Alpbach: Puzzleteile für Energiewende der Industrie

27. August 2021, Alpbach
Industrielle Energiesysteme stehen vor Umbruch
 - Jänschwalde, APA/dpa

Ein Drittel der gesamten Energie in Österreich fließt in die Industrie. Angesichts der Klimaziele geht es bei den Alpbacher Technologiegesprächen im Arbeitskreis „New Energy for Industry“ nicht mehr um die Frage, ob eine Transformation des industriellen Energiesystems notwendig ist, sondern um das Wie. Energieexperte Wolfgang Hribernik vom AIT ist jedenfalls überzeugt: „Die Versorgung der Industrie zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie ist möglich“, sagte er zur APA.

Die Frage nach dem „Wie?“ will die Innovations- und Kooperationsplattform „New Energy for Industry“ ( NEFI ) beantworten, die der Leiter des Center for Energy am Austrian Institute of Technology (AIT), Wolfgang Hribernik, koordiniert. Mehr als 100 Partner aus Industrieunternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlichen Institutionen arbeiten in der bis 2025 laufenden Initiative zusammen. Träger sind neben dem AIT die Montanuniversität Leoben sowie aus Oberösterreich der Energiesparverband und die Standortagentur Business Upper Austria. Die Fördermittel kommen vom Klimaschutzministerium sowie den Ländern Oberösterreich und Steiermark.

2018 als eine von drei „Vorzeigeregionen Energie“ des Klima- und Energiefonds ins Leben gerufen, wollte man anfangs vor allem „Wege aufzeigen, den Industriesektor zu 100 Prozent zu dekarbonisieren“, so Hribernik. „Jetzt sind wir am Weg – mit technologischen Lösungen einerseits und mit systemischen Aspekten etwa im Bereich der regulatorischen Rahmenbedingungen, der Infrastrukturentwicklung oder der Energiemärkte andererseits.“

Vom Wintertourismus bis zur Stahlerzeugung

Die technischen Lösungen werden in NEFI mit einzelnen Forschungs- und Demonstrationsprojekten untermauert. „Sie sollen zeigen, was funktioniert und wie verschiedene Technologien – auch wirtschaftlich – performen.“ In bisher 17 Projekte fließen insgesamt 24,6 Mio. Euro, „typischerweise hebeln diese Mittel noch einmal so viel seitens der Industrie“. Beispiele sind etwa Projekte zur Dekarbonisierung der Wintertourismusbranche durch Digitalisierungstechnologie, die Abwärme-Nutzung einer Molkerei für eine ehemalige Kaserne oder der Ersatz von Gas- durch Oxy-Fuel-Brenner bei der Stahlerzeugung.

„Nicht alle Projekte oder Ansätze seien skalierbar, aber man folge in NEFI einer gewissen Logik mit Innovationsfeldern technologischer und systemischer Art. Diese Puzzlesteine bilden dann als Ganzes den Weg ab, der zu gehen ist“, sagte der Experte. Dabei gehe es auch um Impulssetzung. Aus jedem Demonstrationsprojekt lerne man wissenschaftlich, aber es habe auch viel damit zu tun, die Community zu aktivieren, Erfolgsstorys zu erzählen und an einer gemeinsamen Vision zu arbeiten.

Das Drehen an mehreren Stellschrauben erachtet Hribernik als notwendig für eine 100-prozentige Energietransformation der Industrie: Energieeffizienz sei eine davon. Dabei gebe es Potenziale, die man schon heben könne, etwa die Abwärmenutzung – „das muss man nur tun“. In anderen Bereichen brauche es dafür noch neue Technologien, etwa Wärmepumpen, die für Hochtemperaturprozesse geeignet sind.

Fluktuationen in den Griff bekommen

Um erneuerbare Energien in die Industrie zu integrieren, seien aber nicht nur neue Technologien, sondern auch die entsprechenden Rahmenbedingungen notwendig. Man müsse etwa Fluktuationen im Energieangebot – Stichwort: Windstille – in den Griff bekommen, etwa durch Flexibilität – also zum Beispiel auf Halde zu produzieren, wenn man Energie habe, oder durch Speichertechnologien. Nicht zu vernachlässigen sei auch die Umstellung von Prozessen, denn es gebe ja nicht nur energiebedingte Emissionen. CO2 entsteht auch bei industriellen Prozessen selbst, etwa in der Stahl- oder Zementindustrie.

Zu den systemischen Innovationsfeldern, die in NEFI verfolgt werden, zählen auch regulatorische Rahmenbedingungen. So müssten etwa Energiegemeinschaften über Unternehmensgrenzen hinweg möglich sein. Im kürzlich beschlossenen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) sei dies zwar vorgesehen, allerdings „mit Limitationen: Solche Energiegemeinschaften müssen in einem Netzabschnitt sein – bei Betrieben könnte es aber sein, dass dieses Kriterium nicht erfüllt wird“, so Hribernik.

Wenn Unternehmen solche Energiegemeinschaften eingehen, könnten auch neue Geschäftsmodelle entstehen, die über die bestehenden betrieblichen Aktivitäten hinausgehen. „Energie ist nicht ihr Kerngeschäft und ihre Kernkompetenz, könnte aber eines werden, wenn es etwa darum geht, die Abwärme eines Prozesses zu verkaufen“, sagte Hribernik.

Österreich als Wegbereiter und Frontrunner

International sieht er Österreich als „Pionier“ auf diesem Gebiet. Es biete sich die Chance, „sowohl in der Technologieentwicklung als auch in der Demonstration von Lösungen zum Wegbereiter und Frontrunner zu werden“. Wenn man am Heimmarkt bereits auf Referenzprojekte verweisen könne, helfe das den österreichischen Unternehmen im internationalen Wettbewerb.

Diese internationale Perspektive soll auch beim Arbeitskreis in Alpbach am Freitag eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise das „Mission Innovation Netzwerk“, eine globale Initiative aus 22 Ländern – darunter Österreich -, der Europäischen Kommission und Industrievertretern, die sich das Ziel gesetzt hat, den Klimawandel zu bekämpfen, die Entwicklung sauberer Energietechnologien voranzutreiben und die Mittel dafür deutlich zu erhöhen.

Eine Voraussetzung, um Innovationen im industriellen Energiesystem zu etablieren, ist für Hribernik, dass das „mit bestehenden oder anstehenden Reinvestitionszyklen zusammenpasst“. Man könne jederzeit und kontinuierlich neue Photovoltaikanlagen bauen, aber „ich kann nicht von heute auf morgen einen Hochofen austauschen“. Änderungen müssten wirtschaftlich darstellbar sein und mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einhergehen – „das ist ein explizites Designkriterium“.

APA

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