Mit Druck zur Genehmigung?

12. Oktober 2021

Deutsche Behörden fordern Klarheit von Gazprom rund um Nord Stream 2. Pipeline spielt gewichtige geopolitische Rolle.

Eigentlich könnte schon bis Ende Oktober die erste Gaslieferung von Russland nach Deutschland über die Pipeline Nord Stream 2 fließen. Die Betreiberin, die russische, staatliche Gazprom, hat am Montag laut eigenen Angaben die Pipeline schon zu Testzwecken mit Gas befüllt. Bis Ende des Jahres will Gazprom 5,6 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa pumpen. Der technischen Inbetriebnahme steht aber ein noch ausständiges Genehmigungsverfahren im Weg, nämlich jenes der deutschen Bundesnetzagentur.

„Die Bundesnetzagentur hat die Nord Stream 2 AG heute aufgefordert, Auskunft zu erteilen und gegebenenfalls Nachweise zu erbringen, dass im Rahmen eines Betriebs der Leitung alle regulatorischen Vorgaben eingehalten werden“, sagte ein Sprecher der Bonner Behörde am Montagabend zur Nachrichtenagentur Reuters. Konkret geht es um die Frage des diskriminierungsfreien Netzzugangs und der Integration der Verbindungsleitung in das deutsche Marktgebiet. Eine EU-Richtlinie schreibt unter anderem Energie-Infrastrukturbetreibern vor, ihre Netze auch für externe Lieferanten offen zu halten.

Die Behörde fürchtet einerseits, dass die Leitung in Kürze ohne Genehmigung in Betrieb gehen könnte und dass andere Markteilnehmer ausgeschlossen werden könnten. „Bei einem Betrieb ohne Vorliegen einer Zertifizierung handelt es sich um einen Rechtsverstoß, der mit Verhängung einer Geldbuße geahndet werden kann“, betonte der Sprecher am Montagabend.

Geopolitisch umstritten
„Nord Stream 2 ist ein vollständig genehmigtes Projekt, errichtet in Übereinstimmung mit den geltenden nationalen und internationalen Rechtsvorschriften“, konterte der Betreiber. Man habe bereits alle erforderlichen Genehmigungen in Russland und vier weiteren EU-Ländern erhalten und werde alle Vorschriften und Regeln wie das Energiewirtschaftsgesetz einhalten.


Die 1.200 Kilometer lange Gaspipeline wurde vor gut einem Monat fertiggestellt. Sie verläuft großteils parallel zur 2011 fertiggestellten Nord Stream 1 und soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Deutschland befördern. An Nord Stream 2 ist neben Gazprom auch ein Konsortium europäischer Energieunternehmen beteiligt, zu dem auch die heimische OMV gehört.


Das Projekt war von Anfang an umstritten. Die USA drohten immer wieder mit Sanktionen und warfen den EU-Ländern vor, sich zu sehr von russischem Gas abhängig zu machen. Die USA haben aber ihrerseits ein wirtschaftliches Interesse daran, ihr eigenes, im Verhältnis teureres Schiefergas über den Atlantik nach Europa zu exportieren.
Protest gegen Nord Stream 2 gibt es auch seitens der Ukraine. Diese fürchtet mit der Inbetriebnahme der zweiten Gaspipeline bei Gaslieferungen seitens Russland übergangen zu werden. Durch die Ukraine führt nämlich auch die Pipeline Druschba (zu Deutsch „Freundschaft“), über die ebenfalls Gas nach Zentraleuropa befördert wird und die der Ukraine milliardenschwere Transitzahlungen bringt.

Gaspreise explodieren
Die Angst der Ukraine ist nicht unbegründet. Denn erst vergangene Woche hat Russland den Gastransit nach Ungarn über die Ukraine eingestellt und nutzt stattdessen jetzt eine Umgehungsleitung durch das Schwarze Meer über Bulgarien und Serbien. Ganz zum Ärger der Regierung in Kiew. Das Land könnte mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 nun gänzlich seinen Gas-Transitstatus und damit sehr viel Geld verlieren. Die Ukraine wirft Russland deshalb vor, Erdgas gezielt als geopolitische Waffe zu benutzen. Der Kreml weist das zurück.


Tatsächlich spielt Russland aktuell eine gewichtige Rolle in der Energieversorgung Europas. Und angesichts der stark steigenden Gaspreise ist diese Rolle heikel. Europa importiert jährlich ungefähr 400 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Hälfte davon kommt aus Russland. Österreich verbraucht jährlich laut E-Control 8 Millionen Kubikmeter Gas, rund zwei Drittel davon kommen aus Russland.


Kritiker werfen Russland auch eine Teilschuld am derzeit hohen Gaspreis vor. Seit Jahresbeginn ist der Großhandelspreis um teilweise mehr als 400 Prozent gestiegen. Das liegt vor allem an der global hohen Nachfrage. Diese ist im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach den Lockdowns massiv gestiegen, vor allem in Asien. Außerdem sind die Gasspeicher vieler EU-Länder nach dem langen Winter leer. Russland beliefert die EU zwar nach wie vor mit den vertraglich vereinbarten Liefermengen. Kritische Stimmen meinen aber, dass Gazprom auch mehr liefern könnte, dies aber nicht tut, um den Druck auf die schnelle Genehmigung von Nord Stream 2 durch die deutschen Behörden zu erhöhen.

Wiener Zeitung

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