Quelle: Die Presse, 18.08.2021 (S. 15)
Klima. Hundert Prozent Ökostrom in neun Jahren sei utopisch, sagt Leonhard Schitter, und will doch alles tun, um das Ziel zu erreichen. Seine Salzburg AG soll sich bis dahin vom Energieversorger in einen Technologiekonzern verwandelt haben.
Wien. Mit Schönfärberei kann der Salzburger Leonhard Schitter nur wenig anfangen: „Wir werden die Ökostromziele bis 2030 nicht erreichen, weil sie einfach nicht zu schaffen sind“, sagt der Chef der landeseigenen Salzburg AG im Gespräch mit der „Presse“. Die politische Vorgabe, die Stromversorgung des Landes innerhalb der nächsten neun Jahre komplett auf erneuerbare Beine zu stellen, hält der Manager zwar für gut und notwendig – doch die Voraussetzungen dafür seien schlichtweg nicht vorhanden. Um den erforderlichen Ausbau von 27 Terawattstunden Ökostrom zu stemmen, müsste alle vier bis fünf Minuten eine neue Solaranlage installiert und alle zweieinhalb Jahre ein neues Wasserkraftwerk in der Dimension des Kraftwerks Freudenau aus dem Boden gestampft werden. Doch die Behördenverfahren dauern (zu) lang und die Österreicher reden zwar gern über erneuerbare Energie, stellen sich aber auch sauberen Kraftwerken noch (zu) oft in den Weg.
Dazu kommen Landespolitiker, die aus Sorge vor dem Unmut mancher Wählerschichten gar nicht erst die notwendigen Flächen freimachen, auf denen Wind- und Solarkraftwerke erbaut werden könnten. So wird es in Salzburg etwa – trotz vorhandener Potenziale – wohl auf absehbare Zeit keine Windkraftprojekte geben. Wirklich befriedigend ist das nicht: „Natürlich würden wir gerne mehr Ökostromkraftwerke bauen“, sagt Schitter. Derzeit errichtet das Unternehmen immerhin einige Biomasse- und Wasserkraftwerke.
Hohe Preise, lange Verfahren
Aber nicht nur Kraftwerke, auch neue Leitungen müssen gebaut werden. Wenn mehr Erneuerbare volatil ins Stromnetz einspeisen, stoße auch das Lastmanagement irgendwann an seine Grenzen, warnt der Firmenchef vor der steigenden Blackout-Gefahr. Ein Gutteil der Netze sei mehr als ein halbes Jahrhundert alt und müsse getauscht werden – und das in nur wenigen Jahren. „Ich hätte gern ein funktionierendes Infrastrukturgesetz, das es ermöglicht, schneller zu bauen“, sagt der 53-Jährige – wohl wissend, dass ein derartiges Gesetz im grünen Infrastrukturministerium derzeit nicht auf der Agenda steht.
Steigt aber die Akzeptanz in der Bevölkerung für grüne Infrastrukturprojekte nicht bald an, wird der erhoffte Ökostromausbau ausbleiben. Leichter wird die Überzeugungsarbeit in den kommenden Monaten nicht werden, denn die Menschen erwarten nicht nur deutlich mehr Kraftwerke in der Landschaft, sie müssen sich auch auf höhere Energierechnungen einstellen. „Der Strompreis muss steigen, das geht gar nicht anders“, sagt Schitter. Der konjunkturelle Höhenflug spiele ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass die Umsetzung der politischen Klimaziele nur über die Elektrifizierung möglich ist. Die enorme Stromnachfrage werde die Kosten ebenso treiben wie der geplante CO2-Preis.
Doch über all diese Themen würde sich der Chef der Salzburg AG am liebsten keine großen Gedanken mehr machen. Denn ein reiner Energieversorger ist sein Unternehmen schon lang nicht mehr. „Wir sehen uns ganz klar als Technologieunternehmen“, sagt Leonhard Schitter bestimmt. Mehr als die Hälfte der 600 Millionen Euro, die das Unternehmen in den kommenden Jahren investieren will, landen nicht in Stromnetzen und grünen Kraftwerken, sondern in Technologie: Die Salzburg AG bringt heute nicht nur Strom, sondern auch Internet, kauft sich in Start-ups ein, baut „smart locker“, berät Firmen bei der Dekarbonisierung, kümmert sich um smarte Vernetzung der Eigenheime ihrer Kunden und erklärt Handelsketten, wie das Wetter wird, damit diese nicht zu viele und nicht zu wenige Wassermelonen einlagern.
Der digitale Bauchladen
Der Wandel des Energiesystems zwingt die alten Energieversorger, ihre Strategie zu überdenken. Manche – etwa der Verbund – stürzen sich voll in die Erzeugung von grünem Strom. Andere – wie die Salzburg AG, aber auch die Wien Energie – suchen ihr Heil in „branchenfremden“ Themen.
Rund um ihren wahren Schatz, den loyalen Kundenstock, bauen diese Landesversorger ihre Produktpalette Schritt für Schritt aus. Bei der Salzburg AG erfolgte der Startschuss für diese Verwandlung vor zwei Jahren, als sich das Unternehmen bei der Versteigerung der 5-G-Frequenzen überraschend gegen manchen Mobilfunker durchsetzen konnte. Die Telekombranche sollte aber nur als Einstieg in die Technologiewelt dienen. Der digitale Bauchladen der Salzburger ist mittlerweile beachtlich.
Keine Angst vor Energiegemeinschaften
Ganz ohne Nebengeräusche geht diese Verwandlung nicht vonstatten: „Nicht alle sind mitgegangen“, räumt Schitter ein. „Aber für uns ist das Thema Green Tech überlebensnotwendig.“ Viele neue Mitarbeiter, die von Telekomfirmen, Roboterbauern und Softwarekonzernen ins Unternehmen gekommen sind, helfen nun, die bestehende Mannschaft für den neuen Weg zu begeistern.
Die Veränderung sei notwendig, um überhaupt noch von selbstbewussten, jungen Tech-Unternehmen als Partner akzeptiert zu werden. Und ohne Kooperation und Know-how von außen werde es nicht gehen, sagt der Firmenchef. Auch neue Mitstreiter am Markt heißt er demonstrativ willkommen. Die Skepsis der Branche bezüglich der neuen Energiegemeinschaften (Gruppen von Privaten, die selbst Ökostrom erzeugen, handeln und tauschen) teilt er nicht. Während viele Versorger um Stabilität der Netze – und um ihre Kunden – fürchten, sieht Leonhard Schitter die Energiegemeinschaften als neue Kunden. „Wenn wir es schaffen, Menschen für Nachhaltigkeit zu begeistern, bin ich der Erste, der ihnen die technischen Möglichkeiten dafür schafft.“
Auf einen Blick
Die Salzburg AG will sich im Zuge der Energiewende von einem klassischen Stromversorger in ein Technologieunternehmen verwandeln. Mit dem Kauf der 5-G-Frequenzen im Jahr 2019 hat der landeseigene Konzern den ersten entscheidenden Schritt in diese Richtung getan. Heute investiert die Salzburg AG Millionen in junge Start-ups, berät Firmen bei der Dekarbonisierung und will sich auch als Partner der neuen Energiegemeinschaften positionieren.
Im Jahr 2020 erzielte die Salzburg AG den Rekordgewinn von 51,2 Mio. Euro. 25,7 Mio. Euro davon werden als Dividende an die Eigentümer Land und Stadt Salzburg sowie Energie AG ausgeschüttet.
von Matthias Auer
Die Presse