Der künftige US-Klimabeauftragte John Kerry hat Verbindungen zu Österreich. Die Familie Kerry hat altösterreichisch-jüdische Wurzeln in Niederösterreich und Nordmähren. Als US-Außenminister weilte Kerry mehrmals, und 2015 auch wochenlang in Wien. Es war der „längste durchgängige Österreich-Aufenthalt eines US-Außenministers, den es je gab“, betonte der österreichische Botschafter in Washington, Martin Weiss, unlängst.
In Wien rang Kerry ab dem Juli 2014 mit dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif um ein Atom-Abkommen. An den Verhandlungen nahmen auch die Außenminister der UNO-Vetomächte Großbritannien, China, Frankreich, Russland sowie Deutschland teil. Ziel war es, den Iran davon abhalten, eine Atombombe bauen zu können. In Wien hatten schon zuvor Gespräche auf Expertenebene stattgefunden, hat hier doch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO/IAEA) ihren Sitz.
Die Iran-Gespräche im Wiener Innenstadtpalais Coburg gestalteten sich allerdings äußerst schwierig. Kerry sprach von „bedeutenden Differenzen“. Nachdem klar war, dass die gesetzte Frist bis 20. Juli 2014 nicht eingehalten werden konnte, wurde ein Übergangsabkommen verlängert. Die neue Deadline war der 24. November. Doch auch innerhalb dieser Frist konnte keine Einigung auf ein neues Abkommen erzielt werden. Gespräche wurden in Genf, Lausanne und Maskat fortgesetzt.
Der damalige Außenminister und heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) setzte sich dafür ein, die Iran-Verhandlungen wieder nach Wien zu bringen. Und tatsächlich begaben sich der US-Außenminister und seine Amtskollegen Ende Juni 2015 erneut in die Bundeshauptstadt, obwohl Kerry Ende Mai bei einem Radunfall in den französischen Alpen einen Oberschenkelbruch erlitten hatte und das Krankenhaus erst Mitte Juni verlassen konnte. Kerry landete am 27. Juni 2015 in Wien – gestützt auf Krücken, um im Endspurt einen Atom-Deal zu erreichen.
Der Endspurt wurde zu einem Marathon, die Frist mehrmals verschoben. Hunderte Journalisten aus aller Welt verfolgten die Gespräche an Ort und Stelle. Nur langsam zeichneten sich Fortschritte ab. Die Verhandlungsführerin, Catherine Ashton, leitete die Gespräche weiter, auch nachdem ihre Amtszeit als EU-Außenbeauftragte geendet hatte. Kerry und Zarif blieben in Wien, bis am 14. Juli 2015 der Durchbruch gelang: eine Einigung im 13 Jahre alten Atomstreit mit dem Iran. „Das ist der gute Deal, den wir wollten“, sagte Kerry, der für US-Präsident Barack Obama tätig war, erleichtert. Der spätere US-Präsident Donald Trump sah dies bekanntlich anders und stieg aus dem Atomabkommen wieder aus.
Drei Monate nach den Iran-Verhandlungen reiste Kerry wieder nach Wien. Er nahm im Oktober 2015 gemeinsam mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow an einer Syrien-Konferenz teil. Auch dafür hatte Kurz Wien angeboten. Die Verhandler zeigten sich hoffnungsfroh. Es fanden weitere hochrangige Syrien-Treffen in Wien unter Beteiligung zahlreicher Staaten statt, inklusive dem Iran, aber ohne syrischen Vertreter. Die Syrien-Konferenz am 14. November 2015 wurde überschattet von den Pariser Anschlägen auf Bars, Restaurants sowie den Konzertsaal Bataclan. Kerry verfolgte die Ereignisse von Wien aus. Und im Mai 2016 gab es dann noch einmal eine große weltpolitisch relevante Konferenz in Wien unter Beteiligung Kerrys. Russland, die USA und rund 20 weitere Staaten besprachen die bis heute ungelösten Konfliktherde Syrien und Libyen.
Doch nicht nur Berufliches verbindet Kerry mit Österreich. Seine familiären Wurzeln liegen in der Donaumonarchie. Sein Großvater Fritz Kohn kam 1873 in Horni Benesov zu Welt, als es noch Bennisch hieß und in dem zum Habsburgerreich gehörigen Teil Schlesiens lag. Die Recherchen des österreichischen Ahnenforschers Felix Gundacker ergaben, dass Kerrys Urgroßvater Benedikt Kohn, Braumeister in Bennisch, 1876 starb und seine Ehefrau Mathilde, geborene Fränkel, und mehrere Kinder hinterließ – Fritz, Ida und Otto, vermutlich noch Max. Aus wirtschaftlicher Notwendigkeit zog die Familie Richtung Wien und fasste 1880 in Mödling Fuß.
Im Jahr 1900 heiratete Fritz Kohn in Wien Ida Löwe, eine 1877 geborene Jüdin aus Budapest. Im Jahr darauf kam Sohn Erich zur Welt, Vater Fritz änderte den Familiennamen – und auch die Religion vom Judentum zum Katholizismus. Begründet wurde die Änderung mit der Häufigkeit des Namens, der spezifisch jüdisch sei. „Kerry“ wurde es durch reinen Zufall. Fritz und sein Bruder ließen laut Medienberichten einen Stift über einem Atlas kreisen und beschlossen, den Namen anzunehmen, auf den die Bleistiftspitze zeigen würde. Es traf die irische Grafschaft Kerry.
Fritz suchte wohl – wie viele andere auch zu dieser Zeit – bessere berufliche Chancen und wanderte mit seiner Frau und Erich 1905 in die USA aus, wo sie sich zunächst in Chicago niederließen. 1915 kam Richard – Vater des künftigen US-Klimabeauftragten des designierten US-Präsidenten Joe Biden – zur Welt. Sechs Jahre später erschoss sich Fritz, mittlerweile Frederick Kerry, dessen Firma pleitegegangen war, in einem Hotel in Boston. Geschwister von John Kerrys Großmutter Ida wurden von den Nazis in den KZ Treblinka und Theresienstadt ermordet.
John Kerry selbst erfuhr erst im Laufe des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 – er unterlag damals dem republikanischen Amtsinhaber George W. Bush – die Geschichte seiner Ahnen. Er hatte zuvor weder den Geburtsort noch den ursprünglichen Namen und die Religion seines Großvaters gekannt. Kerry hatte lange Zeit an irische Vorfahren geglaubt.
APA