Quelle: Der Standard, 17.07.2021 (S. 19)
Der Wiener Industrie-Obmann in der Wirtschaftskammer, EVVA-Chef Stefan Ehrlich-Adám, fordert die Regierung auf, Klima- und Energiewende nicht an der Industrie vorbei zu planen. In der Krise habe man viele Jugendliche verloren.
Der Weg zum Büro des Wiener Industrie-Obmanns, des Chefs des Schlüsselimperiums EVVA, ist verwinkelt und führt durch Produktionshallen. Stefan Ehrlich-Adám empfängt den STANDARD im obersten Stock, Maschinenlärm ist da keiner mehr zu hören.
STANDARD: Wir haben Milliarden für die Bekämpfung der Corona-Pandemie ausgegeben, jetzt kommen Abermilliarden für die Klimawende. Was halten Sie von den Plänen, und was bedeutet die Energiewende für Unternehmen?
Ehrlich-Adám: Enorme Kosten und vor allem enormen Kostendruck. Wir in Österreich haben wieder einmal Golden Plating geschafft. Wir wollen bereits 2040 klimaneutral sein, das ist zehn Jahre vor der EU.
STANDARD: Ambitionierte Ziele wird man sich doch noch setzen dürfen?
Ehrlich-Adám: Ja, aber schon das erste Ziel, 2030 zu hundert Prozent Strom aus erneuerbarer Energie – was das bedeutet! Hat sich jemand überlegt, wie viele Windräder das sein müssen, um zehn Terawattstunden Strom zu erzeugen? Bei der Wasserkraft geht kaum noch etwas, aber wir sollen einen Bedarf an fünf Terawattstunden erzeugen können. Und bei Photovoltaik mit einem Zielwert von elf Terawattstunden sollen uns sogenannte Gemeinschaftsanlagen weiterbringen? Da bräuchten wir Millionen Quadratmeter an Solarpaneelen auf Dächern und sonst wo. Gar nicht zu sprechen von den Stromnetzen, die derartige Mengen gar nicht übertragen können. Wie soll das gehen?
STANDARD: Leitungen werden ja ausgebaut.
Ehrlich-Adám: Allein die Genehmigungen für die Salzburg-Leitung haben 77 Monate gedauert. Wir haben keine Ost-West-Trasse, die Lastverteilung stößt bereits jetzt an ihre Grenzen, die Gefahr von Blackouts steigt. Dass der importierte Strom aus Atomkraft kommen könnte, stört niemanden. Wir gaukeln uns da etwas vor.
STANDARD: Aber irgendwann müssen wir in die Gänge kommen …
Ehrlich-Adám: Es gibt, glaub ich, keinen Menschen, der Klimaschutz ablehnt. Aber es muss mit der Industrie gemeinsam gemacht werden. Es hat keinen Sinn, dass wir Ziele vereinbaren, Technologien vorschreiben, die sehr schwer bis gar nicht zu erfüllen sind, und die, die es umsetzen müssen, sind nicht Teil des Themas. Die Industrie will mitmachen, bitte nehmt uns mit ins Boot, diskutieren wir. Wir müssen diese Klimawende Technologie-offen schaffen, und wir müssen Ziele haben, die erreichbar sind.
STANDARD: Bei so viel Kritik: Wo ist der Koalitionspartner? Die Grünen regieren ja nicht allein.
Ehrlich-Adám: Das soll jetzt kein Regierungsbashing sein. Aber es geht zu sehr um Klientelpolitik und den Machterhalt, aber weniger um den Wohlstand im Land, der Gesellschaft.
STANDARD: Stichwort Infrastruktur: Der Streit über den Lobautunnel tobt wieder. Das Rathaus sagt, ohne unterirdische Donauquerung samt Autobahn sei Stadtentwicklung nicht möglich. Dabei scheint die Raumplanung in Wien auch ohne Tunnel wenig durchdacht, man baut Wohnungen im Gewerbegebiet.
Ehrlich-Adám: Eine Stadt ist eine gewachsene Struktur, es mischen sich produzierendes Gewerbe und Wohngegenden. Man kann mit der Wirtschaftsagentur und der Stadtverwaltung Lösungen finden, damit beide gut leben können. Ich habe aber wenig Verständnis dafür, wenn neben bestehenden Betrieben Wohnhäuser entstehen, und dann gibt es Beschwerden. Die Bewohner wussten ja vorher, dass sie nicht in einem Park wohnen werden.
STANDARD: Aber die Durchmischung zieht jede Menge Probleme nach sich, das ist hausgemacht.
Ehrlich-Adám: Ja, wenn Sie so wollen. Aber es ist schwierig, das auf dem Reißbrett umzuplanen. Dann müssen Straßen eben verbreitert, Verkehrsflüsse umgeleitet werden. Am Ende des Tages ist es aber doch so: Die Stadt wächst, wir haben bald zwei Millionen Einwohner, und wir brauchen Arbeitsplätze – nicht nur im Biosiences oder IT. Wir haben auch produzierende Industrie, die sichert nun einmal einen großen Teil der Arbeitsplätze. Wenn ein Drittel der Jugendlichen keinen positiven Wert in Unternehmen sieht, wie eben eine Studie zutage förderte, ist das erschreckend. Wer produziert denn die Produkte, die diese Jugendlichen kaufen, wer schafft die Arbeitsplätze?
STANDARD: Die Chinesen …
Ehrlich-Adám: Nicht nur! Die in der Corona-Pandemie begonnenen Bestrebungen, Produktion nach Europa zurückzuholen, werden nicht überall gelingen, aber das schafft Jobs.
STANDARD: Sie sagen, es fehle an Kooperationsbereitschaft. Wo konkret?
Ehrlich-Adám: Das sieht man im Schulsystem. Ich sehe nicht, dass es im Vorjahr eine Digitalisierungsoffensive gab. Dabei wäre die Corona-Pandemie der ideale Zeitpunkt gewesen, denn niemand hat aufs Geld geschaut. Aber es gab und gibt zu viele gegengesetzte Interessen. Aufgrund der Lockdowns haben wir, fürchte ich, viele Kinder verloren, die nicht über genug Ressourcen oder familiäre Unterstützung verfügten. Aber nicht nur viele Kinder sind untergetaucht, auch viele Lehrer waren nicht erreichbar. Man hätte viel mehr machen können und müssen.
STANDARD: Da ist er wieder, der Föderalismus. Der Bund ist für höhere Schulen zuständig, die Länder für Pflichtschulen, aus denen die Lehrlinge kommen. Was heißt das für den Arbeitsmarkt?
Ehrlich-Adám: Das werden wir bei den Fachkräften spüren. Denn es gab diese Aufstiegsklausel, man konnte mit einem Fünfer aufsteigen. Dadurch blieben viele im Schulsystem, die sonst eine Lehre begonnen hätten. Das ist teuer, und man tut den Jugendlichen nichts Gutes. Diese Fachkräfte werden fehlen.
STANDARD: Da sind die Unternehmen aber auch selbst schuld. Betriebe stellten niemanden ein, es gab keine Schnuppertage. Wie will man da die Interessierten finden?
Ehrlich-Adám: Die Wiener Wirtschaftskammer hat sich stets bemüht, wir haben in Schulen Lehrberufe präsentiert. Das hat jetzt nicht rasenden Zulauf gebracht, aber doch Interesse geweckt. Aber eigentlich ist es da schon zu spät, man muss im Kindergarten anfangen, spielend Interesse an Technik wecken.
STANDARD: Als wessen Aufgabe sehen Sie das?
Ehrlich-Adám: Es gibt kein konzertiertes System. Es müssten sich die Experten zusammensetzen, die das Bildungssystem prägen – losgelöst von Ideologie – und diskutieren, wie ein zukunftsorientiertes Bildungssystem aussehen muss. Volksschullehrer und Kindergartenpädagogen werden unter ihrem Wert geschlagen. Sie sollen Neugier wecken, Freude am Lernen vermitteln, werden aber am schlechtesten bezahlt, haben die schlechtere Ausbildung. Ich bin kein Bildungsexperte, aber eine Idee könnte sein, eine Basisausbildung für Lehrer zu schaffen und für Lehrer an höheren Schulen eine Zusatzausbildung. Man muss tabulos das System überdenken. Stattdessen wird jetzt die Zentralmatura wieder infrage gestellt – ein guter Ansatz, der Covid-19-bedingt schlechtgemacht wird. Ja, die Zentralmatura war anfangs nicht gut aufgesetzt, aber es war der Weg in die richtige Richtung. Es geht dabei ja auch um eine Überprüfung, ob die Lehrer ihren Job gut gemacht haben.
STANDARD: Das Problem mit Haupt- bzw. Neuen Mittelschulen ist ja ein Wiener Problem?
Ehrlich-Adám: Ja, Wien als Metropole mit einem großen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund hat da besondere Herausforderungen. Aber das Signal des neuen Bildungsstadtrats, die Zahl der Lehrer zu reduzieren, war kein gutes. Da fehlt mir das Gesamtkonzept, in welche Richtung soll es gehen, und wie können wir das Ziel erreichen? Bildung ist das zentrale Thema, ohne das es nicht funktionieren wird. Wir haben das teuerste Schulsystem der Welt, aber die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts wird damit nicht zu erhalten sein. Wir verlieren laufend Terrain im Vergleich zur Schweiz, zu Schweden, Dänemark und den Niederlanden. Es fehlt die Ambition, der Mut zu unpopulären Maßnahmen.
Stefan ehrlich-Adám (57) wuchs in Mexiko, Senegal und Österreich auf, studierte Elektrotechnik und Handelswissenschaften; seit 1998 ist er Geschäftsführer der EVVA Sicherheitstechnologie GmbH.
„Die Industrie will mitmachen, bitte nehmt uns mit ins Boot, diskutieren wir.“
Stefan Ehrlich-Adám
EVVA-Chef
nach oben
Der Standard