Windkraft im rechtlichen Aufwind

26. Feber 2025

Eine EU-Richtlinie räumt erneuerbaren Energien ein „überragendes öffentliches Interesse“ ein. Hierzulande wurde die Bestimmung bislang unzureichend umgesetzt. Ein Gastbeitrag.

Mit dem Green Deal, den Klimazielen der EU und dem Krieg in der Ukraine sind die Erneuerbaren rechtlich auf dem Vormarsch. Kernstück ist die Erneuerbare-Energie-Richtlinie der EU (RED III), die den Ausbau erneuerbarer Energien massiv beschleunigen soll, um die Klimaziele zu erreichen und die Energieunabhängigkeit Europas zu stärken.

Ein zentraler Bestandteil ist Artikel 16f, der festlegt, dass erneuerbaren Energien ein „überragendes öffentliches Interesse“ bei Interessenabwägungen nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), der Vogelschutzrichtlinie (VSR) und der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) zukommt und sie der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen. In der Praxis soll die Bestimmung des „überragenden öffentlichen Interesses“ dazu führen, dass Windräder, PV-Anlagen und Wasserkraftwerke leichter bewilligt werden können, weil die Erneuerbaren in der Abwägung mit Naturschutzinteressen ein größeres Gewicht bekommen.

EU-Richtlinien müssen grundsätzlich in nationale Gesetze gegossen werden, um wirksam zu sein. Die Umsetzungsfrist für Artikel 16f ist für die Mitgliedsstaaten mit 21. Februar 2024 abgelaufen. Doch wie so oft hinkt Österreich hinterher. Frei nach dem Motto „Schau ma mal, dann seng ma eh“ wurde bisher nichts unternommen, um Artikel 16f in nationales Recht zu überführen. Lediglich Oberösterreich hat die Regelung in seinem Naturschutzgesetz umgesetzt.

Keine Schonfrist

Doch auch wenn in Österreich sonst noch keine konkrete Umsetzung erfolgte, ist das überragende öffentliche Interesse an den Erneuerbaren zu beachten. Artikel 16f ist in der EU-Richtlinie nämlich hinreichend genau formuliert und deshalb seit Ablauf der Umsetzungsfrist auch ohne nationale Umsetzung unmittelbar anwendbar. Dies hat bereits das Bundesverwaltungsgericht klargestellt. Die Erneuerbaren liegen daher aufgrund unionsrechtlicher Anordnung im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit, wenn es um die Interessenabwägung nach den EU-Naturschutzrichtlinien geht.

Auch wenn vereinzelt schon Rechtsprechung besteht, lässt die konsequente Anwendung durch Behörden und Gerichte zu wünschen übrig. Die zögerliche Anwendung hat nicht nur weitreichendere Folgen im Zuge der zugunsten der Erneuerbaren ausschlagenden Interessenabwägung nach den EU-Naturschutzrichtlinien. Tatsächlich hat Artikel 16f viel weitreichendere Wirkungen.

Das überragende öffentliche Interesse muss sich nämlich auch auf Wertentscheidungen und Interessenabwägung im Rahmen des „gewöhnlichen“ Naturschutzes oder auch bei der Enteignung auswirken. Es würde nämlich das Rechtssystem geradezu ad absurdum führen, wenn die Erneuerbaren bei den streng nach Unionsrecht geschützten Schutzgütern den Vorrang erhalten, dann aber zum Beispiel am Landschaftsbild oder erforderlichen Rechten, die enteignet werden, scheitern.

Gesetzgeber gefordert

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat hierzu ausgesprochen, dass die gesetzliche Vermutung des überragenden öffentlichen Interesses zwar nach Artikel 16f nur im Rahmen der FFH-, Wasserrahmen- und Vogelschutzrichtlinie anwendbar ist, sie aber auch bei anderen Interessenabwägungen wertend einfließen soll. Diese Wertung verschafft den Erneuerbaren den tatsächlich notwendigen Boost und kann maßgeblich zur Energiewende beitragen. Andernfalls muss sich die EU wie auch Österreich eingestehen, bei der erforderlichen Klimawende gescheitert zu sein.

Die Praxis zeigt: Ohne klare nationale Regelungen bleibt der Ausbau erneuerbarer Energien hinter den Möglichkeiten zurück. Der Bundesgesetzgeber wie auch die Landesgesetzgeber sind daher gut beraten, nicht nur die Vorgaben von Artikel 16f der RED III umsetzen, sondern diese Wertung auf alle Interessenabwägungen für die Erneuerbaren auszuweiten. Es ist nur konsequent, dass die Erneuerbaren auch gegenüber streng geschützten Arten und Gebieten ein größeres Gewicht erhalten und dies umso mehr für weniger geschützte Schutzgüter und Eingriffe in das Eigentum gilt. Nur so kann die Klimaneutralität erreicht werden.

Tatjana Katalan ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Dorda.

Der Standard