Eine Londoner Firma montiert Solarmodule auf Bahnschwellen
Das Londoner Unternehmen Bankset will das Schienennetz der Deutschen Bahn mit Solarmodulen pflastern – und damit so viel Elektrizität erzeugen wie mehrere Kernkraftwerke.
Tief in Sachsen, auf einem entlegenen Gleis in der Nähe eines stillgelegten Bahnhofs, wird gerade an der Revolution geschraubt. Die Londoner Firma Bankset hat dort auf einer Teststrecke 38 Solarmodule auf Bahnschwellen montiert. Täglich donnern Züge mit 50 bis 100 Kilometern pro Stunde darüber hinweg. Einmal, Mitte Januar, ruckelte ein Schneepflug das Gleis entlang.
Bankset-Chef Patrick Buri lässt die Tests unter der Aufsicht von Deutsche-Bahn-Ingenieuren durchführen. Sie sollen den Beweis erbringen, dass die Solarkonstruktion sicher ist. Dass sie sich nicht ablöst und Züge entgleisen lässt.
Ob die Technik bald eingesetzt wird – und wenn ja: in welchem Umfang -, könnte sich noch im September entscheiden, dann will Buri Managern der Deutschen Bahn erste Ergebnisse präsentieren. Es geht um ein Milliardengeschäft – und um einen ungewöhnlichen Lösungsansatz für ein zentrales Dilemma der CO2-Wende.
Deutschland hat, wie viele EU-Staaten, ein Platzproblem bei der Umsteuerung hin zu einer klimafreundlichen Energiepolitik. Um die Stromversorgung komplett CO2-frei zu machen, müssten knapp 1,2 bis 2,3 Prozent der EU-Fläche mit Wind- und Solaranlagen bestückt werden, je nach Priorisierung der Anlagen. Das hat das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung berechnet.
Hinzu kommen Zigtausende Kilometer neuer Stromleitungen. Ein solch massiver Ausbau scheint nur schwer umsetzbar, Anwohner laufen gegen viele Projekte Sturm.
Das Charmante an Buris Bahnschwellenidee ist: Die Solarmodule würden nur Flächen beanspruchen, die bereits bebaut sind. Zudem lassen sie sich am Gleis entlang mit dünnen Kabeln zusammenstecken – was zusätzliche Stromtrassen überflüssig macht. Die Elektrizität kann direkt in die Bahnoberleitungen fließen und fast ohne Übertragungsverluste verbraucht werden. Alternativ kann der Schwellenstrom ins örtliche Verteilnetz gespeist oder in Batterien gespeichert werden.
Die potenzielle Energieausbeute ist laut Buri gewaltig: 1000 Kilometer Solarschwellen könnten rund 100 Megawatt erzeugen, schätzt er. Bei 60 969 Kilometern an Gleisen allein im deutschen DB-Netz kommt man rechnerisch auf die Leistung von gut fünf Atomkraftwerken. Die ersten 1000 Kilometer könne er binnen vier Monaten liefern, verspricht der Manager. Die Bahn habe bereits erste Bestellungen aufgegeben.
Der Konzern selbst äußert sich zurückhaltender. Man habe Bankset Gleise und Anlagen zur Verfügung gestellt, um die Technologie unter realen Bedingungen zu testen. Ob die Technik später im großen Stil eingesetzt werde, sei noch unklar. Generell habe man großes Interesse an Technologien zur CO2-Reduktion. Schließlich wolle die Bahn spätestens 2040 klimaneutral sein.
Ulrich Maschek von der Technischen Universität Dresden hält die Solarschwellen für eine gute Idee. „Man braucht allerdings einen langen Atem, um alle nötigen Zulassungen zu bekommen“, sagt der Verkehrswissenschaftler, der die Teststrecke besichtigt hat. Die Sicherheitsanforderungen für Installationen im Gleis seien zu Recht streng. Bei sogenannten Balisen, die Informationen an vorbeifahrende Züge übertragen und die ebenfalls auf Schwellen montiert werden, werde im Labor sogar simuliert, ob sie sich lösen könnten, falls im Winter Eis von einem Fahrzeug auf sie geschleudert würde.
„Die Belastungen im Gleisbett sind teils extrem“, sagt Maschek. „Es wäre besser, zunächst nur auf Streckenabschnitten, auf denen Züge eher langsam fahren, Solarmodule zu installieren. Potenziale gibt es genug.“ Buri indes beteuert, seine Module hätten denselben Sicherheitsstandard wie Balisen und seien selbst bei Zuggeschwindigkeiten von bis zu 280 Kilometern pro Stunde sicher.
Die zweite große Unbekannte in Banksets Geschäftsmodell ist der Verschleiß. Laut Maschek könnte sich Bremsstaub auf die Module legen. Zudem sollten die Solarpaneele den regelmäßigen Wartungsarbeiten am Gleisbett standhalten, ohne jedes Mal abmontiert werden zu müssen. „Der Härtetest dürften große Maschinen sein, die alle paar Jahre mit sogenannten Stopfpickeln den Schotter im Gleisbett verdichten.“
Buri behauptet, seine Solarschwellen seien 30 Prozent kosteneffizienter als herkömmliche Dachanlagen. Die Montage sei simpel, und für die Wartung stünden spezielle Roboterfahrzeuge bereit, die die Paneele bei Bedarf abspülten. Er will bald Millionen Module installieren, und das nicht nur in Deutschland. In der Schweiz gebe es ebenfalls eine Teststrecke. Auch aus Indien, Australien, Japan, Malaysia und Singapur habe er schon Anfragen erhalten.
60 969 Kilometer an Gleisen umfasst das Netz der Deutschen Bahn – genug Platz für Solarmodule mit einer Leistung von rund fünf Atommeilern.
Quelle: Deutsche Bahn
Der Spiegel