Konjunkturflaute, hohe Standortkosten und schleppende E-Auto-Verkäufe bei zugleich hohem Investitionsbedarf machen den europäischen Autoherstellern, der viele Firmen aus Österreich zuliefern, zu schaffen. Ab Jänner droht vielen Autobauern weiteres Ungemach, wenn die CO2-Flottengrenzwerte der EU sinken. Deshalb häufen sich die Forderungen nach Lockerungen etwa aus Deutschland und Tschechien – und die französische Regierung spricht sich für eine Aussetzung der Strafen aus.
Die Aussetzung solle gelten, falls Autohersteller die verschärften EU-Flottengrenzwerte ab dem kommenden Jahr nicht einhalten. Es sei aber richtig, am Aus des Verbrennungsmotors im Jahr 2035 festzuhalten, sage Wirtschaftsminister Antoine Armand der Zeitung „Les Echos“. „Aber wir sollten uns nicht in den Fuß schießen“: Massive Strafen für die heimischen Hersteller würden nur die Konkurrenz aus Fernost stärken. Die EU-Kommission zeigte sich zurückhaltend.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich zuletzt offen für Lockerungen. Die FDP würde gerne einen Schritt weiter gehen und die Flottengrenzwerte inklusive des daraus resultierenden Verbrennerverbots ab 2035 ganz abschaffen.
Die EU-Staaten haben vereinbart, dass sie bis 2050 klimaneutral sein wollen. Bis dahin muss der Treibhausgasausstoß massiv sinken und die verbleibenden Emissionen kompensiert oder aufgefangen werden. Der Autoverkehr steht für 16 Prozent der CO2-Emissionen.
Bereits seit 2012 macht die EU den Autokonzernen verbindliche Vorgaben für die sogenannten Flottengrenzwerte: den maximalen durchschnittliche Ausstoß ihrer Neuwagen. 2019 und 2023 wurden die Regelungen an das Ziel der Klimaneutralität angepasst. 2035 sollen nun alle Neuwagen in der EU kein CO2 mehr ausstoßen.
Ab Jänner greift eine weitere Absenkung der Flottengrenzwerte um 15 Prozent im Vergleich zu 2021, die 2019 beschlossen worden war. Im EU-Durchschnitt dürfen Neuwagen dann noch 93,6 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Zum Vergleich: Ein Renault Clio mit Verbrennungsmotor emittiert rund 120 Gramm, ein Clio mit Hybridantrieb 95 Gramm. E-Autos sind emissionsfrei.
Bisher haben die Hersteller die Flottengrenzwerte in der Regel eingehalten. Zwischen 2019 und 2022 gingen die durchschnittlichen CO2-Emissionen aller in Europa neu zugelassenen Pkw um 27 Prozent zurück, vor allem wegen des Anstiegs des E-Autoanteils. Seit Ende vergangenen Jahres stocken die Verkäufe jedoch, der E-Auto-Anteil ging zeitweise sogar zurück. Viele Hersteller sind für 2025 nicht auf Kurs.
Wer 2025 zu viele zu umweltschädliche Autos verkauft, dem drohen hohe Strafen. Überschreiten die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Neuwagenflotte eines Herstellers in einem bestimmten Jahr die Vorgabe, muss er für jedes seiner heuer zugelassenen Neufahrzeuge 95 Euro pro Gramm Überschreitung zahlen. Die Wirtschaftsberater von Alix Partners gehen in Summe der Hersteller von möglichen Strafzahlungen in Höhe von 50 Mrd. Euro in den Jahren 2025 bis 2029 aus.
Um Strafen zu entgehen, können die Hersteller Emissionsgutschriften von Wettbewerbern wie Tesla oder Volvo kaufen, die ausschließlich oder größtenteils E-Autos verkaufen. In der Vergangenheit hatten etwa Honda und Jaguar dies getan. Dieser Ablasshandel würde wohl günstiger ausfallen als Strafzahlungen – aber das Geld fließt dann in die Kassen der Konkurrenz.
Die Hersteller könnten auch die Preise für Autos mit Verbrennungsmotoren erhöhen, um den Abstand zu den in der Anschaffung noch immer recht teuren Elektroautos auszugleichen. De facto würde dadurch die Produktionsmenge verringert, sagt Alexandre Marian von Alix Partner. Werksschließungen wären die logische Folge. Marian sieht den Haupthebel für die Autohersteller derzeit darin, die Emissionsbilanz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu verbessern, etwa mit mehr Automatikgetrieben.
Volkswagen will Strafzahlungen verhindern: „Jeder Euro, der in potenzielle Strafzahlungen investiert wird, wäre sehr schlecht angelegt“, sagt ein Konzernsprecher. Unter den Herstellern herrscht jedoch keine Einigkeit. Erfolgreiche E-Auto-Hersteller haben ohnehin nichts zu fürchten. Und auch der Stellantis-Konzern, mit Marken wie Fiat, Opel und Peugeot die Nummer zwei auf dem europäischen Markt hinter Volkswagen, will die Regeln nicht kurzfristig ändern. Sie seien ja nicht „über Nacht“ aufgestellt worden, sagte Stellantis-Finanzvorstand Doug Ostermann. „Wir bereiten uns seit Jahren darauf vor.“
APA/AFP