Der Bremseffekt, den die Coronakrise auf den CO2-Ausstoß hatte, ist bereits vollständig verpufft. Gingen die Emissionen in Österreich im Jahr 2020 um geschätzte acht Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 zurück, gibt es heuer wieder ein Plus von neun Prozent gegenüber 2020, so neue Berechnungen des Klimawissenschafters Gottfried Kirchengast. Seitens der Politik wurden erneut keine strukturellen Weichen gestellt, um eine Reduktion anzustoßen, hieß es am Freitag.
In das in Abstimmung befindliche Klimaschutzrahmengesetz bis zum Jahr 2030 setzt der Wissenschafter vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz Hoffnungen. Es scheine aber so, dass dieses momentan politisch „hin und her geschoben“ werde. „Hier ist die ganze Regierung gefordert, dieses Klimakabinett zu bilden“, sagte Kirchengast bei einem Pressegespräch der Initiative „Scientists For Future“ anlässlich des heutigen Klimastreiks. Die Versäumnisse ortet der Forscher vor allem im Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium sowie auch im durchaus „sehr fleißigen“ Klimaschutzministerium. Es scheine, als sei auch die türkis-grüne Regierung in einer Art „Dysfunktion in der Führungsebene des Landes“ gefangen. Hier fehle „Leadership“ im „besorgniserregenden“ Ausmaß, betonte Kirchengast.
Nutzung fossiler Ressourcen weiterhin gefördert
Dass der „Coronajahr-Einmalausreißer“ sich nicht wiederholen wird, liege daran, dass immer noch die Nutzung fossiler Ressourcen vor allem in der Mobilität oder der Industrieproduktion „strukturell durch staatliche Investitionen der Republik“ gefördert wird. „Hier möchte ich wirklich ganz harte Kritik üben“, sagte Kirchengast: „Da kann man nicht die Konsumentinnen und Konsumenten um bessere Lebensstile ersuchen. Für diese Rahmensetzungen ist einfach unsere Regierung in die Verantwortung zu nehmen.“ Um das aufzuzeigen, leiste die „Fridays for Future“-Bewegung einen großen „Dienst an der Gesellschaft“.
Es brauche die ökologische und soziale Steuerreform dringend, so auch die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Im Zentrum davon müsse ein Preis von mindestens 100 Euro pro Tonne CO2 ab dem Jahr 2022 stehen. Das sei das Mindeste, was man sich von einem Klimaschutzgesetz erwarten könne. Eine größere Veränderung „geht nicht nur über Lebensstiländerungen“, sagte Winiwarter.
So müssten öffentliche Subventionen in das „fossile System“ zurückgefahren, neue Verkehrskonzepte wirklich auf den Weg gebracht und die Kreislaufwirtschaft forciert werden, betonte Kirchengast. Neben dem CO2-Preis ab kommendem Jahr brauche es ein Auslaufen der Zulassungen für fossilbetriebene Fahrzeuge ab 2030 bzw. sollten ab 2024 keine öffentlichen Förderungen mehr an Unternehmen vergeben werden, die „nicht nach Carbonmanagement-Standards aufgestellt ist“.
Flüge und Autofahrten reduzieren
Aufseiten der Verbraucher könne man dem CO2-Sparen auch selbst auf die Sprünge helfen – etwa mit dem Einstellen der Vielfliegerei oder dem exzessiven Autofahren. So schaffe man als Gesellschaft zumindest einmal eine Reduktion von zehn oder 20 Prozent, zeigten sich die Forscher überzeugt.
Daran, dass der Mensch Verursacher von klimatischen Verwerfungen ist, gebe es heutzutage wissenschaftlich nichts mehr zu rütteln“, sagte Winiwarter: „Der Zweifel ist keine wissenschaftlich haltbare Position mehr.“ Es gebe harte Daten, dass sich sogar die Tiefsee aufheizt. So weit in die Tiefe müsse man aber bei weitem nicht blicken: Hierzulande ließen sich die Veränderungen an den wärmer werdenden Nächten spürbar ablesen. Das „treibt mich auf die Straße“, sagte die Umwelthistorikerin.
Klar sei auch, dass der Klimawandel in Österreich stark durchschlage. Die Temperaturerhöhungen fielen hierzulande bis zu doppelt so hoch aus, wie im weltweiten Mittel, so Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Die Geschwindigkeit der Veränderung sei so schnell wie noch nie, so der Mitautor des „IPCC-Sonderberichts 1,5 Grad Celsius“.
Vom Erreichen dieses Ziels der Begrenzung der Temperaturzunahme auf 1,5 oder zwei Grad Celsius sei die Weltgemeinschaft leider weit weg, legte die langjährige Leiterin des Sekretariats des Weltklimarats (IPCC), Renate Christ, dar. Selbst wenn Staaten ihren eigenen Verpflichtungen aus Klimaabkommen zum Senken des CO2-Ausstoßes nachkämen, lande man eher bei einem Plus von knapp unter oder über drei Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Man müsse festhalten: „Alle Zahlen zeigen nach oben.“ Österreich habe in den vergangenen Jahrzehnten sehr zögerlich agiert und müsse jetzt ganz klare Maßnahmen setzen. Letztlich habe aber auch die Wissenschaft „die Pflicht, vorauszugehen“, sagte die Vernetzungsbeauftragte der „Scientists for Future“ an der Uni Salzburg, Lara Leik.
Service: https://at.scientists4future.org/
APA