Eine Notbremse gegen die Erderwärmung

16. September 2021, Wien

Umwelt. Der Kampf gegen den Klimawandel lahmt. Statt sich weiter nur auf CO2 zu konzentrieren, nehmen Europa und die USA nun das vergessene Treibhausgas Methan ins Visier – und hoffen auf schnellere Erfolge.

Wenn sich die Welt Anfang November zur 26. Klimakonferenz in Glasgow trifft, stehen die Chancen auf eine rasche Ernüchterung leider gut. Denn selbst wenn alle Staaten deutlich mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) vermeiden, als sie bisher versprechen, wird es nicht reichen, um das angestrebte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, warnt der Weltklimarat IPCC. Der Kampf gegen die Erderwärmung ist zwar inzwischen im Mainstream angekommen, er geht aber dennoch nur schleppend voran.


Um die Erhitzung einzudämmen, dürfe sich die Politik nicht zu sehr auf die Reduktion von CO2 versteifen, sondern müsse verstärkt die Emission anderer Treibhausgase senken, empfahlen die Wissenschaftler. Die besten Chancen biete Methan (CH4), das in großem Stil etwa in der Landwirtschaft entsteht. Als Treibhausgas ist es deutlich aggressiver als CO2 – dafür zumindest theoretisch einfacher zu kontrollieren. Europa und die USA fangen damit schon einmal an.


Moore, Gas und Kühe
Unter Klimaforschern ist klar, dass Kohlendioxid auch weiter die Hauptrolle spielen wird. Doch Methan ist für ein Viertel der globalen Erwärmung verantwortlich – und eignet sich aus Sicht der Wissenschaft gut als Notbremse gegen den Klimawandel. Das farblose Gas entsteht einerseits auf natürlichem Weg, etwa in Sümpfen und Mooren. Mindestens die Hälfte der 600 Millionen Tonnen Methan, die jährlich emittiert werden, sind aber vom Menschen verursacht. Sie entstehen beim Kohleabbau, beim Gastransport, auf Mülldeponien oder in der Landwirtschaft (siehe Grafik). Allein das Rülpsen von Wiederkäuern wie Rindern und Schafen ist für ein Drittel der menschgemachten CH4-Emissionen verantwortlich.


Einmal in der Atmosphäre, richtet das Gas in den ersten zwanzig Jahren 80 Mal so viel Schaden an wie CO2. Doch Methan hat auch einen Vorteil: Es verschwindet schnell aus der Atmosphäre. Nach gut zehn Jahren ist es abgebaut. Kohlendioxid hält sich über hundert Jahre. Forscher sehen darin die große Chance: Während sich ein geringerer CO2-Ausstoß erst Jahrzehnte später bemerkbar macht, lässt sich die Methankonzentration viel schneller nach unten drücken.


Paris hat sich verschätzt
All das ist schon lang bekannt. Warum aber konzentrieren sich die Klimaschützer und Politiker weiter so stark auf CO2? Wurde Methan beim Klimaabkommen von Paris außer Acht gelassen? Nicht unbedingt. Aber die Verhandler haben sich vor sechs Jahren schlichtweg verschätzt. Sie gingen davon aus, dass die Methanemissionen durch die Änderung der Energiewirtschaft automatisch sinken würden. Tatsächlich steigen sie seit 2007 steil an und haben im Vorjahr einen neuen Rekordwert erreicht. China ist aufgrund der starken Kohleproduktion der größte Emittent. Aber auch in allen anderen Weltregionen (mit Ausnahme von Europa) ging der Trend nach oben. Österreich konnte seine Methanemissionen zwischen 1990 und 2018 immerhin um 38 Prozent senken.


Etwas Ähnliches wollen Europa und die USA in den kommenden neun Jahren nun gemeinsam schaffen. Bis 2030 soll der Methanausstoß um ein Drittel niedriger sein als im Jahr 2020, heißt es in einer Vereinbarung, die noch diese Woche öffentlich unterzeichnet werden soll. Rechtzeitig vor der Klimakonferenz in Glasgow schlagen die beiden Weltmächte also erste thematische Pflöcke für die kommenden Jahre im Klimaschutz ein. Ziel wird es sein, in Glasgow möglichst viele Staaten zu überzeugen, sich ebenfalls der „Global Methane Pledge“ anzuschließen.

Simple Lösungen
Bleibt die Frage, wie CH4-Emissionen rasch verringert werden können, ohne ähnlich lähmende Widerstände wie bei der Reduktion von CO2 heraufzubeschwören. Der Verzicht auf Milch und Fleisch wird abseits des reichen Westens auf ähnlich wenig Begeisterung stoßen wie der Plan, bald Benzin- und Dieselautos oder Gasthermen zu verbieten.
Dass es bei Methan dennoch einfacher gehen könnte, hat einen simplen Grund: Methan ist wertvoll. Man kann damit Auto fahren, heizen und vieles mehr. „Wir wollen Methan verkaufen, nicht verlieren“, sagte der neue OMV-Chef Alfred Stern, angesprochen auf Methanlecks bei seiner Raffinerie in Rumänien. Strikte Regularien und wirtschaftliche Logik könnten einiges bewegen. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass 75 Prozent aller Methanemissionen im Öl- und Gassektor mit heutigen Technologien vermeidbar wären, 40 Prozent sogar ohne zusätzliche Kosten. Auch Kühe emittieren weniger, wenn man etwa Algen in ihr Futter mischt. All das wird die Emissionen nicht auf null drücken. Aber es wird eine sichtbare Reduktion bringen, die politisch verkraftbar ist – und dem Klima rasch hilft.

von Matthias Auer

Die Presse