„Grüner Wasserstoff“ soll vor seiner Marktfähigkeit Förderungen erhalten, aber nicht zu lange. Darauf verwiesen am Dienstagabend Fachleute bei einer Trendforum-Diskussion der heimischen E-Wirtschaft. In der ersten Phase solle man „das zarte Pflänzchen noch großzügiger pflegen“, sagte Christoph Gatzen von Frontier Economics. Man müsse sich ansehen, ob man im Innovationsregime oder im Marktsystem sei, meinte Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds (KliEn).
Anfangs seien Incentives für den im Kommen befindlichen umweltfreundlichen Energieträger notwendig, so Vogel. Später müsse man „aber aufpassen, dass die Kosten nicht explodieren“, warnte Gatzen. Eine Studie von Frontier Economics für den Interessenverband Oesterreichs Energie bescheinigt Wasserstoff (H2) viele Einsatzmöglichkeiten zur Dekarbonisierung und zur langfristigen Energiespeicherung, etwa der Verschiebung von Erneuerbarem-Strom vom Sommer in den Winter.
Michael Strugl, Präsident von Oesterreichs Energie, bezeichnete bei „grünem Wasserstoff“ die hohen Erzeugungskosten, vor allem resultierend aus den Stromkosten, als „das größte Problem“. Deshalb müsse man hier am Anfang helfen – etwa durch die Befreiung von Abgaben, Steuern und anderen Entgelten. Bezug nehmend auf deutsche Fördervolumina im Zusammenhang mit sogenannten IPCEI-Wasserstoff-Projekten (für Important Projects of Common European Interest) äußerte Strugl den Verdacht, in Österreich stehe zu wenig Geld zur Verfügung, wende man die 10:1-Faustregel an. Staatssekretär Magnus Brunner (ÖVP) tat eine andere Rechnung auf und inkludierte jene 500 Mio. Euro, die Österreich in den nächsten zehn Jahren in die Elektrolyse stecken will.
Denn vor allem in großen Elektrolyse-Anlagen sollen mithilfe von Erneuerbarem-Strom die großen Mengen von „grünem H2“ erzeugt werden, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten benötigt werden. Die EU-Wasserstoffstrategie etwa geht bereits bis zum Jahr 2024 von einem Ausbau der Produktion von erneuerbarem Wasserstoff von 6 Gigawatt (GW) bzw. bis zu 1 Mio. t erneuerbarem H2 aus, bis 2030 sogar von 40 GW Elektrolyseurleistung und bis zu 10 Mio. t erneuerbarem H2.
In Deutschland, das seit 2020 eine nationale Wasserstoffstrategie hat, sollen 5 GW Elektrolyseurleistung bis 2030 erreicht sein und weitere 5 GW bis 2035/40. Im Nachbarland stehen zunächst Industrie und Verkehr im Fokus – man gehe erst in Bereiche, in denen es hohe Nachfrage gebe und in denen die Abnehmer viel zahlen würden für den Wasserstoff, sagte Thorsten Herdan, Leiter der Abteilung II Energiepolitik – Wärme und Effizienz im deutschen Wirtschaftsministerium. In Österreich steht eine H2-Strategie noch immer aus, was Spitzenvertreter der E-Wirtschaft am Dienstag erneut kritisierten. Staatssekretär Brunner sagte, „wir hoffen, dass wir sobald wie möglich die Wasserstoff-Strategie vorlegen können“, denn „wir brauchen alle dringend diese Strategie“.
Österreichs E-Wirtschaft sehnt vor allem die Speichermöglichkeit des Energieträgers H2 herbei, da das Stromsystem durch immer mehr Erneuerbare Erzeugung zunehmend volatil wird und Überschussstrom aus dem Sommer leicht in den Winter gebracht werden könnte, so Strugl. Grünes H2 ermögliche auch neue Backup-Kapazitäten anstelle der jetzigen thermischen Gaskraftwerke. Setze man die Elektrolyseure systemdienlich ein, könnten sie positive oder negative Regelenergie zur Verfügung stellen.
Damit der Wasserstoff-Sektor ein „faires System“ sei, dürfe das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden, nötig sei ein Level Playing Field zwischen Strom- und Wasserstoff-Bereich, betonte Gatzen. Kilowattstunden-Tarife und -Abgaben werde man wohl überdenken müssen. Zu CO2-Preissignalen, um Wasserstoff wettbewerbsfähig zu machen, bekannten sich auch Herdan und Vogel. Der Vertreter aus dem deutschen Wirtschaftsministerium mahnte zudem eine kombinierte Energieinfrastruktur-Planung und -Refinanzierung an und plädierte für „Pragmatismus“ in der Aufbauphase einer H2-Wirtschaft: Am Anfang könne man sich durchaus auch mit „blau-grünem Wasserstoff“ begnügen, wenn man wisse, dass er im Lauf der Zeit „grün“ werden solle.
APA