Kohleausstieg überschattet Wahlkampf in Sachsen-Anhalt

14. Mai 2021, Berlin
Kohleförderung in Deutschland
 - Gräfenhainichen, APA/dpa-Zentralbild

Gerade erst haben sich Union und SPD für die neuen verschärften Klimaschutzbeschlüsse gefeiert. Aber mit Sorge wird in beiden Parteien gesehen, dass der Beschluss im deutschen Bundeskabinett am Mittwoch auch Konsequenzen für den Wahlkampf in Sachsen-Anhalt haben könnte. Denn das ostdeutsche Bundesland, in dem am 6. Juni ein neuer Landtag gewählt wird, ist Braunkohle-Land.

„Die Angst ist groß, dass eine Debatte über ein Vorziehen des Kohleausstiegs der AfD Wähler in die Hände treiben könnte“, heißt es in Unionskreisen in Sachsen-Anhalt. Deshalb versuchen CDU und SPD, möglichen Versuchen von Rechtsaußen oder Linksaußen zuvorzukommen, Ängste vor Arbeitsplatzverlusten für sich zu nutzen – auch wenn konkret gar keine Schließungen beim Kohleabbau oder Kraftwerken anstehen. „Wir haben klar festgelegt: Kohleausstieg 2038“, sagt etwa Sachsen-Anhalts CDU-Landeschef Sven Schulze zu Reuters.

Er verweist darauf, dass am Braunkohlebabbau im Süden des Landes viele Arbeitsplätze hingen. Im Wahlkampf merke er, dass den Menschen vor allem Verlässlichkeit der Politik wichtig sei. Genau diesen Punkt betont auch die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt, Katja Pähle: „Der Strukturwandel braucht Verlässlichkeit und Planbarkeit. Deshalb: Am gesetzlich verankerten Kohleausstieg wird nicht gerüttelt“, sagt sie.

Hintergrund ist, dass die AfD laut der jüngsten Insa-Umfrage für Sachsen-Anhalt mit 24 Prozent nur noch zwei Prozentpunkte hinter der CDU liegt. Das macht vor allem die Christdemokraten nervös – auch in Berlin. Denn von Sachsen-Anhalt soll als letzter Landtagsabstimmung vor der Bundestagswahl ein positives Signal ausgehen. Immerhin muss die CDU hier einen ihrer wenigen verbliebenen Ministerpräsidenten-Posten verteidigen.

Also betont CDU-Chef Armin Laschet, dass man zwar im Westen früher aus der Kohle aussteigen könne, um zum Erreichen der Klimaschutzziele beizutragen. Aber im Osten habe es für die Kohleländer Sachsen-Anhalt, Sachen und Brandenburg das Versprechen gegeben, dass erst die Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssten. „Das ist ein Versprechen, das erst ein Jahr alt ist“, unterstrich Laschet in einem Interview. „Diesen Konsens sollte der Staat jetzt nicht einseitig aufkündigen.“

Dabei erwarten auch CDU und SPD, dass die Wirtschaft von sich aus wegen eines steigenden CO2-Preises früher aus der Kohle aussteigen wird. Zudem forciert die Kenia-Koalition in Magdeburg aus CDU, SPD und Grünen selbst den Ausbau Erneuerbarer Energien.

Auch der Berliner Politologe Oskar Niedermayer sieht eine Bedeutung des Kohle-Themas für die Wahlen. „Der Kohleausstieg muss in geordneten Bahnen passieren, in denen Arbeitsplätze gesichert werden“, sagt er zu Reuters. „Das ist in Sachsen-Anhalt ganz wichtig und auch in Nordrhein-Westfalen.“ Wenn die CDU es geschickt mache, dann könne sie gegenüber den Grünen punkten und auch gegenüber der AfD, meint er. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber: Wenn die Christdemokraten die richtige Balance zwischen Ökologie und Arbeitsplätzen nicht finden, könnte es ihnen schaden.

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa, Hermann Binkert, warnt jedoch vor einer Überwertung sowohl des Themas als auch der Gefahr eines Rechtsrutsches. Er erwarte nicht, dass die AfD nun einen plötzlichen Mobilisierungsschub bekomme. Und anders als in Thüringen sei es unwahrscheinlich, dass AfD und Linkspartei zusammen die Mehrheit der Sitze im Magdeburger Landtag holen könnten. Deshalb halten Meinungsforscher es derzeit für wahrscheinlich, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in einer Koalition mit SPD, Grünen oder FDP erneut die Regierung anführen dürfte – selbst wenn die AfD am Ende vor der CDU landen sollte.

Sachsen-Anhalts Grünen-Chef Sebastian Striegel versteht die Ängste vor dem Kohle-Thema ohnehin nicht, schon weil es nur eine regionale Betroffenheit gebe. „Bereits im Kenia-Koalitionsvertrag von 2016 ist zudem festgelegt, dass kein neuer Tagebau in Sachsen-Anhalt erschlossen wird. Das könnte ein Auslaufen der Kohleförderung in Sachsen-Anhalt zwischen 2030 und 2034 bedeuten“, sagt Striegel zudem zu Reuters. Dass das Kohlekraftwerk Schkopau noch einmal modernisiert werde, sei angesichts der Marktbedingungen unwahrscheinlich.

„Die Menschen in der Region bereiten sich also seit Jahren auf den Kohleausstieg vor“, fügt er hinzu. Die Grünen, die laut Umfragen mit zwölf Prozent diesmal ihr Ergebnis der Landtagswahl 2016 mehr als verdoppelt könnten, wählen deshalb die Offensive und verweisen auf die Alternativen zur Kohle. „Der Strukturwandel hat doch mit der Wasserstoff-Region und der Bioraffinerie in Leuna längst eingesetzt“, sagt Striegel. Das südliche Sachsen-Anhalt bleibe also Energie- und Chemieregion.

APA/ag

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