Brasilien hat einen späten Plan B fürs Klima

3. Dezember 2025

Während der Frust über die träge Klimakonferenz wächst, kündigt Brasilien einen internationalen Fahrplan für den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle an. Dies ist ein Bruch mit dem bisherigen Duktus.

Zum Abschluss von Klimakonferenzen klingen Analysen häufig ähnlich: Die Einigung, die die Klimakrise abbremsen könnte, ist wieder einmal nicht gelungen – und wie soll sie auch gelingen, wenn selbst die großen Ölstaaten wie Saudi-Arabien mitentscheiden? Immer wieder gibt es vereinzelte Durchbrüche, doch im Großen geht es nur träge und bei weitem zu langsam voran.


Auch in diesem Jahr ist das die verkürzte Zusammenfassung, die nach der Konferenz (COP 30) übrig bleibt. Nach 30 Verhandlungsrunden wurden fossile Brennstoffe nur ein einziges Mal – in Dubai 2023 – als Verursacher der Erderhitzung benannt und die Abkehr von Kohle, Erdöl und Erdgas angekündigt. In diesem Jahr wollte Brasilien den nächsten Schritt machen und an handfesten Strategien arbeiten. Doch der Versuch, einen Plan dazu in die Abschlusseinigung zu schreiben, scheiterte.


„Ich hatte von größeren Erfolgen geträumt“, zeigte sich die brasilianische Umweltministerin Marina Silva, die die Idee maßgeblich angeschoben hatte, in ihrer Abschlussrede enttäuscht. Doch dann streckte sie die Faust in die Höhe – der Kampf gehe weiter. Denn für sie und die brasilianische COP-Präsidentschaft endete die Arbeit nicht in Belém. Sie haben einen späten Plan B. Dieser lautet: Brasilien wird bis zur nächsten Klimakonferenz, die in einem Jahr in Antalya in der Türkei über die Bühne geht, zusammen mit „Wissenschaft sowie Industrie“ einen Fahrplan (auf Englisch „roadmap“) für den fossilen Ausstieg erarbeiten. Nur eben nicht im Namen der ganzen Welt, sondern als freiwillige Initiative. Staaten, die mitziehen wollen, können sich anschließen. Mit einem zweiten solchen Fahrplan will Brasilien die weltweite Entwaldung bremsen.


Kehrtwende?
Der Vorstoß ist eine Abkehr vom bisherigen Duktus. Während bislang auf Klimakonferenzen um einen Konsens mit allen gerungen wurde, könnten progressivere Staaten mit dem Fahrplan nun einen parallelen – schnelleren – Prozess starten. Die Architektin des Pariser Abkommens, Christiana Figueres, erklärt gegenüber dem STANDARD: „Das deutet darauf hin, dass die Klimakonferenz endlich der Ort wird, an dem die harten Fragen der Umsetzung direkt angegangen werden.“


Allerdings kam Brasilien mit seinem Vorschlag sehr spät: Normalerweise benötigen Beschlüsse dieser Art viele Monate Vorbereitung – in Brasilien entwickelte sich die Idee mehr oder weniger spontan. Brasilien habe mit der Ankündigung jedenfalls versucht, „ehrgeizigere Staaten zu besänftigen“, schreibt das Wuppertal-Institut, das am Mittwoch eine neue Analyse veröffentlicht. Vorab heißt es: Progressive Staaten müssten nun alles daran setzen, die Fahrpläne, die Brasilien entwickeln will, ins Zentrum der Diskussion zu stellen. „Es braucht jetzt mehr denn je eine Koalition der Willigen“, so Wolfgang Obergassel, Co-Leiter des Forschungsbereichs internationale Klimapolitik. „Um den Klimaschutz wirklich voranzubringen, muss ein paralleler Prozess auch zu konkreten Maßnahmen führen.“


Nachfrage nach Fossilen
Unterdessen steigt die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas weiter – zwar langsam, aber doch. Ohne politische Kursänderung könnte sich dieser Trend bis 2050 fortsetzen, prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA), das Energie-Institut der OECD mit Sitz in Paris, in seinem neuen World Energy Outlook. In dem Bericht beschreibt die einflussreiche Agentur allerdings auch ein Szenario, wie die Klimaneutralität bis 2050 gelingen kann. Die IEA meint: „Es ist noch immer möglich, die gravierendsten Klimarisiken zu vermeiden und wichtige Technologien gewinnen an Schwung – doch zehn Jahre nach dem Pariser Abkommen haben einige Länder ihre Zusagen abgeschwächt.“


Allen voran meint die IEA damit die USA unter Präsident Donald Trump, der sämtliche Unterstützung für den Klimaschutz gestoppt hat. Auf der Konferenz in Belém fehlte das Land in diesem Jahr. Dennoch dämpfte Trump die Verhandlungen: Erst im Oktober hatte er allen Staaten, die für eine internationale CO2-Steuer für die Schifffahrt stimmen wollten, mit neuen Zöllen, Visabeschränkungen und Hafensteuern gedroht. Die Steuer wurde begraben.
Auch die brasilianische Regierung hat im Klimaschutz eine durchwachsene Bilanz. Nur wenige Wochen vor der Klimakonferenz genehmigte Präsident Lula da Silva etwa neue Erdölbohrungen im Amazonasdelta.


Inmitten all der Widersprüche wächst der Frust über den trägen COP-Prozess – auch unter den Verhandelnden. Brasiliens Vorstoß zur Entwicklung eines gemeinsamen, wenn auch freiwilligen Fahrplans ist nicht der einzige auf der Suche nach Alternativen. So laden Kolumbien und die Niederlande im April zur ersten internationalen Konferenz für einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Unter den 24 Staaten, die die Initiative unterstützen, ist auch Österreich.
Bereits 2023 in Dubai sorgte Kolumbien für Aufsehen. Es trat dem sogenannten Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty bei – einer Allianz von Staaten, Regionen und Zivilgesellschaft, welche die Förderung fossiler Brennstoffe stoppen wollen. Mit Kolumbien schloss sich der weltweit immerhin sechstgrößte Kohleexporteur an – für Europa ist das Land sogar der zweitwichtigste Lieferant.


Doch die europäische Nachfrage sinkt: Damit verliert Kolumbien einen wichtigen Abnehmer – für den asiatischen Markt ist der Weg aus Kolumbien zu weit und die Konkurrenz aus der Region zu groß. Ähnlich ist die Situation in der Erdölförderung: Kolumbiens Erdöl ist relativ schwer zu verarbeiten und verliert international an Wettbewerbsfähigkeit. Derzeit ist die Wirtschaft des Landes allerdings von Kohle und Erdöl abhängig: Sie machen knapp die Hälfte seiner Exporte aus.


Suche nach Strategien

„Das Ende von Kohle und Erdöl kommt so oder so, selbst wenn man versucht, das unter den Teppich zu kehren“, sagt Paola Yanguas Parra vom International Institute for Sustainable Development (IISD). Den Ausstieg aus der Produktion fossiler Brennstoffe rein vom Markt gestalten zu lassen, sei katastrophal. „Staaten brauchen klare Strategien, wie sie ihre Wirtschaft umgestalten.


Noch schippern die riesigen Frachter mit kolumbianischer Kohle in Richtung Europas Häfen, nach Rotterdam oder Hamburg. Nach wie vor steigt der weltweite Kohleverbrauch – gleichzeitig wird doppelt so viel in erneuerbare Energien investiert wie in fossile Brennstoffe. Ob in Belém Prozesse gestartet wurden, die den Übergang beschleunigen, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

Der Standard