Interview. Auch zu viel Strom ist schlecht für uns, sagt Verbund-Chef Michael Strugl. Er regt eine Neujustierung der Förderungen im Erneuerbaren-Bereich an und erklärt, warum er nie wieder so viel verdienen will wie 2023.
Die Presse: Das Wetter hat es heuer gut gemeint mit der Energiewirtschaft: Es gab so viel Wasser und Sonne, dass das Energieministerium Jubelmeldungen aussenden konnte, dass sich Österreich komplett mit Ökostrom versorge. Ist die Energiewende also schon erledigt?Michael Strugl: Es ist richtig, dass wir nicht erst anfangen, sondern schon vieles erreicht haben. Wir haben zwanzig Jahre lang Strom importiert, im Vorjahr war die Bilanz nahezu ausgeglichen, und heuer dürfte es sogar ein Plus werden. Gründe sind die gute Wasserführung und der massive Zubau an privater Fotovoltaik. Wir sprechen bei privater PV von einem Zuwachs von zweieinhalb Gigawatt. Das ist enorm. Bilanziell betrachtet kann man also sagen, dass wir bis 2030 nahe ans 100-Prozent-Ziel herankommen könnten und unseren Strom aus Erneuerbaren decken.
Aber das ist die halbe Wahrheit.Tatsache ist, dass wir 8760 Stunden im Jahr haben und wir uns 2023 nur in 3176 Stunden selbst mit Erneuerbaren versorgen konnten. Wir haben also viele Stunden, in denen wir viel mehr Ökostrom erzeugen, als wir brauchen, aber auch viele Stunden, in denen wir weniger erzeugen, als wir verbrauchen. Und das ist eine gewaltige Herausforderung.
In den letzten Monaten haben die Stromversorger vor allem über zu viel Strom geklagt. Verbund musste wiederholt Wasserkraftwerke abdrehen, weil es so viel Solarstrom gab, dass die Netze nicht mitgekommen sind. Ist der PV-Boom wirklich so gut für das Land?Verbund wird für die Stunden, in denen netzbedingt abgeschaltet werden muss, so wie in Deutschland, natürlich entschädigt. Volkswirtschaftlich ist das ein Witz, weil Energieunternehmen fürs Entsorgen von Strom bezahlt werden. Fotovoltaik hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass es eine sehr günstige Erzeugungstechnologie ist, der Nachteil, dass es in Österreich nur etwa tausend Stunden im Jahr gibt, in denen Solarstrom erzeugt wird. Dazu kommt, dass alle Solaranlagen gleichzeitig produzieren, wodurch kurzfristig viel Überschussstrom entsteht, mit dem wir irgendetwas machen müssen. Da brauchen wir einen klugen, gesamthaften Ansatz. Der Erneuerbaren-Ausbau muss systemdienlich erfolgen.
Jetzt gibt es ein Gesetz, wonach Netzbetreiber nicht den gesamten Solarstrom von Haushalten abnehmen müssen. Die Netze auf hundert Prozent der Erneuerbaren-Kapazität auszulegen, ist zu teuer, das wäre ja nur für wenige Stunden im Jahr. Noch besser wäre es, wenn wir die Erzeugung besser steuern könnten, so wie wir das bei Gaskraftwerken oder Wasserkraftwerken können.
Aber Solaranlagenbesitzer werden ihre Paneele nicht auf Zuruf an- und abstecken. Und auch die Kunden zeigen noch wenig Interesse, ihre Elektrogeräte dann in Betrieb zu nehmen, wenn es zu viel Strom gibt. Warum geht da nichts voran? Wir brauchen drei Arten von Flexibilität im Stromsystem: tägliche, wöchentliche und saisonale. Saisonal werden wir uns über Gaskraftwerke, Elektrolyseure und Importe steuern, wöchentlich über Pumpspeicher. Für die Tagesflexibilität stehen Pumpspeicher, Batteriespeicher und Importe zur Verfügung, und wir brauchen Anreize für die Kunden, dass sie ihr Verhalten anpassen, zum Beispiel durch dynamische Tarife.
Der Budgetdienst des Nationalrats kritisierte jüngst den starken Anstieg staatlicher Förderungen. Ein Teil davon war auch den Rekordsubventionen für private Solaranlagen geschuldet. Könnte man hier einsparen?Man kann viel.
Sollte man das auch tun? Man muss sich überlegen, wo das Steuergeld am effizientesten eingesetzt ist. Ich bin der Meinung, dass eine höhere Förderung von Stromspeichern uns mehr helfen würde als die Förderung der Paneele. Da kann man mit Marktanreizen das System entlasten.
Verbund will seine Produktion aus neuen Erneuerbaren bis 2030 auf ein Viertel schrauben. Aktuell wachsen Sie hier aber fast nur im Ausland. Warum? 80 Prozent unserer Investitionen tätigen wir in unseren Kernmärkten Österreich und Deutschland.
Da geht es aber fast nur um Wasserkraft und Netze. Das stimmt. Wenn wir große Pumpspeicher bauen wie etwa Limberg III, dann sind das gleich einmal 600 Millionen Euro. In das Übertragungsnetz werden wir in der nächsten Dekade neun Milliarden Euro investieren. Wo wir in Österreich bisher wenig machen konnten, waren Wind und Sonne. Da tun wir uns sehr schwer, und das ist in Ländern wie Spanien und Italien anders.
Weil die Förderungen besser und der Widerstand der Bevölkerung geringer ist?Nicht nur. Wir sind auch deshalb dort, weil hier die Bedingungen für Wind und Sonne am besten sind. Das macht uns als Konzern resilient gegen extrem trockene Jahre wie 2022. Es hilft aber auch Europa, wenn wir so rasch wie möglich Erzeugungskapazitäten zubauen, wo die Bedingungen am besten sind. Nur so kann der Kontinent seine Energieversorgung resilienter und wettbewerbsfähiger machen.
Das Thema Wettbewerbsfähigkeit und Energiepreise ist in Europa derzeit ja sehr heikel. Nicht alle sind überzeugt, dass grüne Energie ihr Versprechen, alles billiger zu machen, auch einlösen wird.Grundsätzlich ist erneuerbare Energie von den Gestehungskosten her die günstigste Energie. Systemisch kommen aber Umstellungskosten hinzu. Es wird also dauern, bis wir tatsächlich wieder günstiger werden. Aber es gibt keine Alternative zum raschen Ausbau der Erneuerbaren. Gleichzeitig ist klar, dass wir auch Gas noch länger brauchen werden. Die Energiewende muss besser und pragmatischer geplant und schneller umgesetzt werden. Es geht um die Ausgewogenheit der Zieldimensionen „erneuerbar, wirtschaftlich leistbar, versorgungssicher“. Nur so wird Europa seine Ziele erreichen und seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten können.
Apropos europäische Ebene: Könnten Sie mit einem Energiekommissar Magnus Brunner gut leben?Ich hätte nichts dagegen. Da kennt er sich aus.
Was halten Sie von der Idee, öfter das Volk abstimmen zu lassen, um auch im Energiebereich rascher zu Entscheidungen zu kommen?Wie die Politik zu ihren Entscheidungen kommt, bestimmt sie selbst. Entscheidend ist, dass wir zeitnah Klarheit erhalten, damit wir Planungs-, Investitions- und Rechtssicherheit haben. Wenn man will, dass zig Milliarden in den Umbau des Energiesystems allein in Österreich investiert werden, brauchen wir stabile und klare Ziele und Regeln dafür.
Was Sie noch brauchen, ist das notwendige Geld. Verbund hat während der Energiekrise 2022 und 2023 so viel verdient wie nie zuvor. Heuer wird der Gewinn um ein Drittel einbrechen. Behindert Sie das in Ihren Investitionsplänen?Die Rechnung ist einfach: Alles, was wir verdienen, investieren wir – nachdem wir Steuern und Dividenden bezahlt haben. Wir wollen in den nächsten drei Jahren 5,5 Milliarden Euro investieren. Wenn wir weniger verdienen, kommt das eben weniger als bisher aus dem Cashflow. Investieren werden wir trotzdem, auch weil wir so die Versorgungssicherheit des Landes stärken. Das ist die wahre Dividende, die die Republik von uns hat – nicht nur die Gewinnausschüttungen.
Wird Verbund noch einmal so gut verdienen wie 2023?Nein, das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Aber das will auch niemand. Wir haben eine Zeit erlebt, die völlig außerhalb jeder bisherigen Erfahrung war. Damit haben sich alle schwergetan, und auch wir haben uns das nicht gewünscht. Für unsere Rekordergebnisse wurden wir ja auch nur kritisiert und mit Gewinnabschöpfungen bedacht. Es ist also auch für uns besser, wenn wir wieder stabile Strompreise haben.
von Matthias Auer
Die Presse