Frankreich bekennt sich wieder offen zur alten Atom-Liebe

12. Oktober 2021, Paris
"Frankreich hat Glück, denn Frankreich hat Atomkraft", betont Macron - Paris, APA/AFP

Atomkraft ist wieder im Kommen in Frankreich – und überraschend sogar ein Wahlkampfthema geworden. Präsident Emmanuel Macron verfolgt bei diesem Thema seine häufig genutzte „sowohl-als-auch“-Strategie, um keines der Lager zu verprellen: Er will neue, kleine AKW bauen, aber nebenher sollen auch Erneuerbare Energien ausgebaut werden. Dabei geht es um den Kampf gegen den Klimawandel ebenso wie um den Schutz der heimischen Industrie – und nicht zuletzt um die Strompreise.

„Frankreich hat Glück, denn Frankreich hat Atomkraft“, betont Macron gerne mit Blick auf die CO2-Emissionen. Da steht das Land im Vergleich zu Deutschland tatsächlich ziemlich gut da. Das liegt vor allem daran, dass 70 Prozent des Stroms aus den emissionsarmen Atomkraftwerken kommt.

Selbst die französischen Grünen schieben den früher vehement geforderten Atomausstieg inzwischen verbal weit in die Zukunft. „Niemand sagt, dass wir morgen die Atomkraftwerke runterfahren“, sagt der grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot. Er rechne mit 20 Jahren bis zum Ausstieg. „Und wenn es fünf Jahre mehr sind, dann ist das eben so.“

In Brüssel versucht Frankreich derzeit, Atomkraft als „Grüne Investition“ anerkennen zu lassen. Atomenergie trage „erheblich zur Unabhängigkeit unserer Energieproduktion bei“, heißt es in einem offenen Brief, den Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Politiker aus neun weiteren EU-Ländern unterzeichneten. Die Einstufung solle „bis Ende des Jahres“ erfolgen, forderten sie. Dies hätte zur Folge, dass neue Atomkraftwerke mit EU-Geldern gefördert werden können. Dagegen regt sich allerdings Widerstand aus Deutschland und Österreich.

Unterdessen überbieten sich die Präsidentschaftskandidaten im rechten Lager mit Atomrhetorik. Der konservative Kandidat Xavier Bertrand will mindestens drei neue EPR-Kraftwerke bauen lassen, die Rechtspopulistin Marine Le Pen gleich sechs und der rechtsextreme Noch-Nicht-Kandidat Eric Zemmour am liebsten zehn.

Dabei geht der einzige Europäische Druckwasserreaktor (EPR), der in Frankreich überhaupt gebaut wird, frühestens 2023 ans Netz – mit elf Jahren Verspätung und nahezu vier Mal so teuer wie geplant. Und über das geplante Endlager für Atommüll im lothringischen Bure ist auch noch längst nicht endgültig entschieden.

Die Mini-Reaktoren (SMR – Small Modular Reactor), in die Macron nun investieren will, sind bei weitem nicht produktionsreif. Ein einziges Modell läuft derzeit in Russland. Die französische Industrie hat wenig Interesse an den kleinen Reaktoren, weil sie relativ wenig Strom produzieren und herkömmliche Atomkraftwerke nicht ersetzen können.

Aber Atomkraft hat in Frankreich immer auch mit Nationalstolz und Souveränität zu tun. Die Unabhängigkeit der Energieproduktion – etwa von russischem Gas oder von deutschem Kohlestrom – ist für Macron entscheidend. „Wir dürfen niemals zu abhängig von einer Energiequelle sein, die attraktiv erscheint, wenn die Preise niedrig sind“, sagte er kürzlich am Rande eines EU-Gipfels angesichts der gestiegenen Gaspreise.

Frankreich hat sich verpflichtet, bis 2035 den Anteil des Atomstroms auf 50 Prozent herunterzufahren, ein Dutzend alte Reaktoren abzuschalten und zugleich die Erneuerbare Energie auszubauen. Daran werden wohl auch die geplanten Mini-Reaktoren nichts ändern. Im Präsidentschaftswahlkampf könnten sie Macron aber helfen, sich gleichzeitig industriefreundlich und klimabewusst zu zeigen. Und wenn sein Plan aufgeht, gibt es am Ende vielleicht auch noch EU-Gelder für die französische Atomindustrie.

APA/ag

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