Die „Bio-Schiene“ der Finanzwelt

9. August 2021

Green Finance erlebt einen Aufwind in der Finanzwelt. Zugleich hagelt es Kritik an der aktuellen Umsetzung.


Was haben Sparbuch, Lebensversicherung und Aktienkauf mit Klimaschutz zu tun? Viel. Denn Geld fließt sowohl in klimaschädliche als auch klimafreundliche Aktivitäten. Zu Letzterem soll „Green Finance“ beitragen. Ein Blick auf die aktuelle Palette an Bankprodukten zeigt: Die „grünen Finanzen“ boomen.


Die (nachhaltige) Finanzierung der Zukunft ist auch eines der Schwerpunktthemen des diesjährigen Europäischen Forum Alpbach, das unter dem Motto „The Great Transformation“ steht. Mittlerweile hätten alle Akteure den Ernst der Lage erkannt, meint Andreas Treichl, Präsident des Europäischen Forum Alpbach und langjähriger Erste-Bank-Generaldirektor. „Wenn wir den Planeten endgültig kaputt machen, sind die anderen Probleme, die wir haben, relativ egal. Die Grundidee ist klar, der Weg dorthin ist schwer“, sagt Treichl.


Es grünt so grün
Grünes Investment erlebte auf dem Finanzmarkt in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufschwung. „Grüne Fonds sind allein letztes Jahr über 50 Prozent gestiegen“, beschreibt Johannes Jäger, Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre an der FH des BFI Wien, den Trend. Jedoch gelte es hier auch vorsichtig zu sein. „Viele haben ihren Namen auf ‚grün‘ geändert, sind aber immer noch klassische Finanzprodukte“, warnt er.


Um Transparenz in den grünen Investitionsdschungel zu bringen, entwickelte das Wiener Social Impact Unternehmen „ESG Plus“ 2019 die Online-Vergleichsplattform „Cleanvest“.“Wir wollten ein leicht verständliches Tool schaffen, das jeder anwenden kann, egal ob Experte oder nicht“, erklärt Geschäftsführer Armand Colard.

Das Vergleichsportal listet Fonds auf und zeigt anhand von neun Kriterien – beispielsweise Kinderarbeit oder fossile Energie – die Nachhaltigkeit des Finanzprodukts auf. „Das Einzige, was man wissen muss, ist: Was ist mein eigener Wertekompass?“, sagt Colard. Möchte man weder Waffenproduktion noch Kinderarbeit unterstützen, wählt man die entsprechenden Kriterien und bekommt eine Auflistung der entsprechenden Fonds.


Andreas Treichl, langjähriger Kenner der Finanz-und Bankenbranche, unterstreicht das steigende Interesse der Finanzinstitute an Nachhaltigkeit: „Es hat massiv zugenommen, vor allem aufgrund der Aktivitäten der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank, was grundsätzlich positiv zu sehen ist. Banken können durch Kreditvergabe, ihre Veranlagungspolitiken und ihr eigenes Verhalten einen sehr starken Einfluss auf Umweltangelegenheiten haben.“


Neben der Möglichkeit, in grüne Unternehmen zu investieren, verfügen Anleger auch über andere Einflussmöglichkeiten. „Divestment“ ist so ein Beispiel. Wenn das Unternehmen nicht ethisch und nachhaltig agiert, können Investoren ihr Geld wieder herausnehmen und dadurch Druck aufbauen, in diesen Bereichen nachzubessern.


Ethik auf dem Konto
Fritz Fessler, Vorstand der „Genossenschaft für Gemeinwohl“, gibt bei Finanzmarktprodukten allgemein zu bedenken: „Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, dass das von ihnen investierte Geld nicht direkt ans Unternehmen, beispielsweise in den Windpark, fließt, sondern damit nur deren Wertpapiere an der Börse gekauft werden.“ Werbung mit Sprüchen wie „Investieren Sie in grüne Unternehmen“ suggeriere dies jedoch oft. Mit dem Bildungsangebot der „Akademie für Gemeinwohl“ will die Genossenschaft daher Menschen ansprechen, die verstehen möchten, wie der Finanzmarkt funktioniert und was im Hintergrund abläuft.


Denn nicht nur auf dem Finanzmarkt wird nachgehakt. Auch Konsumenten sind zunehmend daran interessiert, was mit ihrem Geld passiert. „Sie wollen wissen, woher ihre Lebensmittel kommen, beziehen Ökostrom und möchten nun auch wissen, was ihr Geld tut, wenn es am Konto liegt“, beschreibt Fritz Fessler den Trend.

Seit die Vision einer eigenen Gemeinwohl-Bank durch die Nichterteilung einer Bankkonzession durch die österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde 2018 gescheitert ist, berät die „Genossenschaft für Gemeinwohl“ Bankinstitute auf dem Weg zu einem gemeinwohlorientierten Ansatz. Die Nachfrage sei hoch, sowohl in Österreich als auch in Deutschland. „Es ist wie mit den Bio-Lebensmitteln: In zehn bis zwanzig Jahren sollte sich Nachhaltigkeit auch im Bankenbereich etabliert haben, quasi eine ‚Bio-Schiene‘, was Geld betrifft“, prognostiziert Fessler.


In Kooperation mit dem Umweltcenter der Raiffeisenbank Gunskirchen entwickelte die Genossenschaft 2019 ein Gemeinwohl-Konto. Jeder Euro, der auf einem der Giro-und Sparkonten des Umweltcenters abgelegt wird, soll 1:1 ausschließlich in ökologische, soziale und nachhaltige Projekte, wie ökosozialen Wohnbau, Recycling oder Windkraft, fließen.


Beraten wird das Umweltcenter dabei von einem eigens geschaffenen Umweltbeirat, dem unter anderem die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb angehört. Bei unklaren Fällen urteilt der Beirat, etwa ob Neubau gefördert werden soll, da dies eigentlich eine Flächenversiegelung darstelle.

Die Nachfrage sei hoch, erzählt Kristina Proksch, Leiterin des Umweltcenters im oberösterreichischen Gunskirchen: „Die Covid-Krise hat nochmals einen Boost gegeben. Es gibt ein größeres Bewusstsein, dass alles zusammenhängt und vernetzt ist.“ Die Hauptkundengruppe sei die junge Generation zwischen 15 und 55 Jahren, die mit den Öffis fährt, bewusst einkauft und eher im städtischen Raum lebt, wo der Klimawandel schon deutlich spürbarer ist. Das Umweltcenter funktioniert wie eine Direktbank, Kontogeschäfte können online von der Couch getätigt werden.


Ein Konzept, viele Interessen
Volkswirtschaftsprofessor Jäger betrachtet das derzeitige Konzept der Green Finance, wie es zur Zeit auf dem Finanzmarkt verstanden wird, skeptisch: „Ursprünglich war Green Finance eine Initiative der Banken und des Finanzmarktes als Antwort auf die Krise 2008.“ Durch die Krise erlangte die Bankenwelt einen schlechten Ruf, Anleger zogen sich zurück. „Die Idee zu Green Finance war ein Versuch, zu besserer Reputation zu gelangen und dadurch wieder mehr Gewinn zu machen“, so Jäger. Und das habe funktioniert.


Die derzeitige Green-Finance-Idee basiere auf der Vorstellung, dass Märkte allein für Transformation verantwortlich seien. Es brauche aber staatliche Regulierungen: klare und strikte Umweltregelungen für alle. „Vor 20, 30 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, dass Banken und Finanzmarkt allein dazu beitragen könnten, dass Autos umweltfreundlicher würden oder dass Giftmüll nicht mehr in Flüsse und Seen geworfen würde. Das geschah durch Regelungen und Verbote“, so Jäger.


Auch Irene Monasterolo, Assistenzprofessorin für Klimaökonomie und Finanzen an der Wirtschaftsuniversität Wien, spricht sich für klare Regelungen und Transparenz aus. Ein wichtiger Schritt sei der Entwurf der EU-Taxonomie-Verordnung für nachhaltige Finanzwirtschaft. „Sie definiert klar wirtschaftliche Aktivitäten, die nach wissenschaftlichen Kriterien als nachhaltig gelten“, erklärt Monasterolo. „Nachhaltiges Investment“ soll ein geschützter Begriff und so Green Washing im Finanzbereich bekämpft werden.


Neben der Transformation der Finanzwelt sieht Monasterolo aber vor allem die Notwendigkeit einer Transformation der Wirtschaft hin zu mehr grünen Aktivitäten, wie die Produktion erneuerbarer Energie, elektrischer Transport oder Gebäudesanierung. „Wenn der Anstieg an Green Finance nicht mit einem Zuwachs von grünen Aktivitäten in der Wirtschaft einhergeht, laufen wir Gefahr der Bildung einer ‚Grünen Bubble‘ im Finanzsektor“, warnt Monasterolo.
Die Rolle der Finanzen bei der Erreichung der Klimaschutzziele fand bereits 2015 Eingang in das Pariser Klimaabkommen. Der Grundgedanke, die Hebel des Finanzsystems effizient zu nutzen, um auf diese Weise Gelder und Finanzströme in die Bereiche Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu lenken, würden durch Maßnahmen wie die EU-Taxonomie weiter ausgebaut werden. „Nachhaltige Finanzen sollten von allen Akteuren zu einem neuen Paradigma für die Rolle der Finanz in der Gesellschaft gemacht werden“, wünscht sich Irene Monasterolo.


Dass „Green Finance“ in Zukunft ein großes Thema bleibt, sind sich die Experten einig. „Natürlich dauert es, bis Dinge am Finanzmarkt langfristig wirken“, meint „ESG Plus“-Geschäftsführer Armand Colard. Auch bei der biologischen Landwirtschaft hätte es anfangs noch nicht nach viel Änderung ausgesehen. „Aber wenn viele mitmachen, ändert sich der Zugang zum Kapital am Finanzmarkt und das ist unsere Vision.“ Sein Ausblick auf die kommenden Jahre? „Es wird bestimmt noch spannend.“
Programmpunkte des Europäischen Forum Alpbach rund um die Finanzierung einer nachhaltigen Zukunft:
Intro /Paying it Forward. Now. – 25. August Towards a Post-Carbon Economy: Diverging Perspective – 29. August Financing an Impact Economy -30. August Mondays for Markets -30. August (Re-)building the Economy, Fostering Innovation -30. August
„In zehn bis zwanzig Jahren sollte sich Nachhaltigkeit auch im Bankenbereich etabliert haben.“ Andreas Treichl, Präsident des Europäischen Forum Alpbach.

Von Milena Österreicher

Wiener Zeitung