Eigentlich soll der Handel mit CO2 – Zertifikaten das Geschäft der großen Kohlendioxidemittenten teurer machen. Tatsächlich aber sind ausgerechnet große deutsche Klimasünder von den steigenden CO2 – Preisen kaum betroffen: Neben Kohleverstromer RWE haben sich unter anderem auch Stahlkonzerne mit Gegengeschäften für den Fall steigender CO2 – Preise abgesichert. Die Salzgitter AG hat dank umfangreichen Hedgings das Risiko für das gesamte Jahrzehnt bis 2030 im Griff. Thyssen-Krupp war weniger vorausschauend – das könnte für den Stahlkonzern teuer werden.
Clevere Klimasünder
Wie der Energieversorger RWE hat auch der Stahlkonzern Salzgitter das CO2 – Risiko bis 2030 im Griff. Konkurrent Thyssen-Krupp war weniger vorsichtig – das dürfte sich rächen.
Eigentlich hat der Handel mit CO2 – Zertifikaten die größten Klimasünder im Visier. Die aktuelle Preisrally sollte das Geschäft der großen Kohlendioxidemittenten deutlich erschweren. Tatsächlich verpufft der Effekt in drastischen Fällen aber: Neben Kohleverstromern haben sich nach Informationen des Handelsblatts unter anderem auch Stahlkonzerne üppig gegen steigende CO2 – Preise abgesichert.
Genau wie der Energieversorger RWE hat sich beispielsweise der Stahlhersteller Salzgitter mit Handelsgeschäften bis 2030 gegen das Risiko abgesichert, wie ein Unternehmenssprecher bestätigte. Dem aktuellen Anstieg des CO2 – Preises kann Salzgitter deshalb gelassen entgegensehen.
Dabei ist die Entwicklung am CO2 – Markt seit Monaten dramatisch. Aktuell kostet ein Zertifikat, das zur Emission einer Tonne CO2 berechtigt, mehr als 60 Euro. 2020 waren es im Schnitt nur 25 Euro. Alle Experten rechnen mit dauerhaft hohen, vermutlich sogar noch deutlich steigenden Notierungen, schließlich steht der Klimaschutz ganz oben auf der politischen Agenda. Salzgitter dürfte sich laut Branchenkreisen allerdings schon vor Jahren mit Zertifikaten eingedeckt haben, als der Preis noch bei wenigen Euro je Tonne dümpelte.
Klimaschützer reagieren verärgert auf das sogenannte CO2 – Hedging der großen Klimasünder. Sie sehen die Grundidee des europaweiten Emissionshandels, des Emission Trading System (ETS), schlichtweg ausgehebelt. „Das ist ein strukturelles Problem und ein Zeichen dafür, dass das ETS-System diese Altlast an übermäßigen CO2 – Zertifikaten hat“, sagte Mauricio Vargas, Wirtschaftsexperte bei Greenpeace: „Das steht natürlich entgegen den politisch gewollten Reduktionspfaden.“
Der Handel mit Emissionsrechten wurde 2005 in der Europäischen Union eingeführt, um den Klimaschutz mit einem wirtschaftlichen Anreiz zu verbinden. Seitdem benötigen Unternehmen für jede Tonne an CO2 , die sie ausstoßen, ein Zertifikat, das gehandelt werden kann. Während die Zertifikate anfangs noch üppig und zum großen Teil kostenlos zugeteilt wurden, werden sie zunehmend verknappt. Die Preise, die noch vor drei Jahren auf Tiefständen waren, ziehen entsprechend an.
Aber gerade große Emittenten haben offenbar ihr Know-how im Handel genutzt, um sich vorausschauend zu Tiefstpreisen langfristig einzudecken. Greenpeace-Experte Vargas sieht eine „massive Überversorgung von Zertifikaten“ mit der Konsequenz, „dass ein hoher CO2 – Preis nicht automatisch dazu führt, dass die großen Emittenten jetzt mehr zahlen müssen und damit einen Anreiz hätten, weniger CO2 ausstoßen.“
Dabei ist der CO2 – Preis für Unternehmen aus energieintensiven Branchen wie der Stahlindustrie eigentlich eines der größten finanziellen Risiken. Die Branche ist in Deutschland mit rund 40,4 Millionen Tonnen CO2 allein für knapp fünf Prozent der deutschen Gesamtemissionen verantwortlich.
Lange konnte sie sich auf die kostenlose Zuteilung der benötigten Zertifikate verlassen. Doch in der laufenden vierten Handelsperiode wurde der Anteil der frei zugeteilten Zertifikate für die energieintensive Industrie auf 80 Prozent der produktionsbedingten Emissionen verknappt. Seither entwickelt sich der ETS-Handel zu einem ernst zu nehmenden Kostenfaktor.
Bei aktuellen Preisen von 62 Euro je Tonne CO2 würde das für die Stahlhersteller in Deutschland theoretisch eine Mehrbelastung von 500 Millionen Euro pro Jahr mit sich bringen – wenn sie sich nicht abgesichert haben. Und das Risiko dürfte noch weiter zunehmen. Denn bislang ist das ETS noch nicht auf die neuen EU-Klimaziele ausgelegt, die eine Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft bis 2045 vorsehen.
Die Salzgitter AG hat mit dem umfangreichen Hedging das Risiko aber für das gesamte Jahrzehnt abgesichert „Da wir vorsorglich CO2 – Zertifikate erworben haben, dürfte die geschätzte mittelfristige Unterdeckung nach Zuteilung für die dem Emissionshandel unterfallenden Tochtergesellschaften der Salzgitter AG überwiegend kompensiert werden“, heißt es nüchtern im Jahresabschluss 2020.
Dahinter verbirgt sich aber eine Glanzleistung der konzerneigenen Händler. Und nicht nur das. Da sich das Unternehmen, wie Branchenkreise berichten, schon vor Jahren zu Niedrigpreisen eingedeckt haben, besitzt es ein lukratives Spekulationsobjekt. Mit steigenden CO2 – Preisen steigt schließlich auch der Wert der Absicherungselemente.
Thyssen-Krupp hat sich offenbar nicht so stark abgesichert
Die Salzgitter AG könne, falls sie die Produktion drossele, Zertifikate auch zu Geld machen, heißt es in den Unternehmenskreisen. Der Stahlkocher selbst bestätigt, dass er Anfang 2021 CO2 – Zertifikate im Wert von etwa einer Milliarde Euro besaß. Das kluge Hedging des CO2 – Risikos könnte sich auch als entscheidender Wettbewerbsfaktor entpuppen. Bei Deutschlands Branchenführer Thyssen-Krupp ist die Situation nach Informationen des Handelsblatts schließlich nicht so komfortabel. Der Konzern stößt jährlich 20 Millionen Tonnen CO2 aus. Bei einem Preis von 62 Euro würde das – ohne Absicherung – eine jährliche Mehrbelastung von knapp 250 Millionen Euro bedeuten.
Ein Sprecher betont zwar, dass sich auch Thyssen-Krupp im Rahmen seiner Beschaffungsstrategie mit Zertifikaten eingedeckt habe. Details wolle man darüber allerdings nicht offenlegen. Außer so viel: „Handels- und spekulative Elemente sind nicht Teil der Strategie.“
Tatsächlich soll der Konzern vor einem ähnlich langfristigen Hedging, wie es Konkurrent Salzgitter vor Jahren beschlossen hat, zurückgeschreckt sein. In Kreisen der Stahlsparte heißt es, man habe auf eine langfristige Absicherung gedrängt, der Zentrale sei das aber zu spekulativ gewesen.
Das könnte die ohnehin kritische Situation für den Konzern verschärfen, der gerade vor einer Herkulesaufgabe steht: Er muss bei angespannten Finanzen die Produktion klimafreundlicher machen. Der Investitionsbedarf ist enorm.
Die Stahlhersteller, die im Wesentlichen auf die Freizuteilung angewiesen sind und ansonsten ihre Zertifikate zu Marktpreisen zukaufen müssen, geraten aber gleich doppelt unter Druck. Zum einen steigen durch die teuren CO2 – Zertifitkate die eigenen Produktionskosten unabhängig von den Preisen, zu denen sie selbst ihren Stahl verkaufen.
Auch in anderen Branchen dürfte das CO2 – Hedging verbreitet sein
Zum anderen treibt der CO2 – Preis die Strompreise, die insbesondere in den nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette eine wichtige Rolle spielen. Das verringert den Spielraum für Investitionen in klimaneutrale Technologien wie etwa die wasserstoffbasierte Stahlproduktion deutlich.
Unternehmen wie Thyssen-Krupp, die nicht langfristig mit Zertifikaten versorgt sind, werden durch die erwartbar steigenden CO2 – Preise also in Zukunft daher doppelt belastet. Bereits vor einigen Monaten erklärte Finanzchef Klaus Keysberg bei der Vorlage der Quartalszahlen, es sei auch angesichts der Anhebung der EU-Klimaziele „davon auszugehen, dass die Belastungen steigen“.
Für die Stahlsparte des Konzerns entwickelt sich die zurückhaltende Einkaufsstrategie so zu einem immer größeren Wettbewerbsnachteil in einem ohnehin schwierigen Markt.
Die Beschaffungsstrategie von Unternehmen ist für gewöhnlich ein gut gehütetes Geheimnis. Branchenexperten rechnen aber damit, dass Thyssen-Krupp eher eine Ausnahme ist und sich auch andere Stahlhersteller langfristig gegen das enorme Risiko der CO2 – Preise abgesichert haben. Und auch viele andere große CO2 – Emittenten aus anderen energieintensiven Branchen wie der Chemie-, der Zement- oder der Papierindustrie dürften frühzeitig im CO2 – Markt aktiv geworden sein.
Besonders clever scheinen vor allem die Energiekonzerne vorgegangen zu sein. Bei den Stromproduzenten, die Kohlekraftwerke betreiben, war das CO2 – Problem besonders drängend. Der Energiebranche, die für einen großen Teil der europaweiten Emissionen verantwortlich ist, wurde schließlich schon frühzeitig das Kontingent an kostenlos zugeteilten Zertifikaten gekürzt.
Entsprechend sensibilisiert war die Branche für das Problem schon vor vier, fünf Jahren. Es sei klar gewesen, dass mit der globalen Klimadebatte die EU die Bedingungen im Emissionshandel immer weiter verschärfen würde, erinnert sich ein Energiemanager: „Ein hoher CO2 – Preis ist ja schlicht gewollt.“Vor allem Deutschlands Kohlekonzern Nummer eins, RWE, hat sich vorausschauend abgesichert. „Die finanziellen Auswirkungen steigender CO2 – Preise sind bis 2030 vollständig abgesichert“, hält RWE fest.
Analysten loben die kluge Arbeit der Trading-Abteilung des Energiekonzerns, Klimaschützer schäumen dagegen. „Bei RWE hat man ja den Eindruck, dass es mehr eine Fondshülle für CO2 – Zertifikate ist als ein Energieunternehmen“, sagt Greenpeace-Experte Vargas.
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40,4 Millionen Tonnen CO2 stößt die Stahlbranche in Deutschland jährlich aus – gut fünf Prozent der deutschen Gesamtemissionen.
Das steht natürlich entgegen den politisch gewollten Reduktionspfaden. Mauricio Vargas Greenpeace
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