Russland bereit zu Gesprächen über Ukraine-Gastransit

23. Juli 2021, Berlin/Moskau/Washington
Der aktuelle Vertrag läuft 2024 aus
 - Lubmin, APA/AFP

Russland hat nach der Einigung zur Ostseepipeline Nord Stream 2 die Bereitschaft zu Verhandlungen über einen Gastransit durch die Ukraine über das Jahr 2024 hinaus bekräftigt. Präsident Wladimir Putin habe immer wieder gesagt, dass Russland je nach wirtschaftlicher Notwendigkeit bereit sei, über eine Verlängerung des Vertrags zu sprechen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Der aktuelle Vertrag läuft 2024 aus.

Auch Gazprom-Chef Alexej Miller stellte klar: „Die Frage neuer Mengen (…) für den Transit durch die Ukraine sollte zu Marktbedingungen und zu Marktpreisen entschieden werden.“ Gazprom sei sogar bereit, mehr Gas durch das Nachbarland zu pumpen. Nord Stream 2 bedeute für den Endkunden allerdings auch geringere Gaspreise, weil der Transportweg durch die Ostsee ein kürzerer sei.

Die beinahe fertiggestellte Leitung soll russisches Gas nach Deutschland bringen – unter Umgehung der Ukraine, die auf die Einnahmen aus dem Gas-Transit angewiesen ist. Deutschland hat sich gemäß einer mit den USA abgestimmten Erklärung dazu verpflichtet, bei Russland auf eine Fortsetzung des Vertrags mit der Ukraine um weitere zehn Jahre hinzuwirken. Die völlig verarmte Ukraine ist auf die Gebühren in Milliardenhöhe für die Durchleitung des russischen Gases nach Europa angewiesen.

Peskow sagte zu der deutsch-amerikanischen Erklärung, dass Russland die nun mögliche Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 begrüße. Zugleich wies er Vorwürfe zurück, die Energiegroßmacht könne ihre Gasressourcen als politische Waffe nutzen. Russland habe „niemals seine Energieressourcen als Instrument politischen Drucks“ benutzt. „Russland war und bleibt immer ein verantwortlicher Garant der Energiesicherheit auf dem europäischen Kontinent“, sagte er.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hat die deutsch-amerikanische Einigung im Konflikt um die Gaspipeline Nord Stream 2 kritisiert. Die 180-Grad-Wende der US-Position zu dem Thema habe viele Länder erstaunt, sagte Morawiecki am Donnerstag laut Agentur PAP. „Ich drücke meine Missbilligung darüber aus, dass unsere Bündnispartner an den Bau dieser Gaspipeline egoistisch herangegangen sind.“ Polen habe sich bemüht, andere Länder zu überzeugen, dass dieses Projekt Russland bei seiner Aufrüstung helfe, sagte Morawiecki weiter.

Auch von Litauen kam scharfe Kritik: „Ich denke, dies ist ein Fehler und dieser Fehler wird uns teuer zu stehen kommen“, sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis der Agentur BNS zufolge am Donnerstag in Vilnius. Die neue Gasleitung von Russland nach Deutschland durch die Ostsee sei ein „riesiger Sieg“ für Putin. Dagegen werde das Vertrauen der Ukraine in strategische Partner aufgrund des Verhaltens des Westens beim Bau von Nord Stream 2 sinken, sagte der Chefdiplomat des baltischen EU- und NATO-Landes. Behoben werden könne der Fehler, wenn die Ostsee-Pipeline als Hebel eingesetzt werde. So könnten etwa der Abzug russischer Truppen aus der Ukraine oder eine klare Aussicht auf eine NATO-Mitgliedschaft zur Vorbedingung für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gemacht werden, sagte Landsbergis.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Einigung mit der US-Regierung als guten Schritt. Sie überwinde aber nicht alle Differenzen, sagte Merkel am Donnerstag in Berlin. Es sei der Versuch, zwischen den USA und Deutschland bestimmte Konditionen festzulegen, die auch umgesetzt werden müssten. Es sei ganz wichtig, dass die Ukraine ein Gas-Transitland bleibe, und dass Energie nicht dazu benutzt werden könne, dass die Ukraine in eine schwierige Situation komme. Merkel verwies auf die Möglichkeiten von Sanktionen, sollte Russland Energie als „Waffe“ einsetzen. In der gemeinsamen Erklärung mit den USA wird Russland auch davor gewarnt, weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine zu begehen. Andernfalls werde Deutschland auf nationaler Ebene handeln und in der Europäischen Union auf effektive Maßnahmen einschließlich Sanktionen drängen. Ziel wäre es dann demnach, die russischen Kapazitäten für Exporte nach Europa im Energiesektor, auch bei Gas, zu beschränken – beziehungsweise effektive Maßnahmen auf anderen wirtschaftlich relevanten Gebieten.

Reaktionen kamen auch von deutschen Kanzlerkandidaten: Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU) bewerten die Übereinkunft zwischen Deutschland und der US-Regierung zur Gaspipeline Nord Stream 2 unterschiedlich: Baerbock kritisierte die Vereinbarung am Donnerstag, Laschet begrüßte sie. „Diese Gemeinsame Erklärung ist keine Lösung – insbesondere nicht für die Sicherheit der Ukraine“, sagte Baerbock der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Laschet hingegen sagte der „Welt“: „Die Einigung entspricht meiner Haltung.“

Baerbock sagte, der Betrieb der Pipeline sei auch nach der Verständigung zwischen Berlin und Washington keineswegs gesichert. Washington habe die Sanktionen gegen die Unternehmen, die an der Pipeline beteiligt sind, zwar aufgehoben, betone aber, dass die Pipeline mit Blick auf die EU-Vorgaben zur Entflechtung und zum Zugang von Drittparteien noch nicht voll genehmigt sei. „Ich halte diese Pipeline nach wie vor für falsch, aus klimapolitischen Gründen, aber vor allem auch geostrategisch“, sagte die Grünen-Politikerin. Sie sei gegen die Sicherheit der Ukraine gerichtet und ziele auf eine Spaltung der Europäischen Union. Die Osteuropäer seien „zurecht sauer“ auf die Bundesregierung, „dass sie unilateral an dieser Pipeline festhält“, sagte die Kanzlerkandidatin „Die Sicherheit der Ukraine kann uns nicht egal sein.“

Unions-Kanzlerkandidat Laschet begründete inzwischen in der „Welt“, warum er die Einigung zwischen Deutschland und den USA gutheiße: „Sie zementiert drei entscheidende Punkte. Erstens: Nord Stream 2 ist ein wirtschaftliches Projekt mehrerer europäischer Unternehmen, um unsere Energieversorgung zu unterstützen. Zweitens: Sanktionen gegen Russland, wenn die Pipeline politisch missbraucht wird. Drittens: Deutschland steht zu seiner Verantwortung für die Ukraine.“

An der Finanzierung der Pipeline ist auch die österreichische OMV beteiligt.

APA/dpa/ag.