Zum Auftakt des EU-Gipfels haben sich elf Mitgliedstaaten ausdrücklich hinter den Vorschlag gestellt, den Ausstoß der Klimagase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Dies geht aus einer gemeinsamen Erklärung von Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Lettland, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Schweden hervor. Österreich gehört nicht zu den Unterzeichnern.
„Wir streben sogar 70 Prozent weniger an“, sagte Estlands Ministerpräsident Jüri Ratas vor Gipfelbeginn. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stellte sich ebenfalls hinter den Vorschlag. Es wäre wichtig, wenn sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bis Dezember in einer Vereinbarung gemeinsam zu diesem Ziel bekennen würden, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag in Brüssel. „Deutschland wird das jedenfalls tun.“
Der Vorschlag der EU-Kommission für das neue 55-Prozent-Ziel ist am Donnerstag Thema beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Bisher gilt als Ziel minus 40 Prozent. Eine Entscheidung soll erst auf dem EU-Gipfel im Dezember fallen. EU-Ratspräsident Charles Michel betonte die Dringlichkeit der Angelegenheit. „Das ist ein sehr wichtiges Thema, der Green Deal ist auch unsere Wachstumsstrategie“, betonte EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag.
Österreich drängt hier auf eine weitreichende Diskussion. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält den „ambitionierten Vorschlag für sinnvoll“, entscheidend sei aber, dass „wir gleichzeitig darüber sprechen, wie wir den Wirtschaftsstandort“ Europa schützen können, und wie die Last unter den EU-Ländern verteilt werde, erklärte er am Donnerstag. Auch sollte es nicht dazu führen, dass Staaten verstärkt in Atomenergie investieren, „dann geht der Schuss nach hinten los“, gab Kurz zu Bedenken.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron sagte zum Thema, er hoffe, dass die Diskussion am Abend es ermöglichen werde, alle Mitgliedstaaten zur Unterstützung des Ziels zu bringen, den Ausstoß der Klimagase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu drücken.
Bulgarien und Tschechien lehnten eine deutliche Verschärfung der EU-Klimaziele ab. Das bereits geltende Ziel einer CO2-Reduktion von 40 Prozent bis 2030 „ist für uns die absolute Obergrenze“, sagte Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow zum Auftakt des Gipfels. 55 Prozent Reduktion, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, seien auch für sein Land nicht machbar, sagte Tschechiens Regierungschef Andrej Babis.
Eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 55 Prozent im Durchschnitt der EU sei hingegen für Tschechien durchaus akzeptabel. „Es gibt ein paar Länder, die mehr leisten können“, so Babis. Unterschiedliche Mindestvorgaben für einzelne EU-Staaten trafen in anderen Ländern sowie in der EU-Kommission und im Parlament bisher allerdings auf Ablehnung.
Babis vertrat beim EU-Gipfel auch seinen polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki, der sich in Corona-Quarantäne begeben musste. Das stark von der Kohle abhängige Polen befürchtet mit steigenden Klimaambitionen ebenfalls erhebliche wirtschaftliche Nachteile. Als einziges EU-Land hat die Regierung in Warschau sich dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 noch nicht angeschlossen. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda verlangte eine faire Lastenteilung innerhalb der EU. Grundlage könnte das BIP pro Kopf jedes Landes sein, sagte er.
Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 60 Prozent gesenkt werden müssen. EU-Parlamentspräsident David Sassoli sagte zu Beginn des Gipfels, es sei „unsere politische und moralische Verantwortung, dieses Versprechen zu erfüllen und greifbare Ergebnisse zu liefern“. Die EU verfüge jedenfalls über die wirtschaftlichen und politischen Kapazitäten dafür.
„Wir müssen ein klares Ziel haben, das uns auf dem Weg zur Klimaneutralität als Orientierung dient. Umweltschutz bedeutet neue Arbeitsplätze, mehr Forschung, mehr Sozialschutz und mehr Chancen“, so Sassoli. Mit dem Ziel der Klimaneutralität gehe auch „die Gelegenheit einher, soziale Unterschiede zu verringern und auf gerechtere und integrativere Weise das Gleichgewicht wiederherzustellen“.
APA/dpa