Einigung auf EU-Klimaziel für 2030: Minus 55 Prozent

21. April 2021, Brüssel

Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments haben sich endgültig auf eine Verschärfung des Klimaziels für 2030 geeinigt. Bis dahin sollen die Treibhausgase der Europäischen Union um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt werden. Dies teilten mehrere Vertreter des Europäischen Parlaments und des Rats der Mitgliedsstaaten am Mittwoch in der Früh in Brüssel mit. Bisher galt ein Ziel von minus 40 Prozent. Bis 2050 soll die EU dann klimaneutral sein.

„Das ist ein herausragender Moment für die EU und ein starkes Signal an die Welt“, schrieb EU-Kommissionsvize Frans Timmermans auf Twitter. „Unsere Verpflichtung auf eine klimaneutrale EU wird unsere Politik in den nächsten 30 Jahren leiten.“ Es sei „ein guter Tag für die Menschen und den Planeten“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach nach der Einigung von einem „verbindlichen Versprechen an unsere Kinder und Enkelkinder“

Die Unterhändler des Europaparlaments akzeptierten nach mehr als 15-stündigen Verhandlungen letztlich die Marke, die die EU-Staats-und Regierungschefs Ende 2020 vorgegeben hatten. Dabei wollte das EU-Parlament eigentlich viel mehr: eine Senkung der Klimagase um 60 Prozent sowie eine schärfere Berechnungsmethode. Die Abgeordneten erreichten nur Zugeständnisse in Details.

Hauptstreitpunkt war neben dem Prozentwert vor allem die Frage, ob und inwieweit die Mengen Kohlendioxid eingerechnet werden sollen, die Wälder, Pflanzen und Böden speichern. Abgeordnete bemängeln, dass eine Einbeziehung dieser sogenannten Senken das Einsparziel abschwächt. Statt bei 55 Prozent lägen die tatsächlichen Einsparungen nur bei 52,8 Prozent, monierten unter anderen die Grünen.

Die Parlamentarier handelten zumindest heraus, dass die Anrechnung der Senken auf 225 Millionen Tonnen Kohlendioxid begrenzt wird. Die EU-Kommission soll durch Aufforstung die Bindekraft der Wälder auf 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid erhöhen, so dass netto mehr als 55 Prozent Treibhausgase eingespart werden könnten. Durchsetzen konnte das Parlament die Gründung eines Klimarats mit 15 Experten, der die Umsetzung der Ziele begleiten soll. Zudem wird ein Treibhausgas-Budget für die nächsten Jahrzehnte ermittelt, aus dem sich ein Etappenziel für 2040 ableiten lässt.

Die Einigung vom Mittwoch muss noch formal durch das Europaparlament und die Mitgliedstaaten bestätigt werden. Der portugiesische EU-Ratsvorsitz ging davon aus, dass dies in zwei bis drei Wochen erfolgen dürfte.

Für die Bundesregierung begrüßten Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die EU-Vereinbarung. „Ein gemeinsames, klares Ziel für alle EU Staaten ist unabdingbar im Kampf gegen die Klimakrise“, so Gewessler. Edtstadler erklärte: In der Bundesregierung wolle man „voran gehen und Klimaneutralität bis 2040 erreichen. Wichtig ist, dass wir die betroffenen Unternehmen und Sektoren unterstützen und begleiten.“

Unter den österreichischen EU-Parlamentariern zeigte sich ein gemischtes Bild. Der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber sprach von einem „historischen Ereignis“. Günther Sidl, SPÖ-EU-Abgeordneter, erklärte, der vorliegende Kompromiss sei für „alle Länder machbar“, bedauert aber gleichzeitig, dass das „ambitionierte Ziel“ des EU-Parlaments nicht möglich gewesen sei.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte die Festlegung der Europäischen Union auf neue Klimaziele. „Wir werden morgen bei dem Klimagipfel des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Joe Biden, mit einer klaren, guten europäischen Position dort kommen“, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch bei einer Online-Diskussion. „Klimaneutralität bis 2050, 55 Prozent Reduktion bis 2030: Damit können wir uns sehen lassen auf der Welt, und das ist eine tolle Sache.“ Biden hat für Donnerstag und Freitag zu einem virtuellen Klimagipfel geladen.

Die Grünen im Europaparlament zeigten sich hingegen enttäuscht. „Das ist zu wenig, um die Klimakrise zu bekämpfen und es ist eine Verhöhnung aller europäischen Wähler*innen“, so Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen und Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei. Die NEOS-EU-Abgeordnete Claudia Gamon erklärte: „Wenn wir die Klimakatastrophe abwenden wollen, dann haben nationale Befindlichkeiten keinen Platz.“

Kritik übten auch die Umweltorganisationen GLOBAL 2000, Greenpeace sowie der WWF. Dieser sieht einen „faulen Kompromiss auf Kosten des Planeten“. Der Verkehrsklub Österreich betonte: „Ziele sind wichtig, noch wichtiger ist aber die Umsetzung von Maßnahmen.“

„Damit hat die Vernunft gesiegt“, begrüßte unterdessen Stephan Schwarzer von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Damit baue „die EU ihre Vorreiterposition in der weltweiten Klimapolitik aus“. Die Wirtschaft fordere Pläne und Programme zur Umsetzung des Ziels.

Vor dem virtuellen Klimagipfel von US-Präsident Joe Biden am Donnerstag und Freitag war der politische Druck hoch, ein verbindliches EU-Ziel festzuzurren und damit das EU-Klimagesetz unter Dach und Fach zu bringen. Es wird erwartet, dass auch die USA ein ehrgeizigeres Klimaziel für 2030 ankündigen.

Das verschärfte Ziel für 2030 ist eine Etappe auf dem Weg, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Dann sollen fast alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden. Nötig ist dafür in den nächsten 30 Jahren ein umfassender Umbau der Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien und Produktionsmethoden ohne Abgase. Wie das konkret gehen soll, will die EU-Kommission in einem Gesetzespaket „Fit for 55“ im Juni erklären.

Eine wichtige Entscheidung der EU-Kommission zur Nachhaltigkeit von Gas- und Atomenergie wurde unterdessen verschoben. Die Brüsseler Behörde ließ am Mittwoch in einem Rechtsakt zur Definition von Grünen Finanzprodukten die heikle Bewertung von Gas- und Atomenergie außer Acht.

APA/dpa