbuch Keine Fotos, keine Kopien von Unterlagen, Stillschweigen. Vor Wochen klapperten Mitarbeiter eines Planungsbüros im Auftrag der „EVN Naturkraft“ Agrargemeinschaften im Bregenzerwald ab. Ihre Mission: Grundstücksbesitzer von Alpen, die als tauglich für Windkraft eingestuft sind, vertraglich zu binden. Dutzenden von ihnen liegt ein unterschriftsreifer Dienstbarkeitsvertrag vor, der etwas von „Lotto-Sechser mit Zusatzzahl“ hat. Geködert wird mit dem ganz großen Geld. Es geht um Millionen von Euro, für jeden einzelnen jedenfalls um ein schönes Zubrot im fünfstelligen Bereich.

Lukrative Verträge

Sieglinde Wilhelm ist Alpmeisterin auf der Alpe Uga in Damüls. Schon der Vater sei über Jahrzehnte hier oben gewesen. „Es ist ein unglaublich schönes Plätzchen“, sagt die 69-Jährige, die gemeinsam mit sieben weiteren Mitgliedern der Agrargemeinschaft Eigentümerin der Alpfläche ist. Seit ein paar Wochen herrscht allerdings Unruhe. Ein Mitarbeiter eines innerösterreichischen Planungsbüros für Windenergie hatte den Mitgliedern einen Besuch abgestattet und einen finanziell höchst lukrativen Vertrag auf den Tisch gelegt. Für den Bau und den Betrieb von Windkraftanlagen werden 30.000 Euro je Windrad in Aussicht gestellt. Die Pläne halten die Agrargemeinschaft seither in Atem.

Das Angebot ist verlockend. Auf 13 Seiten des Dienstbarkeitsvertrages, der den VN exklusiv vorliegt, sind Rechte und Pflichten der Grundstückseigentümer beschrieben, die für Bau und Betrieb einer Windkraftanlage schlagend werden. Die meisten dürften sich vor allem für Punkt 2, das Entgelt, interessiert haben. „Vergütung Fundament: 10.000 Euro, Vergütung Kranstellfläche: 10.000 Euro: Vergütung Luftraum: 10.000 Euro; Jährliches Gesamtentgelt: 30.000 Euro“, heißt es da.

„Muss geeignetere Plätze geben“

„Am liebsten wäre ihnen gewesen, wenn man gleich unterschreibt“, sagt Sieglinde Wilhelm im Gespräch mit den VN. Manche hätten das wohl auch gerne getan, sie nicht. „Ich glaube schon, dass erneuerbare Energie die Zukunft ist. Aber es muss geeignetere Plätze für Windräder geben.“ Hier würde einer der schönsten Naturräume unwiderruflich zerstört werden, ist sie überzeugt.

Für die Öffentlichkeit scheinen die Pläne jedenfalls nicht bestimmt. Grundstückseigentümer, das bestätigen mehrere von ihnen, durften Unterlagen weder behalten noch fotografieren. Auch die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden sind spärlich oder gar nicht informiert. Stefan Bischof ist Gemeindechef in Damüls. Auch er hatte kürzlich Besuch. „Man hat mir kurz mögliche Standorte für Windräder gezeigt“, so der Bürgermeister. Bischof beschreibt fünf bis sechs Windkraftanlagen, je eines links und rechts der Damülser Mittagsspitze, weitere am Hochblanken, Ragazer Blanken und Sünserjoch. „100 Meter Nabenhöhe, 150 Meter Rotordurchmesser“, erinnert sich Bischof. Die Windräder hätten das Gipfelkreuz der Mittagsspitze beinahe überragt.

Freilich könne er sich so etwas in einer Tourismusgemeinde nur schwer vorstellen, er wolle aber auch nicht vorschnell urteilen, sagt Stefan Bischof. „Mir fehlen die konkreten Informationen.“ Diese brauche es auch, um die Gemeindegremien seriös zu informieren. In Aussicht gestellte Unterlagen blieben aus. „Darauf warten wir bisher vergebens.“

Ein paar Kilometer Luftlinie weiter, auf der Niedere in Andelsbuch, hatten Alp-Eigentümer unlängst ebenfalls Besuch. Auch ihnen liegen lukrative Dienstbarkeitsverträge vor. „30.000 Euro ein Leben lang“: In Lotto-Manier wurden auch hier gleich mehrere Grundstückseigentümer geködert, wie einige von ihnen den VN bestätigen. Unterschrieben hat bisher offensichtlich kaum einer, weil die „Pläne zu hochtrabend erscheinen“. Zwei Windräder auf der Niedere, weitere auf der Stongerhöhe, der Hohen Kirche und anderen Standorten entlang des eindrucksvollen Bergkamms sehen die Planunterlagen der „EVN Naturkraft“ demnach vor. In der Gemeindestube weiß davon bisher niemand etwas. Die Mission auch hier: geheim. So auch bei einigen weiteren Windparkprojekten im Bregenzerwald, wie „Bad Wurzach“, „Wannenalpe“ und „Seefluhalpe“ in den Gemeindegebieten Mellau und Bezau.

Kooperation mit illwerke vkw

Ein offenes Geheimnis ist indes, wer hinter den Windparkplänen steht. Die EVN Naturkraft ist eine 100-Prozent-Tochter des niederösterreichischen Landesenergieversorgers EVN, die seit 1995 sämtliche Aktivitäten des Unternehmens im Bereich Ökostrom-Erzeugung bündelt. Brisanz erhält die Betreiberstruktur dadurch, dass Anfang Juli mit der illwerke vkw ein Landesunternehmen einen umfangreichen Kooperationsvertrag mit der EVN Naturkraft geschlossen hat. Ziel ist es, gemeinsam Windkraftprojekte zu realisieren. Mit der bisherigen Vorgehensweise dürfte die Zentrale des heimischen Energieversorgers in Bregenz allerdings wenig Freude haben. Auf VN-Anfrage wird jedenfalls darauf hingewiesen, dass die EVN Naturkraft ursprünglich unabhängig von der illwerke vkw Windkraftprojekte in Vorarlberg sondiert habe. Das treffe auch auf jene von den VN skizzierten Standorte zu. „Allfällige Gespräche zu Projektideen wurden jeweils vor dem Beginn unserer Kooperation geführt. Bei allen Standorten handelt es sich um Projektideen, die ganz am Anfang der Sondierungsphase stehen“, so die illwerke vkw in einer schriftlichen Stellungnahme.

Warum bei „Gesprächen zu Projektideen“ bereits unterschriftsreife Verträge vorgelegt werden, die auf Basis konkreter Planbeilagen aufgesetzt sind, lässt jedenfalls den Schluss zu, dass handfeste Projekte verfolgt und nicht nur Ideen sondiert wurden. Die illwerke vkw sind scheinbar um Schadensbegrenzung bemüht. „In der Zusammenarbeit ist geregelt, dass alle zukünftigen Schritte gemeinsam erfolgen und die illwerke vkw nach außen als Projektwerber auftritt“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Beide Partner, illwerke vkw und EVN Naturkraft, würden sich dazu bekennen, mögliche Projektideen nur im Einvernehmen mit den betroffenen Gemeinden und Grundeigentümern weiterzuverfolgen.

Für die Projekte bei der Damülser Mittagsspitze und jene auf der Niedere dürfte das jetzt schon zu einer fast unlösbaren Aufgabe geworden sein.

Vorarlberger Nachrichten