Ökostrom-Gesetz erfordert große Netzinvestitionen

9. Juli 2021, Wien

Mit den Stimmen aller Parlamentsparteien mit Ausnahme der FPÖ hat der Nationalrat am Mittwoch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) beschlossen. Ab 2030 sollen also – bilanziell und übers Jahr gerechnet – 100 Prozent des heimischen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Die Regierung nimmt dafür 30 Milliarden Euro in die Hand.


Gefördert werden der Bau von PV- und Windkraftanlagen, aber auch der Ausbau von Wasserstoff und Biogas. Außerdem sollen private Haushalte und Betriebe motiviert werden, selbst in erneuerbare Energieträger zu investieren, zum Beispiel in Photovoltaik-Paneele auf Dächern.


Versorgung sichern
Ein Unsicherheitsfaktor beim Ausbau bleiben die heimischen Stromnetze. Hier muss nicht nur Österreich im Zuge der Klimaziele nachrüsten, sondern auch alle andern EU-Staaten sind gefordert. Mit dem steigenden Anteil an Ökostrom steigen auch die Volatilität der Netze sowie die Gefahr von Blackouts und Versorgungsengpässen. Zur Erreichung der Klimaziele ist das neue EAG ein gewichtiger Hebel. Sonst drohen Österreich Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Kritik am neuen Gesetz kam von der FPÖ. Sie warf der Regierung „Angstmache“ vor und warnte vor einer „Klimaindustrie“ und zu hohen Kosten für die Haushalte.


Gut Ding will Weile haben
Das österreichische Energierecht wird mit dem EAG ein neues Kapitel aufschlagen.
von Stefan Storr

Endlich wird das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) in Kraft treten. Der Gesetzgebungsprozess hat sich doch sehr lange hingezogen. Der Gesetzesentwurf wurde ursprünglich im September 2020 in den Nationalrat eingebracht, eine geänderte Regierungsvorlage sodann im März, und am 7. Juli hat der Nationalrat das EAG mit einer verfassungsändernden Mehrheit beschlossen. In der Zwischenzeit wurden Bestimmungen über die Netzreserve ausgekoppelt, um sie früher erlassen zu können. Nun ist noch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat nötig, und das EAG kann vom Bundespräsidenten beurkundet und vom Kanzler im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Wegen der beihilfenrechtlichen Dimension muss das Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission abgeschlossen werden.
Die verfahrensrechtlichen Mühen dürften sich gelohnt haben. Es ist ein wirklich großer Wurf gelungen. Das österreichische Energierecht wird mit dem EAG ein neues Kapitel in seiner Entwicklung aufschlagen. Schon der Umfang des Gesetzeswerks ist beachtlich. Allein das EAG wird aus mehr als 100 Vorschriften bestehen. Aber es wurde nicht nur dieses Gesetz neu beschlossen, sondern ein ganzes Paket mit Änderungen und neuen energierechtlichen Gesetzen.
Der Inhalt des EAG ist weitreichend. Geregelt werden die Förderung der Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen, Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, die es den Verbrauchern künftig ermöglichen sollen, selbst erzeugte erneuerbare Energie zu vermarkten, die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff, Herkunftsnachweise für Energie aus erneuerbaren Quellen, Grünzertifikate für Gas aus erneuerbaren Quellen und die Erstellung eines integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplans.


Viele Regelungen waren durch Umsetzungen des Clean-Energy-Pakets der EU erforderlich geworden, doch hat auch der österreichische Gesetzgeber bedeutende Weichen für das neue Zeitalter der Energiewirtschaft gestellt.
Das EAG soll der wesentliche gesetzliche Hebel sein, um ambitionierte Ziele zu erreichen: Österreichs Stromversorgung soll bis 2030 national bilanziell zu 100 Prozent auf erneuerbare Energieträger umgestellt werden, der Anteil von erneuerbarem Gas soll deutlich erhöht werden, und bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden.


Freilich muss auch gesagt werden, dass Österreich weiterhin stark von Energieimporten abhängig sein wird, doch das EAG ist mehr als nur ein Anfang der Energiewende, es wird ihr Booster sein. Pro Jahr ist eine Förderung von 1 Milliarde Euro vorgesehen.


So gesehen mag es heute tröstlich erscheinen, dass das Gesetzgebungsverfahren so lange gedauert hat. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass im Parlament verfassungsändernde Mehrheiten organisiert werden mussten. Eine Verfassungsänderung war unter anderem erforderlich, weil dem Bund nicht die umfassende Gesetzgebungskompetenz für das Energierecht zukommt und er sich seine Kompetenz erst durch eine sogenannte Kompetenzdeckungsklausel besorgen muss. Gut Ding will eben Weile haben, wie der Volksmund weiß. Jetzt kommt es darauf an, das Gesetz ehestmöglich anzuwenden und die damit verbundenen Chancen auch zu nutzen. gastkommentar@wienerzeitung.at
Stefan Storr ist Professor am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Forschungsschwerpunkt Energierecht. Foto: WU Wien / Lukas Pelz
EAG ist beschlossene Sache


Parlament legt Weichen für Stromwende. Volatile Netze sind Sorgenkind.
Das lange vorbereitete Erneuerbaren-Ausbaugesetz (EAG) wurde am Mittwoch mit den Stimmen der Regierungsparteien ÖVP und Grüne sowie der Neos und der SPÖ beschlossen. „Wir werden europäisch zum Vorreiter mit 100 Prozent erneuerbarem Strom in Österreich“, sagte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne): „Damit legen wir den Grundstein zur Klimaneutralität“, aber auch die „Grundlage für ein gutes Leben im 21. Jahrhundert“.
Konkret sieht das neue Gesetz vor, dass bilanziell und über das Jahr gerechnet der heimische Stromverbrauch zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen muss. Also aus Wasserkraft, Wind-, Solarenergie, Biomasse und Biogas. Der Anteil beträgt derzeit circa 78 Prozent, wobei der größte Teil aus der Wasserkraft kommt.


In den kommenden neun Jahren soll jährlich eine Milliarde Euro in den Ausbau von Windkraft, Photovoltaikanlagen und Wasserspeicher in die Hand genommen werden. Die Leistung soll um 27 Terrawattstunden (TWh) steigen, was laut Gewessler dem Achtfachen des nie in Betrieb genommenen Atomkraftwerks Zwentendorf entspricht. Gefördert werden neben dem Anlagenbau auch der Ausbau von Wasserstoff und grünem Gas. Rund 80 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Sehr lange waren sich Grüne und ÖVP nicht einig, ob auch Wasserstoff aus Gas durch das Gesetz abgedeckt werden soll. Die ÖVP setzte sich dann doch durch. Außerdem sollen Haushalte und Betriebe motiviert werden, etwa in eigene PV-Anlagen zu investieren.


Sozial verträgliche Ökostromabgabe
Mit dem neuen Gesetz wird auch die jährliche Ökostromabgabe für Haushalte teurer. Bisher zahlte ein österreichischer Haushalt im Schnitt 100 Euro pro Jahr. Künftig sollen es laut Gewessler 114 Euro sein. Die SPÖ hatte ihre Zustimmung zum Gesetzespaket, für das eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig war, von der sozialen Verträglichkeit abhängig gemacht. Künftig sollen Haushalte, die von der GIS-Gebühr befreit sind, auch von Ausgaben für Ökostrom ausgenommen werden. Außerdem wird die jährliche Pauschale für rund 1,2 Millionen einkommensschwache Haushalte auf 75 Euro pro Jahr gedeckelt. Dazu zählen Arbeitslose und Geringverdiener.


Mit dem Ausbau an erneuerbaren Energieträgern steigt auch die Volatilität im Stromnetz, was kurzfristige Blackouts und Kapazitätsengpässe wahrscheinlicher macht. Neben Österreich müssen auch alle anderen EU-Staaten im Zuge des Green Deal mit seinen Klimavorgaben ihre Netze fit für die Energiewende machen. Deutschland hat zum Beispiel nach wie vor Probleme, den Windstrom, der in der Nord- und Ostsee gewonnen wird, zur energieintensiven Industrie im Süden des Landes zu transportieren.


Das neue EAG umfasst insgesamt zehn Gesetze und Gesetzesänderungen. Kritik kam wenig überraschend von der FPÖ. Abgeordneter Axel Kassegger sprach von „Klimawandelindustrie“ und „Angstmacherei“. Auch die Kosten würden nicht jene treffen, die vom Energiewandel profitieren. Kassegger: „Die Hackler werden es bezahlen am Ende des Tages, dass der Herr Innenstadt-Bonvivant mit seinem Tesla auf den Golfplatz fahren kann.“ / (del)
Der Ausbau erneuerbarer Energien soll mit insgesamt 30 Milliarden Euro gefördert werden.

Wiener Zeitung