Nicht so grün wie gedacht

16. September 2024

Der in der Corona-Krise aufgesetzte Aufbau- und Resilienzfonds der EU wird zum Klimaschutz weniger beitragen als angenommen. Die Wirkung der Maßnahmen sei teils weit überschätzt, kritisiert der Europäische Rechnungshof.

So grün wie von den EU-Staaten nach Brüssel gemeldet sind die Projekte der Mitgliedsstaaten aus der mit mehr als 700 Milliarden Euro gefüllten Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) der EU bei weitem nicht. Nicht alle als „grün“ eingestuften Maßnahmen sind es auch, kritisiert der Europäische Rechnungshof (EuRH) in seinem am Mittwoch vorgelegten Bericht. Einerseits sei der Beitrag der von den Mitgliedsländern eingereichten Projekte zum ökologischen Wandel zu hoch angesetzt, andererseits fehlten der EU-Kommission die Instrumente und Angaben, um die tatsächliche Wirkung überhaupt zu überprüfen.

Das trifft beispielsweise auf den Ausbau der Eisenbahnnetze zu, die traditionell als besonders grün und umweltfreundlich geführt werden, aber auch auf Stromnetze und neue Gebäude. Die festgelegten Klimakoeffizienten entsprächen oft nicht der Realität, konstatiert der EuRH in seinem Bericht, weil die in der Bauphase von Tunnel- und Kraftwerksprojekten verursachten Treibhausgasemissionen nicht berücksichtigt werden. Dadurch sinkt aber der effektive Klimabeitrag. Verwende man bei den drei Kategorien Schiene, Strom und Gebäude den im Vergleich zur EU-Verordnung gemäßigteren Klimakoeffizienten, ist der Klimabeitrag der drei Kategorien gleich um 34,5 Milliarden Euro zu hoch.

Untersuchte Projekte

Beispielhaft untersucht wurden von den EU-Buchprüfern ARF-Projekte in Griechenland, Portugal, Kroatien und der Slowakei. Und siehe da: In Griechenland wurde der Bau eines Pumpspeicherkraftwerks eingereicht. An sich eine sinnvolle Maßnahme, weil Wasserkraft im Vergleich zu Batterien und Wasserstoffspeichersystemen eine höhere Leistungsspanne und eine längere Lebensdauer aufweist. Allerdings ist sie ökologisch weniger nachhaltig und trägt laut Rechnungshof zum Verlust an biologischer Vielfalt im Lebensraum Wasser bei. Diese potenzielle Schädigung der Biodiversität ließ die Regierung in Athen freilich unter den Tisch fallen, weshalb der EuRH zum Schluss gelangte, dass dies keine probate Abhilfemaßnahme ist.

Die Slowakei wiederum schoss mit ihrem Repowerment-Programm für erneuerbare Energieerzeugung weit übers Ziel hinaus. Man wollte Kraftwerkskapazität im Volumen von 83 Megawatt errichten, indem Wasserkraftwerke, Biogas- oder Biomethananlagen modernisiert werden. Die RH-Prüfer attestierten, dass die acht genehmigten Anträge für Wasserkraftwerke 78 Megawatt an modernisierter Kapazität erreichen konnten, das entspricht 94 Prozent des Zielwerts. Die von der Regierung in Bratislava genehmigten Fördermittel entsprachen 30 Prozent der geschätzten Kosten der Maßnahme. Gemäß der Logik der ARF-Förderungen könnten mit den verbleibenden 70 Prozent der Fördermittel lediglich sechs Prozent des Zielwerts erreicht werden. „Das zeigt, dass die Maßnahme zu einem Bruchteil der Kosten hätte umgesetzt werden können, weil der Zielwert sehr niedrig angesetzt war“, heißt es im EuRH-Bericht.

In Portugal sollte die Renovierung privater Gebäude angestoßen und die Energieeffizienz von einer Million Quadratmeter Fläche erhöht werden. Der EuRH stellte fest, dass der Zielwert dieser geförderten Projekte mit lediglich 41 Prozent der geschätzten Kosten um das Zehnfache überschritten wurde. Mit 123 Millionen Euro ließen sich zehn Millionen Quadratmeter Gebäude renovieren, rechnete der EuRH vor. Daraufhin wurde die Maßnahme im portugiesischen RePowerEU-Kapitel um weitere 120 Millionen Euro aufgestockt und das Ziel auf 7,6 Millionen Quadratmeter renovierte Fläche erhöht.

Auch da lag die Regierung in Lissabon weit daneben. Denn weil bei den Projekten der Zielwert bereits erreicht war, „ist der Hof der Auffassung, dass der für diese Maßnahme festgelegte Zielwert im Vergleich zu den zugewiesenen Beträgen zu niedrig angesetzt war“. Heißt auf gut Deutsch: Die Regierung in Lissabon hat tiefgestapelt, um in Brüssel möglichst viele Millionen loseisen zu können, die im Gegensatz zu anderen EU-Förderungen keiner nationalen Kofinanzierung bedürfen.

Es passt nicht

Die von den EU-Mitgliedsstaaten vorgenommenen Schätzungen der Wirkungsweise ihrer Investitionsprojekte sieht der EU-Rechnungshof als grundsätzliches Problem bei ARF-Projekten der ersten Tranche im Gesamtvolumen von 275 Milliarden Euro. Das sind 42 Prozent der insgesamt bis Ende 2027 zur Verfügung stehenden Aufbaufonds-Milliarden.

Für Klimamaßnahmen müssen davon mindestens 37 Prozent der ARF-Mittel verwendet werden. Genau das ist zu oft nicht der Fall, argwöhnt der EuRH – auch weil die EU-Staaten beim Geldverteilen viel Freiraum haben. Gemäß den ARF-Rechtsvorschriften gibt es zwar keine explizite Verpflichtung zu bewerten, ob eine ARF-Maßnahme der Säule „Ökologischer Wandel“ zu den Klimazielen beiträgt, in ihren Richtlinien forderte die Kommission die Länder aber dazu auf, zu bewerten, in welchem Umfang Reformen und Investitionen zur Treibhausgasreduktion beitragen. „Der Hof stellte fest, dass keiner der von ihm geprüften Staaten dieser Aufforderung nachgekommen war. Sie bewerteten den Beitrag zu Klima- und Energiezielen weder auf Maßnahmenebene noch auf Ebene der ARF-Programme.“

Der Standard