Die Kommission will Anlegern Sicherheit bieten, steht aber in der Kritik, Erdgas grünzuwaschen.
„Wir brauchen massive Investitionen. Und wir brauchen private Investitionen.“ So umreißt ein EU-Beamter die Motive für das jüngste Maßnahmenpaket im Finanzsektor, das die Brüsseler Behörde am Dienstag vorstellte. Es geht um die Förderung grüner Investments in großem Stil.
Ohne die Bereitschaft privater Anleger, Geld in grüne Technologien zu stecken, kann Europa seine Klimaziele nicht erreichen. Und die sind ambitioniert. Bis 2055 will die Union klimaneutral wirtschaften. Innerhalb der nächsten zehn Jahre müssen 55 Prozent der Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 1990) eingespart werden. Dazu müssen jährlich zusätzlich 350 Milliarden Euro in erneuerbare Energien fließen, hat die Kommission errechnet. Die öffentlichen Hände allein können diese Summe nicht aufbringen. Privatinvestoren sind gefragt – ob das nun kleine Anleger sind oder institutionelle Fonds.
Die Lust auf nachhaltige Investments bei Anlegern ist groß. Sie sind gut fürs Klima und versprechen Ertrag. Der weltweite Markt an grünen Anleihen wuchs in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent. Auch die EU selbst spielt seit Juni auf diesem Markt eine große Rolle. 25 Prozent der Anleihen, die Budgetkommissar Johannes Hahn zur Füllung des in Summe 750 Milliarden Euro schweren Corona-Aufbaufonds nach und nach auf den Kapitalmärkten auflegen will, werden „Green Bonds“ sein.
Doch wie können Anleger sicher sein, dass sie ihr Geld tatsächlich in grüne Wirtschaftszweige stecken? Und wie können die Emittenten ihre Produkte so gestalten, dass sich keine umwelt- oder klimaschädlichen Teile in den Mix schleichen?
Ein Öko-Gütesiegel der EU soll Klarheit schaffen. Kommissionsvize Valdis Dombrovskis und Finanzkommissarin Mairead McGuinness stellten am Dienstag die Kernpunkte der geplanten Verordnung vor. Anbieter, die Finanzprodukte als „EU Green Bonds“ ausschildern wollen, müssen demnach eine Reihe von Berichtspflichten erfüllen und Kriterien einhalten, die in der sogenannten Taxonomie verankert sind. Darin ist genau aufgelistet, welche Wirtschaftszweige nachhaltig sind und welche nicht.
Ausgerechnet bei zwei umstrittenen Energieformen drückt sich die EU-Kommission allerdings um eine klare Antwort herum – bei Erdgas und bei Atomstrom.
Erdgas, immerhin ein fossiler Energieträger, soll zwar nicht als nachhaltig, wohl aber als „Übergangstechnologie“ anerkannt werden. Dahinter stecken vor allem die Wünsche osteuropäischer Staaten, die beim Abschied vom „Klimakiller“ Kohle auf das vergleichsweise weniger schädliche Erdgas setzen. Der Finanzexperte der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, kritisiert das massiv. Solche Investments würden als „Stranded Assets“ enden, sagt der Abgeordnete.
Was die Atomenergie betrifft, so will sich die EU-Kommission nach dem Einholen von Gutachten noch Zeit bis in den Herbst lassen, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Vor allem die Atom-Nation Frankreich macht Druck, Kernkraft als nachhaltig einzustufen. Klimaneutral ist sie, weil aus den Atommeilern kein CO2 in die Luft geblasen wird. Ihre Gegner führen jedoch die ungeklärte Endlagerung von Atommüll und die Unfallrisiken ins Treffen. Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat gemeinsam mit Ressortverantwortlichen aus vier weiteren Staaten in einem Brief an die EU-Kommission protestiert. „Wir machen uns Sorgen, dass der Einschluss von Atomkraft in die Taxonomie deren Integrität und Glaubwürdigkeit beschädigt“, heißt es darin. Unterzeichnet haben auch die für Umweltfragen zuständigen Minister aus Deutschland, Luxemburg, Dänemark und Spanien.
Die Debatte um grüne Investments und was als solches gelten darf, wird also weitergehen. Und sie ist nur ein Vorgeplänkel auf die Debatten um Klimaschutz, Kosten und Nutzen, die voraussichtlich kommenden Mittwoch starten werden. Dann will nach derzeitigem Planungsstand Vizekommissionschef Frans Timmermans elf Vorschläge unter dem Titel „Fit for 55“ präsentieren, um die Vorhaben des „Green Deal“ in konkrete Gesetze zu gießen. Erwartet wird ein Paket, das nicht nur für den Verkehrs- und Energiebereich einschneidende Änderungen bringen wird, sondern auch für den CO2-Emissionshandel.
So peilt Timmermans eine CO2-Grenzabgabe auf Zement, Stahl, Aluminium und Düngemittel an, um die EU vor Billigimporten aus Ländern ohne Klimaauflagen zu schützen. Neue CO2-Grenzwerte für Pkw und Kleintransporter stehen ebenso auf der Agenda wie eine Steuer auf Kerosin im Flug- und Diesel im Schiffsverkehr.
Sylvia Wörgetter Brüssel