Zwischen Kosten von 100 Milliarden und der Haselmaus

17. September 2024, Wien

Verbund-Chef Michael Strugl über die Energiewende bis 2040 und den Preis dafür

Bis 2040 will Österreich klimaneutral sein. Was aber heißt das für die Energiewende? Was kostet sie? Vor allem aber: Wer bezahlt sie? Im Gespräch mit den OÖNachrichten zeichnet Verbund-Chef Michael Strugl ein Bild von 2040 und erklärt, wo Österreich noch massiven Aufholbedarf hat.

OÖNachrichten: Wie weit ist Österreich bei der Energiewende?

Michael Strugl: Wir sind mitten in der Transformation. Es gibt große Wasserkraftprojekte, die Photovoltaik ist hauptsächlich privat getrieben. Der Netzausbau schreitet voran, beim Wind geht vergleichsweise wenig weiter. Aber es fehlt noch einiges. Es fehlt ein modernes Strommarktgesetz, es fehlen die gesetzlichen Grundlagen zur Beschleunigung des Ausbaus. Und wir brauchen einen gesamthaften systemischen Ansatz für den Ausbau von Erzeugung, Netzen, Speichern und Flexibilitäten.

Meinen Sie damit, dass der Ausbau in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten passiert und zum Beispiel mit PV mittags viel Strom erzeugt und eingespeist wird, den wir gar nicht benötigen, während Sie als Wasserkraftwerksbetreiber die Wehre öffnen und das Wasser ungenutzt durchfließen lassen müssen?

Ja, diesen integrierten Ansatz sehe ich derzeit noch nicht. Derzeit ist das System ineffizient, weil wir anderswo die Erzeugung abdrehen müssen, wenn mittags zu viel Strom erzeugt wird. Wir brauchen den Ausbau von Netzen und Speichern synchron mit dem Erzeugungsausbau und einem besseren Mix der Erzeugungstechnologien. Aber das ist kein österreichisches Phänomen. Grundsätzlich ist jede Kilowattstunde aus erneuerbaren Energieträgern wichtig, weil es das Angebot vergrößert.

Bis 2040 will Österreich klimaneutral sein. Wie soll unser Energiesystem dann aussehen?

Wir gehen davon aus, dass wir 2040 doppelt so viel Strom benötigen wie jetzt und eine dreimal so große Kapazität. Die Hälfte der Menge würde von Wind und PV kommen, ein Drittel aus Wasserkraft. Und dann können wir balancieren. Flexibel machen uns Pumpspeicherkraftwerke und thermische Kapazitäten, die wir schon jetzt haben.

Also Gaskraftwerke?

Derzeit werden diese noch mit fossilem Gas gespeist und sollten sukzessive auf grünes Gas umgestellt werden. Dann wird es Elektrolyseure geben, mit denen Wasserstoff produziert und das Angebot vom Sommer in den Winter verschoben werden kann. Ein Teil funktioniert auch weiterhin nur über Import und Export von Strom. Und schließlich stellt der Verbraucher selbst eine wichtige Flexibilität: Wann verbraucht er welche Mengen? So sollte es gelingen, das System zu balancieren. Und dazu muss der Netzausbau vorangetrieben werden.

Es gibt Schätzungen, dass dieser Umbau 140 Milliarden Euro kostet.

Das scheint mir ein bisschen zu hoch gegriffen zu sein. Aber dass es um die 100 Milliarden Euro kosten wird, dürfte realistisch sein.

Selbst wenn die Energieversorger weiterhin gut verdienen, wird das eine sehr sportliche Herausforderung. Wer bezahlt auf welchem Weg die Rechnung?

Am Ende kommt die Rechnung beim Steuerzahler oder beim Kunden an. Holt man sich Geld auf dem Kapitalmarkt, muss man beachten, dass man mit anderen Finanzangeboten konkurriert. Die Austrian Power Grid (APG, die Verbund-Netztochter; Anm.) investiert in der nächsten Dekade neun Milliarden Euro. Dafür gibt es einen regulatorischen Zins, der vom Regulator vorgeschrieben wird. Und das zahlt man über die Netztarife. Man muss sich gut überlegen, wie man diese Kosten für Verbraucher, aber auch Industrie und Gewerbe gestaltet, ohne sie zu überfordern. Gleichzeitig erwarten Investoren eine marktübliche Rendite.

Die Überzeugung, dass mit einem massiven Ausbau der Sonnenkraft Strom billig wird, ist also eine Illusion.
Dass die Sonne keine Rechnung schickt, ist eine irreführende Aussage. Die Gestehungskosten sind die niedrigsten, aber den Strom ins Netz zu integrieren, kostet natürlich Geld.

Sie haben es schon angeschnitten: Wir werden weiterhin Strom importieren müssen, vor allem in der kalten, sonnenarmen Jahreszeit mit niedriger Wasserführung. Wir werden also weiterhin Atomstrom importieren?
Importstrom bleibt eine wesentliche Ressource für Flexibilität, saisonal und täglich. Und wenn man sich den Strommix ansieht, der etwa aus Tschechien kommt, weiß man, was man bekommt.

Und die Atomkraft bleibt ein weiterhin ein wichtiger Faktor in Europa?

Davon ist auszugehen, weil Energiepolitik nationale Angelegenheit ist. Und in Europa ist der Anteil der Atomkraft deutlich höher als global.

Wasserstoff gilt vielen als Zaubermittel, die Produktion von grünem Wasserstoff ist aber noch immer sehr teuer. Wie kann sich das mit Skalierungseffekten ändern?

Es gibt noch viele offene Punkte. Was wir wissen: Wesentlicher Faktor ist der Strompreis. Da sind andere Regionen im Vergleich zu uns begünstigt. Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen wird aber aber ein Faktor für die Industrie. Hier ist die Politik gefordert. Die Skaleneffekte werden sich einstellen, wenn wir eine gesamte Wertschöpfungskette in Europa schaffen. Gerade in der Anfangsphase braucht es auch lokale Produktionen, die massiv gefördert werden.

Wie lange werden wir in Österreich noch Gaskraftwerke brauchen?

Die werden wir immer brauchen als regelbare Kraftwerkskapazität weit über 2030 hinaus, irgendwann aber mit grünem statt fossilem Gas.

Hält der Zeitplan, bis zum Jahr 2040 in Österreich klimaneutral zu werden?

Das ist schwer zu beantworten. 2040 ist das ambitionierteste Szenario in Europa. Ohne CO2-Speicherung und -Recycling und direkte Entnahme aus der Atmosphäre wird es sich aber nicht ausgehen. Darum haben Deutschland und Österreich das Verbot der Speicherung von CO2 noch einmal überdacht. Andere Staaten sehen das bereits in großem Maßstab, wie etwa Norwegen.

Sie haben etliche Projekte am Laufen (siehe Kasten). Warum ist gerade bei den geplanten Windkraftwerken der Widerstand so groß?

Wir haben hier schon einen „Not in my backyard“-Effekt – dass es eine breite Mehrheit für den Ausbau gibt, aber nur, solange er nicht vor Ort stattfindet. Natürlich braucht es Möglichkeiten der Teilhabe und Vergünstigungen. Aber am Ende braucht es auch Verfahren, die eine klare zeitliche Perspektive haben. Und wir haben darunter gelitten, dass nicht klar war, was Vorrang hatte: Biodiversität oder Erneuerbaren-Ausbau? Die EU hat vorgeschlagen, das überragende öffentliche Interesse zu normieren. Das haben wir in Österreich aber nicht, und deshalb sind wir zum Beispiel in Linz mehr als ein halbes Jahr beim Leitungsausbau gestanden. Und deshalb müssen wir in Stegenwald noch einmal den Schutz der Haselmaus evaluieren. „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ funktioniert auch bei der Energiewende nicht.

„Dass die Sonne keine Rechnung schickt, ist eine irreführende Aussage.“
Michael Strugl, Vorstandschef des größten österreichischen Stromkonzerns Verbund

Oberösterreichische Nachrichten

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