Quelle: Handelsblatt, 10.08.2021 (S. 005)
Bislang hat US-Präsident Joe Biden nur einen kleinen Teil seiner Nachhaltigkeitsziele anstoßen können.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist eines der größten Versprechen von US-Präsident Joe Biden. „Wir werden uns den drängenden Problemen der Klimakrise endlich stellen“, schwor er zum Amtsantritt. Ein halbes Jahr später wird dem Land der Handlungsbedarf einmal mehr vor Augen geführt: Brände fressen sich durch Kalifornien und Oregon, fast 90 Prozent des Westens leiden unter Dürre. Am Beispiel der größten Industrienation zeigt sich, dass selbst eine Regierung mit ambitionierten Klimazielen schnell an Grenzen stößt. Zwar führte Biden die USA zurück ins Pariser Klimaabkommen, das sein Vorgänger Donald Trump aufgekündigt hatte, und die USA haben sich verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren. Aber in der Praxis lässt die Klima-Revolution auf sich warten.
Grünes Infrastrukturpaket Fundament für Bidens Klimavision ist ein Konzept mit dem Titel „The American Jobs Plan“. Insgesamt will er über vier Jahre zwei Billionen Dollar in den nachhaltigen Umbau von Energiewirtschaft und Industrie pumpen. Der US-Kongress plant, diese Woche ein Infrastrukturpaket auf den Weg zu bringen, das im Kompromiss mit der republikanischen Opposition entstanden ist.
Allerdings wurde das ursprünglich geplante Budget halbiert, viele Elemente wurden gestrichen. Ein sogenannter Clean Energy Standard etwa, der Stromversorger zu erneuerbaren Energien verpflichtet, findet sich in dem Paket nicht. Immerhin sind 73 Milliarden Dollar für Stromnetze vorgesehen, 7,5 Milliarden für Elektroladestationen und sechs Milliarden für Kernreaktoren, die Teil des US-Energiemixes bleiben sollen. Dazu gibt es Investitionen in sauberen Wasserstoff und die Entgiftung von Flüssen, alten Ölquellen und Bergwerken. Das Weiße Haus betont, die Reform sei nur ein erster Schritt – und stellt ein zusätzliches 3,5-Billionen-Dollar-Paket in Aussicht, das viele Klimaversprechen einlösen soll, aber auch zu Steuererhöhungen führen würde. Ein riskantes Unterfangen, denn die Republikaner werden dabei nicht mitmachen, und die Demokraten haben nur sehr knappe Mehrheiten im Kongress.
Elektromobilität Was Biden nicht im Kongress regeln kann, versucht er über Dekrete, denen das Parlament nicht zustimmen muss. So unterschrieb der Präsident eine Verordnung, nach der 50 Prozent der in den USA verkauften Fahrzeuge bis 2030 per Batterie, Brennstoffzelle oder Plug-in-Hybrid angetrieben werden sollen. Der Transportsektor ist die größte Quelle für Treibhausgasemissionen in den USA, nur 2,2 Prozent der verkauften Fahrzeuge sind vollelektrisch. Hinter der E-Offensive steckt auch die Absicht, die USA wettbewerbsfähig zu halten: China ist weltweit führend bei Batterien und Elektrofahrzeugen, das verarbeitende Gewerbe in den USA schrumpft. Aktuell importiert das Land über 50 Prozent der Metalle und Mineralien, die für die Produktion von E-Autos gebraucht werden. Das Biden-Dekret ersetzt aber keine Milliardeninvestitionen – zumal die Verordnung nicht bindend ist. GM, Ford und Stellantis investieren seit Jahren in den Abschied vom Verbrenner und haben zum Teil ehrgeizigere Ziele definiert. Die Branche hofft auf ein größeres Klimapaket, das Steueranreize bietet und den massiven Ausbau des Netzes von Ladestationen vorsieht – derzeit gibt es nur 43.000.
Fossile Energien einschränken Die US-Regierung arbeitet an neuen Emissionsbeschränkungen für die Industrie, die unter Trump gelockert wurden. Biden will sie noch strenger definieren als Barack Obama. Das Hin und Her schafft Unsicherheit: Je nach Regierung können Regeln auf exekutiver Ebene schnell wieder kippen. Ein Dekret vom Jahresbeginn, das Öl- und Gasbohrungen auf bundeseignem Boden einschränken sollte, zeigt bislang keine Wirkung. Die Genehmigungen sind auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten, weil viele fossile Brennstoffreserven seit Langem verpachtet sind. Und jeder Versuch, die Erdölförderung zu begrenzen, könnte die Spritpreise in die Höhe treiben und den Aufschwung gefährden.
Katastrophenschutz Hurrikans, Dürren, Fluten, Feuer, Tornados: Allein im vergangenen Jahr wurden in den USA 22 Naturkatastrophen gezählt, die jeweils über eine Milliarde Dollar an Schäden verursachten. Bei Hitzewellen im Westen und einem Wintereinbruch in Texas starben Hunderte Menschen. Bidens Regierung will mit riesigen Geldsummen das Land gegen Katastrophen wappnen. Ein neuer Fonds über 3,5 Milliarden Dollar wurde vergangene Woche ins Leben gerufen. Die Katastrophenschutzbehörde Fema soll 4,5 Milliarden Dollar zusätzliche Mittel aus dem Infrastrukturpaket erhalten. Für Bidens Regierung geht es auch um Glaubwürdigkeit: Bis zur UN-Klimakonferenz im Herbst will er einen Industriestandard für saubere Energie verabschiedet haben.
von Annett Meiritz
Handelsblatt