Die deutsche Regierung hält trotz der französischen Forderung nach einem Ende von Nord Stream 2 an dem umstrittenen deutsch-russischen Pipeline-Projekt fest. Der französische Europa-Staatssekretär Clément Beaune hatte zuvor mit Blick auf das Vorgehen der russischen Behörden gegen die Opposition zu einem Stopp des Vorhabens aufgerufen.
Die Bundesregierung habe in den vergangenen Tagen „betont, dass sich ihre grundsätzliche Haltung nicht geändert hat“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz am Montag in Berlin. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, die französische Position sei bekannt. Berlin befinde sich in „sehr engem Austausch“ mit der Regierung in Paris. Darüber hinaus hätten die EU-Außenminister am Montag vergangener Woche über eine mögliche europäische Reaktion auf den Umgang der russischen Behörden mit dem inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und seinen Unterstützern beraten.
Vor dem Hintergrund erneuter Massenfestnahmen bei Protesten in Russland am Wochenende hatte Beaune am Montagfrüh in einem Radio-Interview die „größten Bedenken“ seiner Regierung gegenüber Nord Stream 2 bekräftigt. Auf die Frage, ob Frankreich einen Stopp des Projekts befürworte, antwortete er: „Wir haben das in der Tat bereits gesagt.“
Neue Sanktionen gegen Russland reichten in diesem Fall „nicht aus“, betonte Beaune weiter. Zugleich unterstrich der französische Europa-Staatssekretär, dass die Einstellung des Projekts eine deutsche Entscheidung sein müsse, da die Pipeline „in Deutschland“ liege. Zu den Finanzinvestoren bei Nord Stream 2 zählt neben der österreichischen OMV auch der französische Energiekonzern Engie, an dessen Kapital der Staat zu knapp einem Viertel beteiligt ist.
Wegen der Verhaftung Nawalnys hatte auch das Europäische Parlament einen Stopp von Nord Stream 2 gefordert. Die USA und mehrere europäische Staaten, darunter Polen, äußern bereits länger scharfe Kritik an dem Pipeline-Projekt. Sie warnen vor einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und negativen Folgen für osteuropäische Staaten. Wegen US-Sanktionen waren die Verlegearbeiten an der zu mehr als 90 Prozent fertiggestellten Pipeline fast ein Jahr lang ausgesetzt worden. Ende Jänner wurden sie wieder aufgenommen.
Auch in Deutschland mehrten sich zuletzt Stimmen, die einen Stopp oder eine Aussetzung von Nord Stream 2 forderten. Ihre Kritik an dem Projekt bekräftigten am Montag die Grünen. „Es ist eine Putin-Pipeline und sie sollte nicht weitergebaut werden“, sagte Parteichef Robert Habeck am Montag in Berlin mit Blick auf den Umgang des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Regierungskritikern. Nord Stream 2 habe „immer schon Europa gespalten“ unterstütze genau jenes „Regime“ in Moskau, „das die Proteste niederknüppelt“.
Als „unvernünftig und falsch“ kritisierte dagegen die Linkspartei die französische Forderung nach einem Baustopp für Nord Stream 2. „Ein Stopp des bereits genehmigten Projekts würde durch höhere Gaspreise den deutschen Gaskunden und den Steuerzahler wegen Entschädigungszahlungen für bereits getätigte Investitionen belasten“, erklärte ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Klaus Ernst.
Nawalny war nach seiner Rückkehr aus Deutschland Mitte Jänner in Moskau festgenommen und im Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. In Berlin war der Kritiker von Russlands Präsident Wladimir Putin nach einem Giftanschlag behandelt worden, durch den er im August beinahe getötet worden wäre. Nawalny macht den Kreml für den Angriff verantwortlich.
Gegen die Verhaftung Nawalnys waren an den vergangenen beiden Wochenenden in ganz Russland zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen. Die Sicherheitskräfte gingen massiv gegen die Demonstranten vor. Laut der Nichtregierungsorganisation OWD Info nahm die Polizei am Sonntag mehr als 5.300 Demonstranten fest, darunter mehr als 90 Journalisten. Bereits vor Beginn der Demonstrationen hatten die Behörden enge Verbündete Nawalnys, darunter seinen Bruder Oleg und seine prominente Mitarbeiterin Ljubow Sobol, unter Hausarrest gestellt.
APA/ag