Österreich ist nicht schlecht unterwegs im Wasserstoff-Wettlauf. Doch jetzt stockt die Entwicklung, denn es fehlen essenzielle Entscheidungen.
Obwohl Österreich seinen Erdgasverbrauch seit der Energiekrise 2022 um rund 20 Prozent reduziert hat, bleibt der Bedarf an „gasförmigen“ Energieträgern und entsprechenden Leitungen bis 2040 hoch. Davon geht die Austrian Gas Grid Management AG (AGGM), die Verwalterin des hochrangigen Gasnetzes in Österreich, in ihrer Langfristnetzplanung aus, die sie alle zwei Jahre erstellen muss. Demnach braucht es in 15 Jahren 41 Terawattstunden (TWh) „grünen“ Wasserstoff und 36 TWh (Bio-)Methan, um die Nachfrage zu decken und die Energiewende zu schaffen. Dazu müssten 1420 Kilometer bestehende Gasleitungen umgerüstet und 730 km neue Wasserstoffleitungen gebaut werden, rechnen die AGGM-Vorstände Bernhard Painz und Michael Woltran am Dienstag vor. Bisher war die AGGM von 300 km Neubaubedarf ausgegangen.
Das Problem: Der Infrastrukturausbau, der ohnehin fünf bis sieben Jahre in Anspruch nimmt, hängt in der Luft. Netzbetreiber könnten das Ausbaurisiko nicht allein tragen, betont Painz, hier werde es rasch öffentliche Finanzierungsmodelle brauchen, ähnlich wie in Deutschland oder im EU-Gasmarktpaket vorgesehen. Österreich habe zwar ein Wasserstofffördergesetz, allerdings fehlten noch Regeln für die Vergabe. Die Kosten des Ausbaus liegen nach aktuellen Schätzungen bis 2040 be rund vier Mrd. Euro – deutlich mehr als bisher erwartet.
Zudem müssten essenzielle Fragen geklärt werden, etwa wer Wasserstoffleitungen bauen und betreiben darf und zu welchen Konditionen. „Es gibt einen politischen Konsens, dass etwas passieren muss“, so Painz – aber in der aktuellen politischen Situation fallen keine Entscheidungen. Die Wirtschaft brauche aber klare Perspektiven, warnt Woltran. „Die Deindustrialisierung passiert, weil die Betriebe überlegen, ob sie hierbleiben können.“
An Wasserstoff-Projekten mangelt es nicht, darunter der Ausbau eines zweiten Strangs bei der West-Austria-Gasleitung (WAG) in Oberösterreich, der von vornherein „wasserstoff-ready“ gebaut wird. Auch die Erweiterung der Transportkapazitäten aus Italien sollen letztlich für Wasserstoff nutzbar gemacht werden. Bereits genehmigt ist der H2-Kollektor-Ost von Verbund und Burgenland Energie, ein Groß-Elektrolyseur, der mit Windstrom aus dem Nordburgenland Wasserstoff für den Großraum Wien erzeugen und 2027 in Betrieb gehen soll. Neu in der Planung ist das „H2-Startnetz“, das eine Speicheranbindung für Wasserstoff nach Linz vorsieht.
Österreich wäre mit seiner bestehenden Infrastruktur auch für Wasserstofftransit in der EU gut aufgestellt, betonen die AGGM-Manager – ähnlich wie bisher bei Erdgas: „Aber wenn man im internationalen Konzert dabei sein will, muss man schnell sein, damit nicht andere Routen gewählt werden“.
Auf Tempo drängt auch Wolfgang Anzengruber, Beiratsvorsitzender der Hydrogen Partnership Austria, einer Plattform, die Klima- und Wirtschaftsministerium eingerichtet haben, um die Wasserstoffentwicklung voranzutreiben. „Grundsätzlich sind wir nicht so schlecht, aber wenn wir jetzt schlafen, ist der Vorsprung weg“, sagt der frühere Verbund-Vorstand. Um den Infrastrukturausbau voranzutreiben, plädiert er für ein Konzept, bei dem der Staat vorübergehend als Abnehmer einspringen solle. Um diese Entscheidungen zu treffen oder Gesetze zu beschließen, brauche es aber eine neue Regierung.
Laut Österreichs Wasserstoffstrategie sollen bis 2030 rund 1000 Megawatt (MW) an Elektrolyse-Kapazitäten stehen. Jetzt sind 18,5 MW in Betrieb. „Hoch ambitioniert“, sagt Anzengruber. Zudem soll es gelingen, binnen fünf Jahren 80 Prozent des aktuellen H2-Bedarfs von rund 116.000 Tonnen durch „grünen“ Wasserstoff – erzeugt mit erneuerbarer Energie – zu ersetzen. Die notwendige Grundstruktur an Pipelines in Österreich, Deutschland und Italien sei da, sagt er, die drei Länder kooperierten auch. Die größten Kapazitäten zur Wasserstoffproduktion hat Deutschland, gefolgt von Spanien und Skandinavien die meisten Projekte.
Längerfristig wird in Österreich mit einem Bedarf von 1,4 Mill. Tonnen Wasserstoff gerechnet, der zu 30 Prozent aus eigener Erzeugung stammen soll. Bei den Importen liege der Fokus auf dem nordafrikanischen Raum, ein weiterer Korridor könnte über Spanien führen.
Ungelöst ist nach wie vor die Preisfrage. Wasserstoff sei derzeit doppelt bis vier Mal so teuer wie Gas. Eine Technologie dürfe aber nicht auf Förderungen aufgebaut werden, betont Anzengruber. Anschubförderungen seien zulässig, auf Dauer müsste sich die neue Energiewelt selbst tragen. „Es wird eine Wasserstoffwirtschaft geben, aber sie wird nicht das Allheilmittel für alles sein“, sagt er. Wichtig sei, kein Tempo zu verlieren. Wasserstoff gilt gemeinhin als Speichermedium für überschüssigen Wind- und Sonnenstrom, als künftiger Energieträger für Gaskraftwerke und die Industrie oder als Basis für den Antrieb von Schiffen oder Flugzeugen.
von Monika Graf
Salzburger Nachrichten