„Wir müssen unser Tempo verdreifachen“

22. September 2021

Der EnBW-Chef sieht Deutschland bei der Energiewende in Verzug. Der Energiekonzern wird laut Mastiaux sein Portfolio an Wind- und Solaranlagen in den kommenden fünf Jahren verdoppeln – und Wasserstoff in seine Gasleitungen bringen.

Früher – vor den Beschlüssen zu At om- und Kohleausstieg – schauten die Energiemanager Bundestagswahlen ängstlich entgegen. Jetzt fordert EnBW-Chef Frank Mastiaux von der kommenden Bundesregierung schon im Vorfeld mehr Tempo bei der Energiewende ein – egal in welcher Konstellation. Der Energiekonzern selbst will schließlich massiv investieren – in erneuerbare Energien, Elektromobilität und Wasserstoff.

Herr Mastiaux, die Bundestagswahl ist so spannend wie lange nicht. Es sind die unterschiedlichsten Koalitionen möglich. Ist das für Ihr Unternehmen und Ihre Branche eine Richtungswahl?

Leider wird in diesem Wahlkampf mehr über den Wahlkampf an sich als über die Inhalte diskutiert. Dabei sind doch die Themen, um die sich die nächste Regierung vorrangig kümmern muss, klar. Das ist das Thema Klimaschutz und, was unsere Aktivitäten angeht, vor allem Energie, Mobilität und Wärme. Das ist ferner das Thema Digitalisierung. Und es geht darum, wie man beides so hinbekommt, dass unsere Wirtschaft im doppelten Sinne nachhaltig wächst. Die Themen sind für mich gesetzt, egal welche Regierung das Ruder übernimmt. Entscheidend für uns als Unternehmen ist dabei, wie ernsthaft und zügig diese Themen angepackt werden.

Früher hat doch gerade die Energiebranche gespannt auf den Ausgang der Wahlen geschaut, da ging es um so zentrale Fragen Atom- und Kohleausstieg. Ist es für EnBW denn völlig egal, ob Scholz oder Laschet Kanzler oder Baerbock Kanzlerin wird?

Nein, egal ist das natürlich nicht. Jeder wird die Dinge anders anpacken. Die Parteien haben da ja sehr unterschiedliche Blickwinkel. Für uns ist aber die Umsetzung der zuvor genannten Themen zentral. Wir brauchen verbindliche und verlässliche Aussagen – und eine entschlossene, handlungsfähige Regierung.

Selbst Rot-Grün-Rot ist eine Option. Hätten Sie Probleme bei einer Regierungsbeteiligung der Linken?

Die für uns wichtigen Themen sind so dominant, dass keine Regierung daran vorbeikommt und wir mit jeder Regierungskonstellation vernünftig arbeiten können würden. Wir setzen uns doch jetzt schon eng mit den unterschiedlichsten Sichtweisen auseinander, denn wir sind auf Landesebene, im Bund und auf kommunaler Ebene im Austausch. EnBW ist sehr geübt darin, mit unterschiedlichen Sichtweisen konstruktiv umzugehen.

Muss die nächste Regierung in Sachen Klimaschutz das Tempo verschärfen?

Es geht nicht mehr darum, neue Ziele zu definieren. Wir wissen relativ genau, wie viel Wind- und Solarenergie es braucht, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Im neuen Bericht des Weltklimarates steht sehr klar drin, was jetzt passieren muss. Die Herausforderung ist nicht, dass wir mehr machen müssen, sondern, dass wir endlich verbindlich und konsequent umsetzen.

Was konkret muss getan werden?

Wenn wir in Deutschland den nötigen Zubau von Wind onshore und offshore sowie bei Solar schaffen wollen, müssen wir unser Tempo mindestens verdreifachen. In den vergangenen Jahren lagen wir deutlich hinter dem zurück, was eigentlich nötig wäre. Wir haben also bis 2030 de facto nun neun Jahre Zeit, um einen jetzt schon erheblichen Rückstand aufzuholen. Das können wir nur schaffen, wenn Genehmigungsverfahren effizienter werden, wir beim Ausbau onshore mehr Flächen ausgewiesen bekommen und so die Rahmenbedingungen für die Planung und den Bau erneuerbarer Anlagen insgesamt wieder verlässlich werden.

EnBW selbst positioniert sich als nachhaltiges Unternehmen. Dabei werden mehr als 60 Prozent der installierten Leistung noch mit fossilen Energien betrieben. Ist das nicht Augenwischerei?

Nein. Neun unserer Kohlekraftwerke arbeiten nur noch in der Reserve-Kraftwerksverordnung. Wir wollten sie stilllegen, durften es aber nicht. Und unsere Kapazitäten in der Windenergie haben wir seit 2012 verneunfacht. Ich sehe keinen Wettbewerber, der in derselben Zeit mehr gemacht hätte, weder beim freiwilligen Abschalten von Kohlekraftwerken noch beim Ausbau von Erneuerbaren. Wir haben zudem für jeden Kohlestandort ein Konzept, wie wir ihn zuerst auf Gas umstellen können und dann auf Wasserstoff oder biogene Brennstoffe. Können wir das theoretisch noch beschleunigen? Vielleicht. Aber Augenwischerei ist das mit Verlaub nicht.

EnBW will 2035 klimaneutral sein. Sechs Kohlekraftwerke sind aktuell noch im Portfolio. Im Einklang mit den Pariser Klimazielen von 1,5 Grad ist das nicht. Wie wollen Sie das beheben?

Der Ergebnisanteil der fossilen Energieträger an unserer Stromerzeugung liegt nur noch bei 15 Prozent, wir waren zu Beginn des Umbaus bei mehr als 60 Prozent. Und wir selbst müssten die restlichen Kraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen nicht zwingend am Netz lassen. Sie werden aber noch für eine sichere Strom- und Fernwärmeversorgung gebraucht.

Wann wird das letzte EnBW-Kohlekraftwerk vom Netz gehen?

Wir sind bereit, jedes einzelne Kraftwerk, das wir selbst besitzen, zügig auf andere Brennstoffe umzustellen. Unter den richtigen Voraussetzungen könnte das theoretisch sogar bis 2030 passieren. Noch gibt es aber Vorgaben und Bedingungen, die das nicht erlauben. Ich gehe aber davon aus, dass diese noch mal hinterfragt werden.

Und wie kommen Sie beim Ausbau der Erneuerbaren voran?

Wir werden unser Portfolio an Erneuerbaren in den nächsten fünf Jahren noch einmal verdoppeln. Wir sind neben Deutschland auch in Großbritannien, den USA und Taiwan unterwegs, sowie in der Türkei, Skandinavien und Frankreich.

Werden Sie sich mehr auf Solar- oder Windenergie konzentrieren?

Auf beides. Wir machen das von den Entwicklungen abhängig, vom Markt, von der Wirtschaftlichkeit und dem, was finanziell sinnvoll ist. Wir investieren ja auch gleichzeitig in Netze, Elektromobilität und Telekommunikation.
Bei Offshore-Windparks arbeitet EnBW bei mehreren Projekten mit dem Ölkonzern BP zusammen, zum Beispiel in Großbritannien. Warum?

Wir ergänzen uns sehr gut. EnBW hat über die Jahre viel Erfahrung bei Entwicklung, Bau und Betrieb von großen Windparks gesammelt. BP wiederum bringt ein großes energiewirtschaftliches Know-how über die weltweiten Energiemärkte, vor allem über den Heimatmarkt Großbritannien mit seiner komplexen Regulierung mit. Und viel Erfahrung im Offshore-Bereich bei Ölplattformen. Wir stehen uns also nicht auf den Füßen, sondern ergänzen uns gegenseitig. Das Kapital von BP ist es jedenfalls nicht allein. Da bringen wir gleichviel mit.

Ölkonzerne suchen Alternativen und müssen in erneuerbare Energien investieren. Es wird über Übernahmen von Energiekonzernen spekuliert – beispielsweise RWE gilt als Kandidat. Rechnen Sie mit solchen Deals?

Grundsätzlich glaube ich, dass es weiterhin Konsolidierungen geben könnte. Denn in der Energiebranche haben Übernahmen bei Veränderungen des Marktes Tradition. Es würde mich nicht überraschen, wenn sich die Ölunternehmen die Konzerne im Strombereich genauer anschauen.

Welche Rolle wird Wasserstoff künftig spielen?

Ich glaube, dass Wasserstoff im Energiemarkt in einigen Jahren eine fundamental wichtige Rolle spielen wird. Rein technisch ist es nicht der idealste Energieträger, aber ohne Wasserstoff werden wir das CO2 – Problem nicht lösen. Es wird aber mindestens noch eine Dekade dauern, bis Wasserstoff eine wichtige Rolle spielt. Das liegt einmal am Preisgefüge. Grüner Wasserstoff ist wesentlich teurer als Wasserstoff aus anderen Quellen. Das muss technologisch aufgeholt werden. Es gibt zudem noch keine ausreichende Infrastruktur, und es gibt noch keinen Markt.

Und welche Rolle spielt das Thema in der EnBW-Strategie?

Wir selbst sehen uns im Gasgeschäft vor allem, aber nicht nur mit unserer Tochtergesellschaft VNG gut positioniert. Schon heute können wir durch die Leitungen der VNG zehn Prozent Wasserstoff transportieren, und das werden wir schrittweise erhöhen. EnBW wird in den kommenden zehn Jahren das Gas-Engagement zum Wasserstoff-Engagement umbauen. Jedes Kohlekraftwerk, das wir auf Gas umstellen, können wir später auf Wasserstoff umstellen. Wir halten das für ein fundamental wichtiges Geschäftsfeld, aber eben nicht in den nächsten drei bis fünf Jahren.

Wird sich damit dann auch Geld verdienen lassen?

Das wird schneller gehen, als viele denken. Als wir mit Solarenergie angefangen haben, kostete ein Watt 3,70 Euro. Jetzt, 15 Jahre später, sind wir bei einem Zehntel. Es brauchte etwas mehr als eine Dekade, aber ich bin mir sicher: Auch grüner Wasserstoff wird wirtschaftlich.

Ein großes Engagement hat EnBW auch bei der Elektromobilität. Beim Betrieb von Schnellladesäulen ist EnBW in Deutschland die Nummer eins. Aber Geld verdienen Sie damit noch nicht, oder?

Heute wird mit der Anzahl der Fahrzeuge und der Ladevorgänge noch nicht das Volumen erreicht, um das Ganze wirtschaftlich zu betreiben. Aber es geht jetzt ja auch eher darum, schnell zu sein, und die attraktivsten Standorte zu besetzen. Die Frage der Wirtschaftlichkeit wird vom Standort der Ladesäule abhängen. Wir investieren seit Jahren kräftig, weil wir frühzeitig gute Standorte wie zum Beispiel an Autobahnraststätten und an Großmärkten besetzen wollten. Ab Mitte der Dekade, wenn die Fahrzeugzahlen und die Ladevorgänge ein deutlich höheres Niveau erreicht haben, werden wir damit auch Geld verdienen.

Sie haben vor Kurzem überraschend früh angekündigt, Ihren Vertrag, der im Herbst 2022 ausläuft, nicht zu verlängern. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Ich habe eine persönliche Entscheidung getroffen, die etwas mit meiner Lebensplanung zu tun hat. Ich wollte nach knapp zehn Jahren etwas anderes machen, für mich neue Dinge tun und lernen. Und ich habe nicht den Eindruck, dass ich hier eine halbe Sache hinterlasse. Ich schaue schon mit einem gewissen Stolz darauf, wie das EnBW-Team Herausforderungen meistert. Alleine auf die Pandemie hat die EnBW sehr souverän reagiert. Das Unternehmen ist inzwischen sehr veränderungsfähig, und das gibt mir ein gutes Gefühl.

Und werden Sie wieder einen großen CEO-Posten übernehmen?

Ich bin jetzt CEO bei EnBW, und das hat für mich auch Priorität bis zum letzten Tag. Was danach kommt, werde ich mir in Ruhe überlegen. Es wird mir bestimmt nicht langweilig, da bin ich sicher. Aber noch einmal der CEO-Posten eines großen Unternehmens – ist nicht mein Ziel.

Herr Mastiaux, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Kathrin Witsch und Jürgen Flauger .

Frank Mastiaux: Der EnBW-Chef fordert in Sachen Klimaschutz entschiedeneres politisches Handeln.
Windkraftanlagen: EnBW will das Portfolio an Erneuerbaren in den nächsten fünf Jahren verdoppeln.

ZITATE FAKTEN MEINUNGEN

Ich glaube, dass Wasserstoff im Energiemarkt in einigen Jahren eine fundamental wichtige Rolle spielen wird.
Vita Der Manager Der EnBW-Chef hat in seiner Karriere schon so einige Wechsel hinter sich. Die größte Veränderung dürfte der Wechsel von Aral bzw. dem Ölkonzern BP sein, von dem Mastiaux 2007 zu dem Energieversorger Eon wechselte, wo er das Geschäft mit den erneuerbaren Energien ausbaute. Erst 2012 ging er als CEO zu dem baden-württembergischen Konkurrenten EnBW. Der Mensch Geboren in Essen, studierte der heute 57-Jährige Chemie in Bochum und Duisburg, wo er anschließend noch seinen Doktortitel erwarb. Nach fast 30 Jahren in der Industrie, will er im Herbst 2022 sein Amt als EnBW-Chef niederlegen. Was danach kommt, will Mastiaux noch nicht verraten.

Handelsblatt

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