Klimaziel: Warum sich der EU-Gipfel nicht leicht tun wird

10. Dezember 2020, Brüssel/EU-weit

Fünf Jahre nach der historischen Einigung auf das Pariser Klimaabkommen muss die Welt Farbe bekennen: Die Klimaziele müssen nachgeschärft werden, um die Überhitzung der Erde mit ihren katastrophalen Folgen zu bremsen. So ist es im UN-Vertrag von 2015 vorgesehen. Die EU hat sich das für den Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag vorgenommen. Einfach wird es nicht.

Was liegt auf dem Tisch?

Bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 – diesen Vorschlag der EU-Kommission greift der Entwurf der Gipfelerklärung auf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die 55 Prozent sollen jetzt abgesegnet und später im EU-Klimagesetz festgeschrieben werden. Die EU will es vor Jahresende als verbindliches Ziel den Vereinten Nationen melden. Bisher ist ein Ziel von minus 40 Prozent hinterlegt. Zur Umsetzung heißt es: „Das Ziel wird von der EU kollektiv auf die Art und Weise erreicht, die am kosteneffizientesten ist.“

Ist das machbar?

Ja, sagt die EU-Kommission. Aber es wäre ein gewaltiger Kraftakt: So müsste der Anteil von Öko-Energien am gesamten Verbrauch bis 2030 nicht nur auf 32 Prozent steigen, sondern auf 38 bis 40 Prozent. Bei der Energieeffizienz soll die bisherige Zielmarke von 32,5 auf 36 bis 39 Prozent erhöht werden. In den Umbau der Energieversorgung und -nutzung müssten jährlich 350 Milliarden Euro mehr investiert werden, im Vergleich zu den Werten der vergangenen zehn Jahre.

Was bedeutet das für die einzelnen Länder?

Das lässt sich noch nicht sagen. Die Kommission will erst im Juni 2021 ein Gesetzespaket vorlegen, wie das Ganze umgesetzt wird. Zur Debatte stehen etwa strengere Energieanforderungen an Gebäude und schärfere CO2-Grenzwerte für Autos. Deutschlands Autoindustrie müsste dann mehr Tempo machen bei der Umstellung auf Elektro-Pkw. Die Energiekonzerne könnten über den EU-weiten Handel mit Verschmutzungsrechten schneller in Richtung Ökostrom gedrängt werden – ein steigender CO2-Preis bedeutet, dass Kohlekraftwerke sich weniger lohnen.

Warum verschärft die EU ihr Ziel?

Das Paris-Abkommen sieht vor, dass die Mitglieder nach fünf Jahren ihre Pläne nachbessern. Derzeit weisen diese eher Richtung 3 Grad Erderwärmung als „deutlich unter 2“, wie das Abkommen vorsieht. Staaten wie Großbritannien, China, Japan und Südkorea wollen nun ehrgeiziger werden. Die EU stehe jetzt unter Druck, mahnt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Die UN-Klimadiplomatie ist wegen der Corona-Pandemie ins Stocken geraten, der diesjährige Klimagipfel wurde auf 2021 verschoben. Aber an diesem Samstag soll ein digitaler Mini-Gipfel stattfinden. Dort könnte Merkel das neue EU-Ziel der Welt vorstellen.

Stehen alle 27 Staaten hinter dem Ziel?

Nein. Noch gebe es keine Einigung, sagte ein hochrangiger EU-Vertreter am Mittwoch. Der Entwurf der Gipfelerklärung versucht Brücken zu bauen: Man müsse die „unterschiedlichen Ausgangspositionen und nationalen Umstände“ berücksichtigen. Einige Staaten im Osten wie Polen sind sehr auf Kohle angewiesen und haben bei der Energiewende einen weiteren Weg. Sie wollen finanzielle Hilfe beim Umbau.

Dafür sind Milliardentöpfe geplant: vor allem der Fonds für einen gerechten Wandel, aber auch der 750 Milliarden schwere Corona-Aufbaufonds, der zu mindestens 30 Prozent zur Umsetzung der Klimaziele genutzt werden soll. Das gesamte Paket war zuletzt wegen eines Streits mit Ungarn und Polen blockiert, aber es bahnte sich eine Lösung an. Das dürfte entscheidend dafür sein, dass auch beim Klimaziel eine Einigung gelingt.

Weiteres Streitthema ist die Atomkraft. Tschechien hat schon voriges Jahr dafür gekämpft, sie als CO2-freie Energieform zu akzeptieren. „Technologieoffenheit“ heißt das Stichwort. Beihilfen für Atomkraft sind jedoch für andere Staaten völlig ausgeschlossen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat vor dem Gipfel davor gewarnt, bei der Festlegung des EU-Klimaziels 2030 der Atomindustrie in die Hände zu spielen.

Reicht das für einen ambitionierten Klimaschutz?

Klimaschützer halten minus 55 Prozent für zu wenig. Greenpeace-Chef Martin Kaiser etwa fordert 65 Prozent. Das halten auch die Grünen für notwendig. Kritik gibt es auch daran, dass erstmals die Speicherung von CO2 in Wäldern und anderen „Senken“ eingerechnet werden soll. Die tatsächlich nötige Einsparung bei Treibhausgasen auf anderen Gebieten wäre damit niedriger – und der Sprung von anvisierten 40 auf 55 Prozent weniger ehrgeizig, als es klingt.

APA/dpa